Junge Asylsuchende: Zugang zu Bildung nicht garantiert!
Eine Erhebung von SOS Mitmensch fördert zahlreiche Lücken und Hürden beim Bildungszugang von jungen Asylsuchenden zutage. Problematisch ist nicht nur der Ausschluss von Asylsuchenden von der Ausbildungspflicht, sondern auch fehlende Bildungsplätze, Wartezeiten, abgelegene Quartiere und Einschränkungen beim Zugang zur Lehre. SOS Mitmensch fordert Verbesserungen in den Bundesländern und eine bundeseinheitliche Strategie.
Bildung ist zentrales Tor zu Chancen
„Im Jänner haben wir gravierende Mängel beim Deutschkursangebot für Asylsuchende aufgedeckt. Jetzt zeigt sich, dass es auch beim Zugang zu Bildung erhebliche Defizite gibt. Junge Asylsuchende sind oftmals über längere Zeiträume von Bildungsmöglichkeiten abgeschnitten. Ein bundesweit einheitliches Bildungs- und Integrationskonzept sucht man vergeblich. Dabei müsste allen klar sein, dass Bildung ein zentrales Tor zu persönlicher Weiterentwicklung, zu Chancen am Arbeitsmarkt und zu Demokratieverständnis ist“, kritisiert Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
Erstmals österreichweite Erhebung
Die Erhebung von SOS Mitmensch ist die erste österreichweite Untersuchung zum Bildungszugang von nicht mehr schulpflichtigen Asylsuchenden. Erhoben wurde, ob es eine gesamtösterreichische Bildungsstrategie gibt, welche Angebote die einzelnen Bundesländer bereitstellen und wie gut der Zugang zu diesen Angeboten in der Praxis tatsächlich funktioniert. Dazu hat SOS Mitmensch Daten bei staatlichen Stellen erhoben und mit Hilfsorganisationen, ehrenamtlichen HelferInnen und Betroffenen Gespräche geführt.
Große Unterschiede zwischen Bundesländern
Die Recherche von SOS Mitmensch offenbart gravierende Unterschiede zwischen den Bundesländern, sowohl was vorhandene Bildungs- und Ausbildungsplätze als auch was Wartezeiten, die Mobilitätsinfrastruktur und den Informationsfluss betrifft. Bei der Anzahl der Übergangsklassen zu höheren Schulen schneiden etwa Tirol und die Steiermark derzeit am besten ab, während das Burgenland das Schlusslicht ist. Was die Anzahl an Lehrplätzen für Asylsuchende betrifft, liegen derzeit Oberösterreich und Tirol vorne, während Wien, Kärnten, das Burgenland und Niederösterreich nur ein sehr niedriges Lehrplatzangebot haben (siehe die Grafiken weiter unten). Verbesserungsbedarf beim Zugang zu Bildung und Ausbildung gebe es jedoch in allen Bundesländern, betont SOS Mitmensch.
Vielzahl an Problemen beim Bildungszugang
SOS Mitmensch-Sprecher Pollak hebt hervor, dass es zwar einige engagierte Flüchtlingsreferate in den Bundesländern und auch eine Reihe an sinnvollen Bildungs- und Ausbildungsprojekten gebe, dass aber zugleich die praktischen Probleme mannigfaltig seien. Zu den Hauptproblemen gehören:
- der Ausschluss von Asylsuchenden von der Ausbildungspflicht
- die Beschränkung des Zugangs zur Lehre auf Mangelberufe und Berufe mit Lehrlingsmangel
- fehlende Bildungs- und Ausbildungsplätze
- abgelegene Quartiere, extrem weite Anfahrtswege zu Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen, fehlende öffentliche Verkehrsmittel und fehlende Fahrtkostenunterstützung
- mangelnde Informationsweitergabe an Asylsuchende, die nicht in betreuten Quartieren untergebracht sind
- sehr lange Wartezeiten auf Therapieplätze für Jugendliche, die Traumata erlitten haben
- die bis dato fehlende Möglichkeit, ein freiwilliges zehntes Schuljahr als außerordentliche SchülerInnen an Polytechnischen Schulen und Neuen Mittelschulen zu absolvieren, soll mit dem Inkrafttreten des neuen Schul-Autonomiepakets der Vergangenheit angehören
Rettungsanker Hilfsorganisationen und Ehrenamtliche
„Besonders schwer haben es junge Asylsuchende, die nicht das Glück haben, im richtigen Bundesland in einem gut betreuten und nahe an einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtungen liegenden Asylquartier untergebracht zu sein“, berichtet SOS Mitmensch-Sprecher Pollak. Einziger Rettungsanker seien dann oftmals Hilfsorganisationen und aufopferungsbereite ehrenamtliche HelferInnen, die in ihrer Freizeit darum kämpfen, dass die jungen Menschen dennoch Zugang zu passenden Bildungsangeboten oder Ausbildungsplätzen erhalten, so Pollak.
