Angstbewirtschaftung
Derzeit leisten u.a. Diakonie und Volkshilfe unabhängige Rechtsberatung für Geflüchtete. Das wird fortan eine Bundesagentur übernehmen. Sie untersteht dem Innenministerium. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Magdalena Stern
Die grüne Regierungsbeteiligung weckte Ende letzten Jahres Hoffnungen auf eine Kehrtwende in der österreichischen Asylpolitik. Mit der Präsentation des türkis-grünen Regierungsprogramms Anfang Jänner war das schnell wieder Geschichte. „Dass es den Grünen nicht gelungen ist, das Ende der unabhängigen Rechtsberatung zu stoppen, ist eine der größten Enttäuschungen“, sagt der Sprecher der Asylkoordination Österreich, Lukas Gahleitner-Gertz. „Wenn man sich das Asylkapitel des Regierungsprogramms ansieht, ist offensichtlich, dass sich die Partei durchgesetzt hat, die seit Jahren von der Angstbewirtschaftung im Bereich Asyl lebt.“ Die Grünen hätten nicht geschafft, die ÖVP aus dem selbstverschuldeten Trauma der Flüchtlingsmanagement-Krise von 2015 zu befreien. Das sei „bedauerlich“, so Gahleitner-Gertz.
Ein Blick zurück
Es war Donnerstag, der 16. Mai 2019. Ein Tag vor Veröffentlichung des folgenschweren Ibiza-Videos, das das Ende der türkis-blauen Regierung einleiten sollte. Mit den Stimmen der ÖVP und FPÖ wird eines ihrer Prestigeprojekte beschlossen: das Gesetz zur Errichtung einer Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU). Konkret bedeutet das, eine dem Innenministerium unterstellte Agentur zu schaffen, die ab 1. Juli 2020 die Grundversorgung und ein halbes Jahr später die Rechtsberatung und Rückkehrberatung von Geflüchteten übernimmt. Dolmetschleistungen und Menschenrechtsbeobachtung inklusive.
Im Mai 2019 setzte man also in Gang, was kritische Stimmen als „Verstaatlichung der Rechtsberatung“ bezeichnen. Dabei waren sich Asyl- und MenschenrechtsexpertInnen von Anfang an einig: Die Errichtung der BBU verletzt das Recht auf ein faires Verfahren und stellt rechtsstaatliche Grundprinzipien in Frage. Ex-Innenminister Herbert Kickl sah das freilich etwas anders: „Die Bundesagentur ist der Garant für eine objektive und realistische Rechtsberatung im Asylverfahren“. In der FPÖ blieb man der eigenen
Rhetorik treu und sprach vom Ende der „Asylindustrie“ sowie der „Verfahrensverschleppung“.
Zweifel wegen Naheverhältnis
Schon Übergangs-Innenminister Wolfgang Peschorn hatte erste Schritte gesetzt. Er bestellte einen interimistischen Geschäftsführer und jene sechs Aufsichtsratsmitglieder, die von Seiten des Innenministeriums berufen werden. Dass sich darunter der ehemalige Direktor des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sowie eine Abteilungsleiterin befinden, sorgte für Empörung. Das BFA ist jene Behörde des Innenministeriums, in der die erstinstanzlichen Entscheidungen im Asylverfahren getroffen werden. Zudem wurde auch der Chef der Sektion V im Innenministerium (Fremdenwesen), Peter Webinger, welcher wiederum der direkte Vorgesetzte des aktuellen BFA-Direktors ist, bestellt. Brisant: Damit besteht bei drei der sechs Aufsichtsratsmitglieder ein Naheverhältnis zu ebenjener Behörde, die fortan gegen erstinstanzliche Entscheidungen des BFA unvoreingenommen Rechtsberatung gewährleisten soll. Kein Wunder, dass das die ohnehin bestehenden Zweifel an der Unabhängigkeit der Bundesagentur weiter nährte.
Derzeit leistet die rechtliche Vertretung in der zweiten Instanz noch die ARGE Rechtsberatung (das sind Diakonie und Volkshilfe) sowie der Verein Menschenrechte Österreich. Mit Jahresbeginn 2021 soll die neu geschaffene Bundesagentur die Rechtsvertretung in zweiter Instanz übernehmen.
