Der Einzelkämpfer
Drei Jahre nach seiner Ankunft in Österreich ist Ameer Ibrahim in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Er berät Flüchtlinge, die mit ihm nach Österreich gekommen sind. Eine Geschichte über Durchhaltevermögen, Leistung und Optimismus. |Text: Muhamed Beganovic Fotos: Karin Wasner
Man braucht Antrieb und Geduld, wenn man was schaffen will“, sagt Ameer Ibrahim, 27, aus Damaskus, Syrien. Er sitzt in einem syrischen Lokal im zehnten Bezirk und nascht an einem Schawarma. Er trägt einen beigefarbenen Pullover und Jeans. Seine Haare sind dunkel und kurz, sein Bart getrimmt. In beiden zeigen sich einzelne, weiße Härchen. Ein silberner Ehering ziert seine linke Hand. Er redet viel und schnell und man spürt sofort seinen Tatendrang. Er ist ein aktiver Mann. Passivität versteht er nicht. Er arbeitet Vollzeit als Berater und Trainer von benachteiligten Jugendlichen, insbesondere Asylberechtigten, Flüchtlingen und Drittstaatsangehörigen in einem Beratungszentrum namens Equalizent. Zusätzlich arbeitet er noch geringfügig als Referent bei der Magistratsabteilung 17. In seiner Freizeit lernt er Deutsch und liest viel Zeitung, Ameer ist es wichtig, über das Geschehen in Österreich bescheid zu wissen. Obwohl er in Syrien leidenschaftlich Basketball gespielt hat, fehlt ihm nun dafür die Zeit. „Mein Ziel ist es“, sagt er, „nie zum AMS gehen zu müssen.“ Und ein solches Vorhaben verlangt eben Einsatz.
Seine Geschichte ist die eines Kämpfers, eines selbstgemachten Mannes. Sie beginnt August 2014. Der Krieg in Syrien tobt weiter und Ibrahim, der bis dahin sein Land nicht verlassen wollte, sieht keine andere Chance.
„Ich hatte ein Studium der Finanzwirtschaft begonnen und als Kundenberater gearbeitet. Ich hatte mir was aufgebaut, das ich nicht aufgeben wollte“, sagt er. Doch der Krieg erreichte Damaskus und er kann nicht mehr bleiben, also flieht er. Und dann stellt sich ihm eine Frage, über die er bis dahin nicht nachdenken musste: Wohin? In arabische Länder? In die Türkei? Oder doch Europa? Er entscheidet sich für Letzteres, weil „in Europa Flüchtlinge noch menschlich empfangen werden“, wie er sagt.
Eberndorf, Kärnten
Ameer Ibrahim war nur einer von etwa 250.000 Flüchtlingen, die 2014 eine gefährliche Route über das Mittelmeer und die Balkanstaaten nahmen, in der Hoffnung sich in Zentraleuropa endlich sicher zu fühlen. 2015 waren es über eine Million Menschen, die aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Irak, Libyen oder Afghanistan flüchteten. In den Medien wurde der Massenzustrom an Flüchtlingen zynisch als Krise bezeichnet, dabei hat Europa genügend Ressourcen, die Menschen aufzunehmen. Wenn nun über mangelnde Deutschkenntnisse der Geflüchteten geklagt wird, sollte dazugesagt werden, dass es einen eklatanten Mangel an Kursplätzen gab. Eigentlich erstaunlich, dass die Integration trotzdem so gut funktioniert. Menschen wie Ameer Ibrahim sind ein Beispiel dafür.
Anfang Dezember 2014 setzt Ibrahim zum ersten Mal seinen Fuß nach Österreich. Traiskirchen. Von dort geht es weiter nach Kärnten. Eberndorf, Gemeinde Völkermarkt. Knapp 6.000 Einwohner. Hier gibt es wenige Möglichkeiten, die Zeit zu vertreiben, manchmal spaziert er am sechs Kilometer entfernten Klopeiner See. Aber Zeitvertrieb ist nicht seine Priorität. „Es war mir schon von Anfang an klar, dass ich unbedingt schnell die Sprache lernen muss“, so Ibrahim. Er wartet nicht darauf, bis ihm jemand einen Kurs anbietet, sucht im Internet nach Unterlagen, schaut Youtube Videos und geht bei Thalia Bücher einkaufen. Acht Monate später ist sein Deutsch auf A2 Niveau. „Für mich ist Deutsch wie ein Ozean, in dem man treibt. Immer wieder muss ich nach etwas greifen, um nicht zu versinken“, sagt Ibrahim poetisch. Er meint damit, dass er sich Hilfe holen muss. Egal, ob durch Bücher oder Gespräche. „Es war mir egal, wenn ich dabei Fehler gemacht habe. Ich wollte lernen“, so Ibrahim. Als er nach seinem positiven Asylbescheid die Möglichkeit bekommt, bei einer österreichischen Familie in Villach zu wohnen, lehnt er freundlich ab: die Stadt ist ihm zu klein. Er zieht nach Linz weiter. