40, männlich, Kolporteur
Florin Păcuraru ist seit etwa vier Jahren Kolporteur des MO Magazins. Wir haben ihn einen Tag lang begleitet.
Reportage: Muhamed Beganovic, Fotos: Magdalena Blaszczuk
Die Wolken hängen tief über der Mariahilfer Straße als Florin Păcuraru in die Zollergasse einbiegt. Einen kurzen Blick wirft er nach oben, gen Himmel, und zieht dabei eine finstere Miene. Seine Augen sprechen Bände: Das Wetter wird ihm heute wohl die Arbeit erschweren. „Wenn es regnet, wollen die Menschen nicht stehen bleiben sondern nur gehen, immer weiter gehen“, sagt er. Damit er aber Geld verdienen kann, müssen die Leute stehen bleiben. Er ist alles andere als unauffällig. Er ist groß und stämmig, hält einen Stapel Zeitschriften in seinem linken Arm, trägt einen Ausweis um den Hals. Ein Blick reicht, um zu erkennen, dass er ein Kolporteur ist. Wenn das Wetter aber schlecht ist, sind die Leute nicht gewillt ihm Beachtung zu schenken, so Păcuraru. Er beschließt daher einen Pitstop einzulegen.
Bei Hausnummer 15 in der Zollergasse drückt er auf einen Knopf auf der Gegensprechanlage, öffnet die Tür und geht über eine kurze Wendeltreppe in das Tiefparterre, wo das Büro von SOS Mitmensch ist. Er trifft hier auf Bernhard Spindler, der als Büroleiter auch die Kolporteurinnen und Kolporteure betreut. Păcuraru ist gekommen, um neue Hefte abzuholen. Seine Stimme ist sanft, sein Gesicht glattrasiert. Er trägt drei dünnere Jacken über einander, eine Jeans-Hose, Sportschuhe und eine Haube. Ich könnte schwören, dass er mir als Kolporteur schon mal begegnet ist. Spindler holt einen Stapel Hefte und versieht sie mit einem Stempel. Ich erkenne das Cover wieder, denn ich habe eine Reportage für die Ausgabe beigesteuert. Und jetzt schreibe ich eine Reportage für die neue Ausgabe des MO Magazins, die von einem engagierten Kolporteur dieses Magazins handelt. Aber hier soll es um Florin Păcuraru gehen und nicht um das Magazin selbst.
Die Leute kennen mich
Florin Păcuraru wird in wenigen Monaten 40 Jahre alt. Er kommt aus der kleinen Ortschaft Țițești in der Nähe der Stadt Pitești im Süden Rumäniens. Er ist verheiratet, hat fünf Söhne und eine Tochter. Und um sie zu ernähren, steht er Montag bis Samstag, von 7 Uhr in der Früh bis die Geschäfte schließen, draußen und verkauft. Manchmal hat er Glück und verkauft an einem Tag gleich sieben oder acht Hefte und geht dann früher nach Hause. Aber solche Tage gibt es immer seltener. 2011 kam Păcuraru nach Wien. Mit seiner Frau und den zwei ältesten Söhnen lebt er in einer kleinen Wohnung in Wien Hernals. Die jüngsten vier Kinder wohnen bei der Schwiegermutter in Rumänien. Păcuraru fällt es schwer, zu lesen und zu schreiben. Er spricht auch kaum Deutsch. Seine Chancen, einen normalen Job zu finden, sind gering. In Rumänien hat er sich mit Gelegenheitsjobs über die Runden gebracht. Nie war er angemeldet und hatte deshalb auch keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Auch in Wien fand er anfangs keine Arbeit. Ein Freund hatte ihm von der Möglichkeit der Kolportage beim Global Player Magazin erzählt und brachte zunächst Păcurarus Gattin Raisa dorthin. Einige Wochen später folgte Păcuraru selbst. Nach zwei Jahren wechselten sie zum MO Magazin. Das war 2014. Mittlerweile verkaufen auch Florins zwei Söhne MO Magazine.