Voller Zugang zu Bildung gefordert
SOS Mitmensch fordert
- eine bundesweit einheitliche Strategie und ein transparentes Vorgehen beim Zugang zu Bildung
- die Ausweitung der Ausbildungspflicht bis 18 auf Asylsuchende
- die vollständige Öffnung der Lehre für Asylsuchende
- eine zentrale Stelle in allen Bundesländern, die sicherstellt, dass die vielen praktischen Hürden beim Bildungszugang von Asylsuchenden (abgelegene Quartiere, lange Anfahrtswege zu Ausbildungsstätten, unbezahlbare Fahrtkosten, fehlender Informationsfluss, etc.) beseitigt werden.
„Es gilt die jungen Menschen, die bei uns leben, zu fördern. Mit Bildung und Ausbildung haben sie die Möglichkeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Es geht nicht nur um eine menschenrechtliche Verpflichtung, sondern es ist ein Gewinn für alle, wenn junge Menschen Chancen und Perspektiven haben“, betont Pollak.
Neun Länder, neun Vorgehensweisen
Im Folgenden einige Grafiken und ein kurzer Überblick über die sehr unterschiedliche Situation in den einzelnen Bundesländern (in alphabetischer Reihenfolge):
Grafik: Anzahl der Asylsuchenden, die eine Lehre absolvieren (Stand April 2017)
Grafik: Anzahl der Asylsuchenden, die eine Lehre absolvieren in Relation zur Anzahl der 15-18-jährigen Asylsuchenden im jeweiligen Bundesland (Stand April 2017)
Grafik: Anzahl der Übergangslehrgänge für Asylsuchende und Flüchtlinge (Stand April 2017) – Setzt man die Anzahl in Relation zur Größe des Bundeslandes, so hat Tirol die mit Abstand beste Abdeckungsrate, gefolgt von der Steiermark. Schlusslicht ist das Burgenland.
Burgenland
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich im Burgenland 181 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Eine Stelle oder Person, die sich hauptverantwortlich für die Bildung dieser Zielgruppe fühlt und einen Überblick über alle Bildungsangebote hat, sucht man vergebens. Die Volkshochschule Burgenland übernimmt alle Basisbildungs- und Pflichtschulabschlusskurse und hat hier auch ein eigenes Programm für junge Asylsuchende. Derzeit finden allerdings keine Kurse dieses Angebots statt. Ab Juli soll es Platz für 40 TeilnehmerInnen geben. Die Finanzierung von Lernmaterialien und Fahrtkosten wird voll übernommen. Dies ist besonders wichtig, da Jugendliche im Burgenland oft in abgelegenen Quartieren untergebracht sind, die schlechte Verkehrsanbindungen haben. Nur vier Asylsuchende absolvieren derzeit im Burgenland eine Lehre und besuchen die Berufsschule.