Die Kündigung der Verträge obliegt nun der neuen Justizministerin Alma Zadić. Sie ist zwar durch das Regierungsübereinkommen gebunden, hat aber angekündigt, noch vor der Vertragsauflösung das Gespräch mit den betroffenen NGOs zu suchen. Dass die Bundesagentur die Rechtsberatung in Zukunft doch noch an NGOs auslagern könnte, hält der Asylrechtsexperte Gahleitner-Gertz jedoch für ausgeschlossen. „Das ist im Regierungsprogramm explizit nicht vorgesehen. Anders als im Bereich der Grundversorgung, wo sehr wohl ein Passus ermöglicht, dass Externe beschäftigt oder beauftragt werden.“ Dass die Grünen im Regierungsprogramm aber versucht haben, die Regelung etwas abzufedern, lässt sich laut Gahleitner-Gertz an der geplanten Neubesetzung des Aufsichtsrats der Bundesagentur erkennen: „Das sieht man vor allem in dem Punkt, dass der Aufsichtsrat neu besetzt werden soll. Hier bleibt abzuwarten, welche Personen das dann schlussendlich sind. Die derzeitige Besetzung des Aufsichtsrats ist einfach indiskutabel.“
In den Regierungsverhandlungen hat man insofern reagiert, als durch die Neubesetzung des Aufsichtsrats und einen neu geplanten Qualitätsbeirat „mehr Unabhängigkeit“ gewährleistet werden soll. Die Möglichkeiten dieses Qualitätsbeirates sieht Gahleitner-Gertz aber skeptisch: „Dessen Aufgabe soll sein, die Qualität zu überprüfen, das klingt eher nach einer Aufsichtsfunktion. Welchen tatsächlichen Einblick der Beirat in die Praxis der Rechtsvertretung haben wird, ist fraglich. Ich glaube nicht, dass die Implementierung des Qualitätsbeirats ausreichend ist, um verfassungsrechtliche und grundrechtliche Bedenken auszuräumen.“
Recht auf faires Verfahren
Asylsuchende in Österreich haben per Gesetz Anspruch auf rechtliche Vertretung. Das betrifft sowohl ihr Zulassungsverfahren als auch die Vertretung in zweiter Instanz, wenn etwa Rechtsmittel gegen negative Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl eingelegt werden. Derzeit liegen diese Verfahren noch in der Zuständigkeit des Justizministeriums. In Zukunft wäre diese Trennung aber nicht mehr gegeben, weil die Rechtsvertretung durch Mitarbeiter der Bundesagentur erfolgen soll, welche zu 100 Prozent dem Innenministerium untersteht. Oliver Scheiber, Leiter des Bezirksgerichts Meidling, schätzt das als problematisch ein. Falls die Bundesagentur auf ihre Verfassungskonformität geprüft wird, stünden die Chancen, dass das Gesetz gekippt wird, hoch, glaubt der Jurist.
Scheiber erinnert an die vielfach erhobene Kritik an der Qualität der BFA-Bescheide in der 1. Instanz. Durchschnittlich werden vier von zehn Bescheiden des BFA in der zweiten Instanz aufgehoben oder abgeändert. Die Kosten, die dabei für den Staat entstehen, hat vor kurzem der IT-Experte Wolfgang Salm von der Initiative “Fairness Asyl” berechnet. Laut seinen Berechnungen, die auf 19.700 Beschwerden gegen BFA-Entscheidungen basieren, zog die hohe Fehlerquote „allein 2018 über 107 Millionen Euro an Folgekosten nach sich”. Scheiber dazu: “In keinem anderen staatlichen Bereich würde man so eine hohe Fehlerquote akzeptieren.”
