
Stützen der Gesellschaft – Ayad Salim, Zugbegleiter: „Fast ein bisschen wie im Journalismus“
Ayad Salim war im Irak als Journalist tätig, als der Krieg ausbrach. Aufgrund seines Jobs wurde er das Ziel von Mordanschlägen und flüchtete 2015 nach Österreich. Eine Arbeit als Journalist war hier aufgrund der Sprachbarrieren nicht mehr möglich, doch inzwischen hat er als Eisenbahner bei der ÖBB eine neue Möglichkeit gefunden, unterwegs zu sein und mit Menschen in Kontakt zu kommen.
Redaktion: Sonja Kittel, Fotos: Michael Pöltl
„Das Schicksal brachte mich zum Journalismus“
„Mein Name ist Ayad Salim. Ich bin 54 Jahre alt und komme aus dem Irak. Dort war ich als Journalist tätig, was letztlich auch der Grund für meine Flucht war. Ich hatte im Irak ein Studium in Englisch, Arabisch und Philosophie abgeschlossen und ein Basis-Diplom in Psychologie und Ernährung- und Medizin gemacht. Mein Ziel war es eigentlich, Apotheker zu werden, doch das Schicksal hat mich zum Journalismus gebracht. Ich hatte einen Übersetzer-Job bei einem Meeting im National Press Center in Bagdad angenommen. Dort kam ich mit vielen Medienmenschen in Kontakt und begann bald selbst in dem Bereich zu arbeiten. Mein erster Job war beim deutschen Magazin DER SPIEGEL. Dann verschlug es mich zum Fernsehen. Über 20 Jahre arbeitete ich für verschiedene inländische und ausländische Fernsehkanäle, zum Beispiel Fox News. Von 2008-2014 war ich Chef im Bagdad-Büros des saudi-arabischen Kanals Al Echbareya.
Unterwegs in eine unbekannte Zukunft
Nach 2003 waren viele Milizen im Irak und wir konnten nicht mehr objektiv berichten. Auch die Korruption schlug um sich. Es gab zwei Mordanschläge auf mich und da wusste ich, ich muss gehen. Ich hatte als Journalist glücklicherweise viele Freunde und Bekannte an verschiedensten Orten der Welt. Jemand schickte mir eine Einladung für eine Veranstaltung in der Türkei und ich konnte damit ausreisen. Von dort ging es weiter Richtung Österreich. Ich war 45 Tage zu Fuß unterwegs von Anfang Dezember bis Mitte Januar 2015 über Bulgarien, Serbien und Ungarn. Es war Winter, bei Temperaturen von bis zu -20°C. Wir gingen immer in der Nacht. Über die Grenzen wurden wir in Kleinbussen gebracht, wo an die dreißig Leute in einem Auto für sieben Personen eingepfercht waren. Physisch, aber auch psychisch war die Lage prekär. Ich wusste nicht, wo ich bin, was mit mir passiert, mein Leben war in Gefahr und ich war unterwegs in eine unbekannte Zukunft.
Eine kurze Erinnerung an das alte Leben
Die netteste Fahrt war die letzte. Wir waren nur 12 Personen, Iraker, Syrer und Pakistani, in einem Bus für sieben. Das war fast Luxus. Auf der Autobahn neben einer Tankstelle stoppte der Fahrer plötzlich und sagte „Out, Go, Go, Österreich!“ Wir sind dann gleich in die Tankstelle und haben uns Kaffee und Zigaretten gekauft und es war eine kurze Erinnerung an das alte Leben. Im Irak hatte ich ein hohes Gehalt und einen hohen Lebensstandard, und dann hatte ich nichts mehr. Irgendwann kam die Polizei zu uns und fragte: „What are you doing here?“ und ich sagte nur: „We are waiting for you.“ Sie waren sehr freundlich und ich fühlte mich das erste Mal seit langer Zeit sicher, als sie uns auf die Polizeistation brachten und unsere Daten aufnahmen. In der Zelle, in die sie uns brachten, schlief ich sofort ein.
