Das Vermächtnis der Frau Bock
SONDERECKE. |Wer sich zu den Ausgegrenzten stellt wird selbst ausgegrenzt. Aber die Solidarität vieler holt sie in die Mitte zurück. Um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, lllustration: Petja Dimitrova
Ute Bock ist gestorben. Am Ende zeigte sich die Anerkennung in ihrer ganzen Wucht. Zum Lichtermeer am Heldenplatz kamen Tausende, denen Bock etwas bedeutet hatte. Zwei Bundespräsidenten, der Bürgermeister, die Parteispitzen und das UN-Hochkommissariat meldeten sich zu Wort. Die Stadt Wien bot ein Ehrengrab an. Sogar der Kanzler hat seinen Respekt getwittert.
Frau Bock hätte den amtlichen Zuspruch klammheimlich genossen und ihre Genugtuung mit ein paar spöttischen Bemerkungen kaschiert.
Man muss sich in Erinnerung rufen, Frau Bock war in dieser Stadt eine Paria gewesen. Als die noch völlig unbekannte Erzieherin im Jahr 1999 bei einer Vorstandssitzung von SOS Mitmensch vorstellig wurde, hatte die Polizei in ihrem Gesellenheim gerade ein halbes Kilo Kokain und Heroin sichergestellt.
Gegen Bock wurde wegen Drogenhandels und Bandenbildung ermittelt, die Stadt Wien hatte die Heimleiterin dienstfrei gestellt und ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Bock hatte zu dieser Zeit nicht mehr viele FürsprecherInnen. Der Suspendierung war eine kontinuierliche Zerrüttung mit ihren Vorgesetzten vorangegangen. Bock hatte standhaft die Weisungen ignoriert, unterstandslose Schwarze abzuweisen. Flüsterpropaganda zeichnete die Gefallene als unzuverlässige Person, die auf sozialarbeiterische Qualitätsstandards pfeife.
Wer sich zu den Ausgegrenzten stellt, wird selbst ausgegrenzt. Das ist der erste Satz aus dem Vermächtnis der Frau Bock.
SOS Mitmensch stiftete den Ute-Bock Preis.
Noch im selben Jahr wurde er der Namensgeberin mit Hilfe der Grünen im Wiener Rathaus verliehen. Dann bauten wir in unserem Gassenlokal einen Verein und Infrastruktur für Frau Bock auf. Die Solidaritätsaktionen „Bock auf Bier“ und „Bock auf Kultur“ spielten 300.000 Euro ein. Der Rest ist Geschichte. Zahlreiche Initiativen folgten. Frau Bock erlangte Kultstatus und 2005 bezog ihr neuer Verein eigene Räumlichkeiten. Zu dieser Zeit konnte auch die „Operation Spring“ öffentlich aufgearbeitet und Frau Bock voll rehabilitiert werden. Solidarisches Handeln der Vielen holt die Ausgegrenzten in die Mitte zurück. Das ist der zweite Satz aus dem Vermächtnis der Frau Bock.
Die sture Menschlichkeit der Frau Bock gibt uns Halt und Orientierung. Bock sah im Gegenüber zunächst vorbehaltlos ein gleichartiges Wesen. Das berührt uns tief, weil uns unsere Sehnsucht nach diesem Ideal im eigenen Alltag laufend mit dem Scheitern konfrontiert. Ihre geradezu unerbittliche Hilfsbereitschaft war aber immer auch zwiespältig. Frau Bock hat sehr viel gelitten. Zwar war sie die Meisterin der scherzenden Aufrichtung, doch für ihren eigenen Schlaf hat die Zeit nicht immer gereicht. Mit Humor und Selbstliebe bewältigen wir die Gratwanderung zwischen Engagement und Aufopferung.
Das ist trotz allem der dritte Satz aus dem Vermächtnis von Frau Bock.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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