Während also die hohe Fehlerquote und schlechte Qualität in der 1. Instanz zu beträchtlichen Kosten für den Staat führen, soll durch die Errichtung der Bundesagentur und damit einhergehenden Personaleinsparungen und “forcierter Rückkehrberatung” Geld eingespart werden. 15,4 Millionen Euro sollen es ab 2023 jährlich sein, davon bereits ab 2021 jährlich rund drei Millionen Euro allein in der Rechtsberatung. Die Diakonie fürchtet freilich, dass “eine qualitativ hochwertige Rechtsberatung, die den Vorgaben des Unionsrechts genügt, unter diesen Umständen nicht mehr möglich sein wird.” Immerhin lassen sich auch an dieser Stelle grüne Abfederungsversuche im Regierungsprogramm erkennen. Erwähnt wird eine Aufstockung der Personalressourcen in der 2. Instanz, auch die Qualität der erstinstanzlichen Bescheide soll weiter angehoben werden. Dass die Zahl der Asylanträge derzeit auf einen 20-Jahres-Tiefstand gesunken ist, scheint in der Debatte nicht allen klar zu sein. Insofern hält Gahleitner-Gertz es für bemerkenswert, dass dem Thema so große Bedeutung zugemessen wird. „Daher auch mein Begriff der Angstbewirtschaftung. Dieses Thema wird immer wieder aufgebracht um gezielt ein gewisses Klientel zu bedienen, und nicht, um progressive und menschenrechtsorientierte Asylpolitik zu gestalten.“
Der Jurist Oliver Scheiber wünscht sich, dass die kritischen Stimmen aus der Rechtsanwaltschaft lauter zu vernehmen sind als bisher. Er wertet die Einrichtung der Bundesagentur als deutlichen Einbruch in der österreichischen Rechtskultur und noch viel mehr als das: „Es geht ja nicht nur um die rechtliche Konstruktion, sondern man muss das auch in Verbindung mit der migrationsablehnenden Haltung des Innenministeriums der vergangenen Jahre betrachten. Dass ausgerechnet dieses Ministerium für die Umsetzung der Bundesagentur verantwortlich ist und nicht das Justizministerium oder das Bundeskanzleramt, das halte ich für politisch unerträglich und rechtlich möglicherweise nicht machbar.“
Druck der Zivilgesellschaft
Ein weiterer problematischer Aspekt ist die geplante Isolierung von Asylsuchenden, u.a. durch den Ausschluss der Zivilgesellschaft und der geplanten Errichtung von grenznahen Asylzentren. Gahleitner-Gertz findet an dieser Stelle klare Worte: „Das ist schlichtweg unsinnig, kostspielig, ineffizient und der Ausdruck reiner Symbolpolitik. Das bezweckt nur, dass die Betroffenen von der Zivilgesellschaft isoliert werden, damit sich die Politik nicht mehr mit der Thematik auseinanderzusetzen hat.“
Ein wichtiger Punkt, denn vor allem die jüngst verhinderten Abschiebungen von Asylsuchenden in Lehre zeigen deutlich, wieviel politischen Druck die Zivilgesellschaft aufzubauen vermag. Dass von politischer Seite gegengesteuert wird, verwundert insofern kaum. Dazu Oliver Scheiber: „Ich denke, dass die Politik in Österreich im Moment migrationsfeindlicher ist als die Bevölkerung. Dort wo es Kontakte gibt, findet sich meistens eine Mehrheit, die sagt: Wir wollen helfen. Wenn allerdings niemand mehr Menschen in Not kennt, dann sinkt die Unterstützungsbereitschaft” und damit wohl auch der politische Druck seitens der Bevölkerung.
Dominoeffekt
Asylsuchende gehören grundsätzlich zu jenen Personengruppen unserer Gesellschaft, denen eine starke Lobby fehlt. Für Scheiber zeigt sich die Stärke der Demokratie und des Rechtsstaates daran, wie mit genau diesen Gruppen umgegangen wird. Er hält es für einen Irrglauben, dass verfassungs- und grundrechtlich bedenkliche Entwicklungen auf Minderheiten beschränkt bleiben. “Sobald ich beginne, Grundkompromisse wie das Recht auf ein faires Verfahren einer Gesellschaftsgruppe abzuerkennen, kann das schnell zu einem Dominoeffekt führen. Die nächsten sind dann die Arbeitslosen, dann die SozialhilfempfängerInnen, und so weiter.”
In Kapitel 4 des türkis-grünen Regierungsprogramms heißt es, dass man sich “aktiv als internationaler Vorreiter beim Menschenrechtsschutz” positionieren wolle. Für den Asylbereich gilt das offenbar nicht. Auch wenn die Grünen sich punktuell moderierend einbringen konnten, reicht das für eine Kehrtwende zu einer progressiven und menschenrechtsorientierten Asylpolitik nicht. Stattdessen wird in diesem sensiblen Bereich beinahe nahtlos an die Politik der Spaltung und des Abbaus von Menschenrechten der türkis-blauen Vorgängerregierung angeknüpft.
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