Der Alleingang
SONDERECKE. Staunend fragen wir uns: Warum ist Sebastian Kurz bloß so erfolgreich? Um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Der künftige Kanzler ist an Talenten reich gesegnet. Doch eine Begabung des Sebastian Kurz sticht heraus. Er beherrscht die Kunst des Alleingangs. Nehmen wir das Dachstein-Video vom Wahlkampf. Die Sterne funkeln noch als Kurz in die Route einsteigt. Er werde das Land wieder an die Spitze führen. Die Stirnlampe lenkt den Blick über Gletscherspalten. Gefahr lauert. Doch Kurz durchschreitet das Eisfeld zügig. Oben am Gipfel ist nicht viel Platz. Was sagt einer, der die Welt als Spitze denkt zu denen, die unten gebliebenen sind? Kurz blickt dem Morgenrot entgegen. Er macht das für uns alle, beteuert er. Am Ende hätten alle etwas davon. Aber fehlt auf dem Video nicht etwas? Das Seil, mit dem das Leben von Kurz an seinen Bergkameraden hängt, es führt auf den Kamerabildern ins Leere. Die Gefährten wurden penibel rausgeschnitten. Sie passen nicht in die Erzählung vom Gehen des einsamen Weges.
Die Gipfel-Metapher bildet das Herzstück türkis-schwarzer Ideologie. In der Leistungsgesellschaft bestimmt die Anstrengung des Einzelnen über die Verteilung von Ressourcen, Chancen und Status. Im Sinnbild des Gipfels jedoch ist das Leistungsprinzip auf eine ganz bestimmte Weise ausgeprägt. Eine Pyramide ist keine Kugel, da ist nicht für alle oben Platz. Die zentrale Achse läuft vertikal. Ein erster Platz bedingt einen zweiten. Konkurrenz geht vor Kooperation. Du oder ich.
Früh hat Kurz auch in der Asylkrise von 2015 auf den nationalen Alleingang gesetzt. Das dokumentiert ein neues Buch von Redakteuren der Tageszeitung „Die Presse“. Sie rekonstruieren was sich damals hinter den Kulissen ereignete. Kurz wollte einen Dominoeffekt durch bilaterale Grenzschließungen auslösen. Wenn ein Land die Balken runter lässt, müssen die anderen nachziehen. Europa war in der Vergangenheit durch Krisen gewachsen. Diesmal sollte eine gemeinsame Lösung verhindert werden. Denn die ÖVP will eine Vergemeinschaftung der Asylpolitik verhindern. Daran arbeitet sie seit Jahren.
Die Dominosteine hatten aber andere angestoßen. Nachdem Ungarn Mitte Oktober die Grenzen schloss, wollte Slowenien nachziehen und lud zum Polizeigipfel mit Mazedonien, Serbien und Griechenland. Mit dem Ergebnis, dass Mazedonien im November den Zugang drastisch einschränkte. Beim zweiten Treffen im Dezember vereinbarte man schon die Registrierung der Flüchtlinge. Österreich stieß dann beim dritten Meeting im Jänner dazu. Da war bereits alles gelaufen. Das zeigen auch die Statistiken der deutschen Behörden. Im November brach die Zahl der Grenzübertritte ein. Als Kurz im Februar Amtskollegen nach Wien lud, um „die Balkanroute zu schließen“, waren die Zahlen bereits unter die Werte von 2014 gefallen. Es nützt vielleicht nicht allen, wenn nach der Krise weiter gewurschtelt wird wie davor. Den Alleingänger soll das nicht hindern, sich einen Erfolg auf die Fahnen zu heften.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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