Wer ist Nelson Mandela?
CLARTEXT. Wenn es um Afrika und die Kolonialgeschichte geht, sind die blinden Flecken in der Bevölkerung groß. Das aht seinen Preis. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration, Illustration: Petja Dimitrova
Ich erinnere mich noch gut an mein Spezialgebiet für die Englisch-Matura: die Geschichte der Apartheid in Südafrika. Da saß ich nun mit 17 und las Nelson Mandelas „Long Walk to Freedom“ – mehr als 600 Seiten auf Englisch.
Sein Buch berührte mich, trotzdem wünschte ich mir angesichts der nahenden Reifeprüfung mitunter, ich hätte mir als Spezialgebiet doch diesen einen englischen König ausgesucht, der mit Vorliebe seine Frauen köpfte. Als ich einer Freundin, die unsere Schule nach der 5. Klasse in Richtung Tourismusfachschule verlassen hatte, am Telefon mein Leid klagte, fragte sie: Wer ist denn Nelson Mandela?
Ich begann zu grübeln über das Bildungssystem, welches Afrika in Schulen und Medien dargestellt wird.
Ich merkte erstmals, welche Tragweite ein eurozentrischer Fokus in der Schulbildung haben kann. Meine gute Freundin, eine Kluge und damals bald 18-Jährige, hatte noch nie von dem Hoffnungsträger der Freiheitsbewegung in Südafrika gehört, auch von der Apartheid selbst wusste sie nichts.
Denn wir hatten das Thema erst später in der 7. Klasse durchgenommen. Ob es davor nicht vorgesehen oder aus Zeitmangel übergangen worden war, wusste ich nicht. Dass die blinden Flecken über Afrika in unserer Bevölkerung groß sind, wurde mir nach und nach bewusst.
Nicht nur Schulen, v.a. auch viele Medien verabsäumen es, die Bevölkerung mit Informationen über den Kontinent Afrika zu versorgen, die es erlauben, mehr zu sehen als einen Verbund krisengebeutelter Staaten und die Heimat exotischer Tiere. Menschen mit Wurzeln aus afrikanischen Ländern bleibt oft nichts anderes übrig, als genervt mit den Augen zu rollen, wenn sie mit Unwissenheit oder Halbwissen über Afrika konfrontiert werden.
In diesem Spannungsverhältnis ist nun auch das Bemühen Schwarzer AktivistInnen zu verstehen. Wer etwa anmerkt, dass der nonchalante oft verherrlichende Umgang mit der blutigen Kolonialzeit unpassend ist, oder auf die rassistische Bezeichnung eines auch von mir heiß geliebten Schokokuchens mit Schlag aufmerksam macht, erntet oft nur Unverständnis und wird mit dem Prädikat „übersensibel“ versehen. Paradox. Denn tatsächlich ist eben der Mangel an Sensibilität und Wissen gepaart mit Ignoranz über die langen leidvollen Episoden Schwarzer Geschichte, die verhindert, dass Menschen das ungerechte koloniale Erbe in scheinbar Nebensächlichem erkennen.
Auch ich musste mir, was ich über die Ausbeutung und Entmenschlichung Schwarzer Menschen durch europäische Kolonialmächte weiß, mühevoll selbst beibringen. Selten fand ich derlei Informationen im TV-Hauptabendprogramm oder auf Titelseiten von Printmedien. Aber Bildungslücken lassen sich schließen, wenn man will. In diesem Sinne: Sklaven wurden seinerzeit auch nach Österreich verschleppt. 1815 wurde die Abschaffung der Sklaverei in Europa auf den Weg gebracht – am Wiener Kongress.
Clara Akinyosoye ist freie Journalistin und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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