Kärnten
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Kärnten 255 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Ein Großteil ist in Basisbildungskursen bzw. Vorbereitungskursen für den Pflichtschulabschluss integriert. Außerdem sind verhältnismäßig viele Asylsuchende an den allgemein bildenden höheren Schulen und berufsbildenden mittleren und höheren Schulen als außerordentliche SchülerInnen oder in den drei Übergangslehrgängen aufgenommen. Dass es hier dennoch Bedarf zur Aufstockung gibt, zeigt sich an der kompletten Auslastung der Übergangsstufen, die außerdem alle an BMHS, jedoch an keiner AHS abgehalten werden. Von NGOs wie der Diakonie de La Tour werden Fahrten zu den Ausbildungsorten organisiert, da es für die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln keine Refundierung vom Land gibt.
Niederösterreich
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Niederösterreich 1.274 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Die Möglichkeiten, die Niederösterreich den jungen Menschen bietet, sind nach Meinung von SozialarbeiterInnen wie auch Lehrpersonen ungenügend. Es gibt im Basisbildungsbereich derzeit nur 10 vom Bildungsministerium geförderte, spezielle Kurse für junge Asylsuchende und Flüchtlinge, was im Verhältnis zur Menge der Personen eine sehr kleine Zahl ist. Zwei dieser Kurse sind mit Ende April ausgelaufen und es können erst im Herbst 2017 neue Maßnahmen gestartet werden, da die Finanzierung nicht sichergestellt war. Als generelles Problem wird die räumliche Konzentration von Kursen im Gegensatz zur Zerstreutheit der TeilnehmerInnen und zu wenig Personal auf dem Land gesehen. Eine Ausbildungspflicht auch für Asylsuchende und das Recht, eine Lehre in allen Berufen machen zu können, würde die Lage erheblich entspannen.
Oberösterreich
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Oberösterreich 905 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Von der Volkshilfe Oberösterreich wird kritisiert, dass Basisbildungsangebote insgesamt und speziell im ländlichen Bereich nicht ausreichend vorhanden sind. Die Volkshilfe plant aus diesem Grund für Herbst 2017 aus den ländlichen Bezirken Jugendliche für einen selbstfinanzierten Basisbildungskurs nach Linz zu holen. In einzelnen Bezirken, wie Perg und Steyr, funktionieren Brückenklassen gut. Es kommt jedoch oftmals auf das Engagement einzelner PädagogInnen an. In Oberösterreich funktioniert die Vermittlung von Asylsuchenden in Lehrstellen weit besser als in anderen Bundesländern. Mit Stand Februar 2017 waren laut Sozialministerium 145 Asylsuchende mit Beschäftigungsbewilligung in Oberösterreich in Lehrstellen untergebracht. NGOs sehen die Ausweitung der Ausbildungspflicht und eine Öffnung der Lehre als sinnvoll an. Kosten für Lehrmaterial und Fahrten werden nicht vom Land übernommen. NGOs springen ein.
Salzburg
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Salzburg 368 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Laut NGOs, wie der Diakonie in Salzburg, fehlen die Möglichkeiten der niederschwelligen Kursgestaltung und auch die Möglichkeit der Wiederholung von Kursen, die oft notwendig wäre, gerade für Asylsuchende, die keine oder nur eine geringe Bildungskarriere im Herkunftsland verweisen können. Fahrtkosten werden vom Land nicht übernommen. Auch die Kosten für Lernmaterialen werden vom Land Salzburg nicht übernommen, auch keine Semestergebühren, außer die Träger schaffen es, individuell bessere Bedingungen auszuhandeln. In Salzburg müssen alle über 18-jährigen laut BMS-Gesetz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ohne Rücksicht auf Bildungsperspektiven. Die Diakonie in Salzburg sieht die Öffnung der Lehrberufe für Asylsuchende als Notwendigkeit an, gerade auch da der Arbeitsmarkt ständigen Veränderungen unterworfen ist und sich damit auch der Bedarf an Arbeitskräften ändert.