An diesem Donnerstagabend kauft Păcuraru 20 Hefte zu einem Preis von 1,25 Euro pro Stück. Zehn sind für ihn und zehn für seine Frau, die seiner Meinung nach die bessere Verkäuferin ist. Diese Hefte dürfen sie dann um das Doppelte verkaufen und den Gewinn behalten. Ab und an bekommt Păcuraru Trinkgeld. Meist 50 Cent oder einen Euro. Nach dem Kauf der Hefte im Büro macht er sich auf, um diese auf der Mariahilfer Straße zu offerieren. Er wirkt ein wenig desorientiert. Die große Einkaufsstraße ist weit weg von seinem Stammort in Floridsdorf. Schon seitdem er als Kolporteur tätig ist, steht er vor einer Spar-Filiale und verkauft – doch dort will er mich heute nicht mitnehmen, denn er befürchtet, dass das dem dortigen Filialleiter nicht Recht ist und möchte nicht riskieren, seine Verkaufsfläche zu verlieren. Wenn er von seinem Verkaufsplatz spricht, dann klingt es so als würde er seine Stammkneipe beschreiben. „Die Leute kennen meinen Namen und grüßen mich nett, fragen wie es mir geht“, sagt Păcuraru. Er habe dort auch Stammkunden. In der Regel erzählen Kolporteuren eher negative Stories über Vertreibung, Häme und Schikane. Păcurarus Schilderung wirkt zunächst einmal verwunderlich aber durchaus erfreulich.
Hoffnungsfroh unterwegs
Weil Păcuraru also nicht riskieren will, diese (fast schon utopisch klingende) Fläche zu verlieren, begleite ich ihn heute auf der größten Einkaufsstraße Wiens. Für eine Weile hält er sich an dem Platz zwischen Nike Shop, Fielmann, A1 Shop und WMF. Er grüßt jeden, der vorbeigeht, sagt „Servus“ und „Neue Kapitel“, zeigt dann auf den Inhalt des Heftes, kassiert Absagen, probiert es wieder, spitzt seine Lippen zu einem freundlichen Lächeln, wird ignoriert, gibt nicht auf, grüßt weiterhin. Es beginnt sanft zu regnen. „Hallo“, „Wie geht’s?“, „Neues MO Magazin“, Păcuraru blickt die Menschen direkt in den Augen an, hofft sie so aufzufangen. Dann findet sich jemand, der ihm ein Heft abkauft. Ich denke, vielleicht bringt das den Ball ins Rollen. Vielleicht würde es jemand sehen und auch zugreifen. Aber ich täusche mich.
Das Problem ist nicht nur das Wetter. „Es gibt viele aus Vorurteilen resultierende Verdächtigungen, denen Kolporteure sehr oft ausgesetzt sind“, sagt Bernhard Spindler, der als Koordinator auch eine Art Anlaufstelle für die ZeitungsverkäuferInnen ist. „Der häufigste Verdacht ist, dass sie Teil irgendeiner Bettelmafia wären“, erklärt Spindler. Was im Grunde Unsinn sei, denn Kolporteure seien genau betrachtet Händler, die eine Ware billig erwerben und mit einem Profit weiterverkaufen. Sie investieren daher hartverdientes Geld, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie pauschal als Bettler abzustempeln wäre zynisch. Dass es vereinzelt Fälle gibt, wo Menschen alibi-mäßig eine Zeitschrift in der Hand halten aber diese nur als Vorwand nutzen, um zu betteln, ist schon länger bekannt. Die Zeitschrift „biber“ hatte 2011 eine Reportage darüber gebracht. Seit 2010 betreibt das MO Magazin Kolportage, eigentlich schon länger, früher hieß das Magazin „Moment“. Eigenen Angaben zufolge gab es bislang keine wirklichen Probleme mit falschen Kolporteuren. Spindler rät trotzdem, nur von Verkäufern mit einem offiziellen Ausweis zu kaufen. Just diesen positioniert Păcuraru so, dass er deutlich gesehen werden kann. Seine Augen weiten sich, als er von einem Mann mittleren Alters angesteuert wird. Der Herr wollte aber nur wissen, wo der nächste Drei-Shop liegt. Păcuraru zuckt die Schulter und bricht dann in Lachen aus. „Drei? Ich verkaufe nur Hefte“, sagt er lachend. Der Fragende ist zu dem Zeitpunkt aber schon weitergezogen.