„Ich wollte so schnell wie möglich arbeiten“
„Ich war vier Tage in Traiskirchen und kam dann in ein Flüchtlingscamp nach Salzburg. Nach zehneinhalb Monaten bekam ich den positiven Asylbescheid, obwohl ich als Journalist noch früher damit gerechnet hatte. Ich wollte so schnell wie möglich arbeiten und begann zuerst als Freiwilliger bei der Caritas in der Behindertenbegleitung. 2018 wurde ich dann offiziell dort angestellt und blieb über ein Jahr. Die Arbeit war schön, aber das Gehalt nicht so gut und ich hatte einen sehr langen Anfahrtsweg. Ich hatte einen Freund der bei Newrest im Nightjet arbeitete. Er schwärmte von dem Job, bei dem man viel unterwegs ist und mit unterschiedlichsten Leuten in Kontakt kommt. Fast ein bisschen wie im Journalismus. Also bewarb ich mich, machte den Zugführerkurs und war dort zwei Jahre lang als Eisenbahner beschäftigt. Dann wechselte ich zur ÖBB, wo ich nach einer weiteren Fortbildung als SKT-Mitarbeiter (Service- und Kontrollteam) im Nahverkehr angestellt wurde.
„Mir hilft meine Muttersprache oft“
Unser oberstes Ziel ist, dass die Leute sicher und pünktlich von A nach B kommen. Wir kontrollieren die Tickets, sorgen für Service und Ordnung im Zug und beantworten die Fragen der Fahrgäste. Auf meiner Hauptstrecke zwischen Salzburg und Saalfelden sind auch viele Touristen die Arabisch sprechen. Dort hilft mir meine Muttersprache oft. Zum Beispiel konnte ich einer Touristin helfen, deren Mann aus Versehen ohne sie ausgestiegen war. Am Ende gab es ein Happy End. Ich habe jetzt einen sicheren Job in einer respektvollen Firma. Die Beziehung zu den Kolleg:innen und den Vorgesetzten ist sehr gut. Sie kümmern sich um dich wie Freunde. Das ist für mich noch wichtiger als das Gehalt.
„Für den Journalismus braucht man in Österreich die perfekte Sprache“
Die Bürokratie in Österreich war teilweise sehr schwierig. Es ist schade, dass es so kompliziert ist, mit der Nostrifizierung. Meine Bachelor-Unterlagen wurden anfangs nicht anerkannt. Ich musste dann über einen bevollmächtigten Anwalt Dokumente im Irak beschaffen. Ich konnte ja nicht zurückgehen, um die fehlenden Unterlagen selbst zu holen. Beim Verein migrare wurde ich hier zum Glück gut beraten. Es ist auch schade, dass ich nicht mehr als Journalist arbeiten kann. Ich habe eine sehr gute Berufserfahrung und mein Arbeitsfeld war hart. Oftmals ist eine Autobombe hinter mir explodiert, während ich berichtet habe, oder man hörte Maschinengewehre im Hintergrund. Doch für den Journalismus braucht man in Österreich die perfekte Sprache und so weit bin ich in Deutsch noch nicht, obwohl ich schon den C1-Kurs angefangen habe. Sprache ist der Schlüssel für alles. Das war mir von Anfang an klar.
„Sie sind jetzt meine Familie“
Wenn ich meine Abschlüsse anerkannt habe, hoffe ich bei der ÖBB beruflich noch weiterzukommen. Ich fühle mich sehr wohl hier. Auch die österreichische Staatsbürgerschaft habe ich seit eineinhalb Jahren. Neben dem Job mache ich Musik als Percussionist und habe drei Bücher in Planung, die sich mit meiner Flucht, dem Thema „Frauen im Islam“ und der Geschichte des Irak befassen werden. Als wir in Salzburg ankamen, sind viele Menschen zu uns gekommen und haben uns unterstützt. Sie zeigten uns die Stadt, machten Ausflüge mit uns und lernten Deutsch. Dafür bin ich sehr dankbar. Sie sind jetzt meine Familie. Heimat ist für mich nicht, wo du wohnst, sondern mit wem du wohnst. Österreich ist jetzt meine Heimat und meine Zukunft, und dafür arbeite ich, solange ich gesund bin.“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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