Steiermark
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in der Steiermark 900 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Positiv hervorzuheben ist das extra Angebot Zukunft.Bildung.Steiermark für nicht mehr schulpflichtige Flüchtlinge zwischen 15-18 Jahren. Die Lernmittelkosten werden vom Land übernommen. Bei den Fahrtkosten kommt es aber darauf an, an welcher Maßnahme die Jugendlichen teilnehmen. Laut den Kinderfreunden, gibt es zu wenige Plätze im Bildungsbereich. Besonders zermürbend sei für die Jugendlichen, dass sie oft nur sehr kurzfristig von einem Kursplatz erfahren würden. Insgesamt sei man aber zufrieden mit dem bestehenden Angebot. Die Lage für Asylsuchende könne sich aber aufgrund der langen Wartezeiten im Asylverfahren im nächsten und übernächsten Jahr zuspitzen, so die Einschätzung.
Tirol
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Tirol 420 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Ein Großteil der Jugendlichen ist in Bildungsmaßnahmen untergebracht. Vor allem im Schulsystem selbst konnten sehr viele Asylsuchende einen Platz finden. Mit 12 Übergangslehrgängen ist Tirol eines der Länder mit dem größten Angebot in diesem Bereich. Durch die zentrale Koordination der Tiroler sozialen Dienste läuft der Übergang von einer Bildungsmaßnahme in die nächste ohne viele Probleme. Die Landesschulrätin hat einen guten Überblick über die für die Zielgruppe angebotenen Maßnahmen im Schulbereich. NGOs bemängeln jedoch, dass es vor allem in höheren Niveaustufen noch zu wenig Angebote gibt. Auch der Bedarf nach weiteren Übergangsstufen ist gegeben. Die Fahrtkosten werden für Asylsuchende nicht vom Land übernommen. Teilweise gibt es hier projektbezogene Unterstützung.
Vorarlberg
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Vorarlberg 297 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Die Chancen, an einer geförderten Bildungsmaßnahme teilnehmen zu können, sind für nicht mehr schulpflichtige Asylsuchende verhältnismäßig gut. Den jungen Asylsuchenden stehen in etwa 120 Plätze in Basisbildungskursen und 80 Plätze in Übergangslehrgängen zur Verfügung. Für 2017 wurden vom Bundesministerium für Bildung Basisbildungs- wie auch Pflichtschulabschlusskurse vor allem für 100 junge Asylsuchende und auch Jugendliche mit bereits geklärtem Asylstatuts genehmigt. Zwar ist die Nachfrage auch hier konstant höher als das Angebot, aber dank der gesicherten Finanzierung können laufend neue Kurse gestartet werden. Als ein beispielhaftes Projekt ist die Lehrlingsinitiative der Caritas Vorarlberg, die im Jahr 2014 gestartet wurde, hervorzuheben. Sie sollte Asylsuchenden den Einstieg in eine Lehre durch die Vermittlung von offenen Stellen erleichtern. Allerdings musste das Pilotprojekt mittlerweile beendet werden, da es nicht mehr gefördert wird.
Wien
Mit Erhebungsstand April 2017 befanden sich in Wien 1.276 minderjährige Asylsuchende zwischen 15-18 Jahren in der Grundversorgung. Da bei vielen Maßnahmen der Status der TeilnehmerInnen nicht erhoben wird, ist es schwer nachvollziehbar, wie viele nicht schulpflichtige Asylsuchende daran teilnehmen. Als positives Projekt ist das „Jugendcollege“ hervorzuheben, das ein gut an die TeilnehmerInnen angepasstes Angebot bietet, wenngleich es lange Wartelisten gibt. Kritik wird daran geübt, dass viele Bildungs-Projekte in Wien mit Ende 2016 ausgelaufen wären und es daher derzeit zu wenige Plätze für Asylsuchende gebe. So würde die Bildungsdrehscheibe momentan keine Plätze im Bereich Basisbildung vergeben. NGOs hätten Probleme, Bildungsberatung durchzuführen, weil sie nicht wüssten, auf welche Angebote sie verweisen sollten. Viele Maßnahmen würden nur für Personen gelten, die schon Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Das Konzept gleicher Zugang zu Bildung für alle, egal welcher Status, kommt hier an seine Grenzen.
Die Detailergebnisse der SOS Mitmensch-Recherche mit allen Bundesländerinfos und Grafiken finden Sie HIER zum Herunterladen.
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