Es gibt auch Beschwerden über Verkäufer
Für das MO Magazin sind aktuell etwa 100 aktive Kolporteure und Kolporteurinnen in ganz Österreich unterwegs. Ihre Zahl ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Und damit auch die Verkaufszahlen des Magazins. „Anfang 2016 hatten wir für die Kolportage eine Auflage von 9.500 Ausgaben, die auch regelmäßig ausverkauft waren. Aktuell bewegen wir uns bei ca. 6.000 verkauften Heften“, erzählt Spindler. Die beiden Zahlen, also jene der Kolporteure und der verkauften Hefte, wirken sich aufeinander aus. Um diese Zahlen wieder (leicht) nach oben zu bewegen, nimmt das MO Magazin wieder Kolporteure auf. Die Anzeige dafür wird man aber nirgendwo lesen können. Der Aufruf erfolgt nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda. „Im Rahmen des Projektes wird Menschen, die keine oder sehr beschränkte Arbeitsmöglichkeiten haben, die Möglichkeit gegeben über den selbstständigen Verkauf eine Tätigkeit zu finden mit der sie ein paar Euro dazuverdienen können“, sagt Spindler. MO-KolporteurInnen erhalten einen Kurs, in dem erklärt wird, wie das Ganze funktioniert. Wichtig sind auch ein paar Grundregeln. Es kommt schon mal vor, dass sich Kolporteure nicht korrekt verhalten. „Beschwerden, die wir bekommen, drehen sich in der Regel um aggressives bzw. übertrieben offensives Verkaufsverhalten“, erklärt Spindler. Păcurarus Verkaufsverhalten ist alles andere als aggressiv. Wenn man es mit einem Adjektiv beschreiben müsste, dann: ausdauernd.
Harter Job: Ausdauer gefragt
Păcuraru steht mittlerweile vor dem Mango Shop, Ecke Andreasgasse. Trotz milden Regens flaut die Menschenmenge nicht ab. Mehr als eine ablehnende Geste bekommt er nicht. Ich versuche mir vorzustellen, aus welchem Grund die Leute ablehnen. Dabei versuche ich, nicht zu urteilen. Manchmal hat man keine Zeit, keine Lust oder kein Geld. So geht es zumindest mir oft. In sehr unregelmäßigen Abständen kaufe ich ein MO Magazin oder einen Augustin, verspüre dabei jedes Mal Respekt für den jeweiligen Kolporteur. Es ist sicherlich nicht leicht, von so vielen Menschen abgelehnt zu werden. Păcuraru findet, dass es zum Job gehört, ignoriert oder gar beschimpft zu werden. Damit könne er umgehen. Was ihm die Arbeit schwer macht, sind die Wetterverhältnisse. Starker Wind und eisige Kälte oder Dauerregen wirken sich nicht nur auf seine Verkaufszahlen, sondern auch auf seine Gesundheit aus. Ich frage ihn, ob und wie viele Hefte er heute schon verkauft hat. Vier konnte er in Floridsdorf und eine, während ich ihn begleite, verkaufen. „Wenig, oder?“ fragt er rhetorisch.
Seine erste Jacke ist nun ziemlich durchnässt. Er schlendert hinauf zum Westbahnhof. Die Sonne ist längst verschwunden an diesem Wintertag. Vor etwa zehn Minuten hat ihn sein Sohn angerufen, um zu fragen wo er steckt. Seine Stimmung kippt langsam. Păcuraru probiert es noch einmal. Fragt jung und alt, Frau und Mann, bewirbt, beschwört, fragt Touristen, schlendert weiter hinauf, zuckt mit den Schultern, „Servus, neues MO Magazin“, „Hallo“, bietet an, präsentiert, erreicht die Ampel vor dem Hotel Fürstenfeld und sieht dann endlich ein, dass es heute nicht mehr zu holen gibt. Er verabschiedet sich mit einem „Danke“ und geht zur U6. Heute hat er sieben Euro und fünfzig Cents Gewinn gemacht. In Floridsdorf, an seinem Stammplatz, hofft er, werde es wieder besser laufen.
Muhamed Beganovic wurde vor 29 Jahren in Mazedonien geboren, verbrachte zehn Jahre seiner Kindheit in Skopje, sechs Jahre seiner Pubertät in den Niederlanden und lebt seither in Österreich. Er arbeitet als freier Autor und Redakteur und schrieb u.a. für die Zeitschrift „Das Biber“ und die „Wiener Zeitung“.
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