Gefühlter Rassismus
CLARTEXT. Wenn von Rassismus die Rede ist, wird oft betont, Menschen fühlten sich rassistisch beleidigt. Rassismus ist aber nicht subjektiv und um Gefühle geht es dabei nicht. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
Kürzlich konnte die breite Öffentlichkeit Rassismus in seiner reinsten Form beobachten: Claudia Schmidt, die EU-Mandatarin der ÖVP, hatte ihren Gedanken zum Thema Einwanderung auf Facebook freien Lauf gelassen. Was da heraus kam, las sich so: „Es ist kindlich naiv zu glauben, dass ausgerechnet diejenigen Menschen, deren Kulturen nichts anderes produzieren als Leid, Verfolgung, Unterdrückung und Perspektivenlosigkeit, einen positiven Beitrag für Europa leisten können. Afrikaner wollen nicht wie wir Europäer denken und arbeiten, aber gerne wie wir leben.“ Zudem schrieb sie AfrikanerInnen und MuslimInnen Gewaltbereitschaft und hohes Aggressionspotential zu und beendete ihre Tirade nicht, ohne die Kolonialzeit zu verharmlosen.
Nach Kritik auch aus der eigenen Partei veröffentlichte sie eine Stellungnahme – letztlich nur die Mimikry einer Entschuldigung. Sie gestand zwar eigene Vorurteile ein, griff aber zugleich auf in solchen Fällen typische Formulierungen zurück: Sie „entschuldigte“ sich bei allen, die sich durch ihr Posting „verletzt gefühlt haben“ sowie „für die unpassende und falsche Wortwahl“.
Wenn von Rassismus die Rede ist, wird oft betont, Menschen fühlten sich verletzt, fühlten sich rassistisch beleidigt, fühlten sich diskriminiert. Als ob Rassismus ein Problem des Betroffenen, lediglich eine subjektive Sache sei, eine Frage individueller Befindlichkeiten, eine Frage der Gefühle eben. Aber um Gefühle geht es hier nicht, sondern um Fakten. Regelmäßig zeigen Studien, dass Menschen aufgrund ihres Namens, ihrer Hautfarbe oder Ethnie diskriminiert, rassistisch behandelt werden – auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt, auf der Straße, bei Polizeikontrollen. Rassistische Handlungen werden täglich gesetzt. Objektiv rassistisch ist es etwa, einer Familie vorzulügen, eine Wohnung sei schon vergeben, weil die Leute Schwarz sind, und danach eine weiße Familie zur Besichtigung einzuladen.
Die Schlechterstellung von Menschen aufgrund ihrer Zuordnung zu konstruierten, pseudo-natürlichen Gruppen kann Betroffene zwar subjektiv schmerzen, ist aber objektiv rassistisch. 1.216 Milliarden Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem Kontinent abzusprechen, einen positiven Beitrag für Europa leisten zu können, ist Ausdruck einer biologistischen, hierarchisierenden, menschenverachtenden Ideologie, kurz gesagt: Rassismus in Reinform. Daher hätte Schmidt nicht über die Gefühle von anderen, sondern über ihren eigenen Rassismus sprechen sollen. Das hätte sich etwa so gelesen: „Ich möchte mich für meinen rassistischen und beleidigenden Text über AfrikanerInnen und MuslimInnen entschuldigen. Allen Betroffenen sage ich, es tut mir leid, so wie allen, die von meinen entsetzlichen Worten hier auf Facebook oder durch Medienberichte erfahren haben. Vorurteile sitzen tief und ich werde diese Erfahrung zum Anlass nehmen, um mich mit den meinigen auseinanderzusetzen.“
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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