Barfuß für mehr Menschlichkeit
Um gegen die katastrophalen Zustände in den Geflüchtetenlagern an den europäischen Außengrenzen zu protestieren, zog Harald Purkart seine Schuhe aus und wanderte 800 Kilometer von Vorarlberg nach Wien. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Magdalena Stern
"Dass ich auf einen gefährlichen Gegenstand getreten bin, ist mir auf der Wanderung nie passiert. Aber man geht ohne Schuhe natürlich anders, vorsichtiger. Man schaut genau wo man hintritt, gerade wenn man durch Gras geht. Ich nenne das ‚ökonomisch gehen‘, also immer vorteilhaft gehen. Wenn ich wo drauftrete, kann ich immer noch zurücktreten.“ Das sagt der passionierte Langstreckenwanderer Harald Purkart auf die Frage, wie oft er denn auf eine Glasscherbe gestiegen ist auf seiner 800 Kilometer langen Protestwanderung quer durch Österreich. Gestartet war er Anfang Juni 2021 in der westlichsten Gemeinde Österreichs, die gleichzeitig seine Heimat ist: Meiningen. Ziel der Wanderung war es, auf die untragbaren Zustände in den Lagern an den europäischen Außengrenzen aufmerksam zu machen.
„Ich laufe barfuß für mehr Menschlichkeit. Andere Menschen laufen barfuß um ihr Leben.“
Hart und schmutzig
Purkart wollte ein starkes Zeichen für die Aufnahme von Geflüchteten in Österreich setzen. Aber warum gerade barfuß? „Meine Ausgesetztheit und Verletzlichkeit beim Barfuß laufen soll die Situation der Geflüchteten in den Lagern an den Außengrenzen der EU widerspiegeln. Barfuß laufen wird auch immer damit verglichen, dass man geerdet ist, auf dem Boden der Tatsachen steht. Für diese Menschen ist der Boden hart und schmutzig. Geerdet sein bedeutet im Fall geflüchteter Menschen, dass es einen krank macht. Besonders Kinder sind davon betroffen. Es ist beschämend, so eine Politik im Herzen Europas miterleben zu müssen. Parteihörigkeit und Klubzwang töten Menschen. Das eigene Gewissen wird der Partei geopfert“, so Purkart.
Die erste Etappe führte ihn am 6. Juni von Meiningen nach Bludenz, den Großteil davon begleiteten ihn Mitstreiter*innen der Vorarlberger Initiative „uns-reichts“. An deren Sonntags-Demos, wo ein menschlicheres Fremden- und Asylrecht gefordert wird, nimmt Harald Purkart seit 2015 teil. Das hat ihn auch für die Thematik sensibilisiert. Als Auslöser für seine Wanderung nennt Purkart aber den zweiwöchigen Hungerstreik der Vorarlberger Künstlerin Claudia Grava. Sie wollte im März 2021 erreichen, dass Österreich Kinder aus dem griechischen Geflüchtetenlager Kara Tepe holt. Ihr Engagement für eine offenere Flüchtlingspolitik wollte Purkart weitertragen. Und machte sich auf den Weg. Alleine war er dabei fast nie.
Nie auf einen gefährlichen Gegenstand getreten. Ohne Schuhe geht man vorsichtiger.
Von Netzwerken getragen
Immer wieder gesellten sich Mitwandernde von Initiativen wie „We 4 Moria“ oder „So sind wir nicht“ zu Purkart. Virtuelle Unterstützung erhielt er unter anderem von den Jugend-botschafter*innen der Caritas Vorarlberg, die seine Wanderung via Instagram einer jüngeren Zielgruppe zugänglich machten. Zudem erfuhr der Vorarlberger große Gastfreundschaft „Es hat sich dann so ergeben, dass die Netzwerke mich getragen haben. Ab Tirol wurde ich immer weitervermittelt. Von den insgesamt 30 Etappen habe ich 18-mal bei Privatpersonen und dreimal in Klöstern schlafen können.“
Auch links und rechts des Weges traf Harald Purkart immer wieder auf Menschen, die sein Anliegen unterstützten: „Viele Menschen sind der Meinung, dass die Haltung der Regierung in Bezug auf die Abschiebungen nach Afghanistan, die Aufnahme von Geflüchteten aus Griechenland und zur Situation in Bosnien nicht richtig ist. Und sie verstehen die Härte auch einfach nicht. Es gibt viele Menschen in Österreich, die sich eine andere Politik wünschen.“
Ein Beispiel eines gelungenen Ankommens erlebte er in Vöcklamarkt (OÖ): „Da haben wir einen sehr schönen Abend mit zehn bis zwölf Personen verbracht, in einem Lokal, das von einer jungen Familie mit Fluchtgeschichte betrieben wird. Der Bürgermeister, der auch dabei war, meinte, dass es für den Ort und die Familie nicht besser hätte laufen können. Von solchen positiven Geschichten habe ich einige mitbekommen auf meinem Weg.“
Empfang in Linz: Am Weg gesellten sich Initiativen wie „We 4 Moria“ oder „So sind wir nicht“ oder „uns-reichts“ zu Purkart.
Die Hoffnung nicht aufgeben
Klare Worte findet Purkart auf die Frage, welche Botschaft er mit seiner Wanderung senden möchte: „Die Regierung soll nicht einfach sagen können: ‚Wir nehmen keine Leute auf, null.‘ Das ist ein Wahnsinn. Das geht einfach nicht. Es muss sich etwas ändern.“ Seine Wanderung sieht er als Symbol dafür, das Unmögliche möglich zu machen. „Im Prinzip ist es ein unmöglicher Weg, den ich da barfuß zurückgelegt habe. Aber ich wollte zeigen, dass etwas scheinbar Unmögliches möglich gemacht werden kann. Und dass auch die unmögliche Haltung der Regierung in der Flüchtlingspolitik noch umgekehrt werden kann. Und wenn es diese Regierung nicht schafft, dann ändert vielleicht die nächste etwas.“
Am 8. Juli erreichte der 62-Jährige nach über einem Monat Wien. Dort traf er sich mit Vertreter*innen politischer Parteien und hielt am Abend im Rahmen einer Donnerstagsdemonstration eine Rede am Platz der Menschenrechte. Harald Purkart will weiter aktiv bleiben. Seine Wanderung habe vielen Mut gemacht: „Es ist sehr wichtig, dass vor allem betroffene Menschen spüren, dass es auch in Österreich Leute gibt, die sich für eine andere Politik einsetzen. Ich laufe barfuß für mehr Menschlichkeit. Andere Menschen laufen barfuß um ihr Leben.“
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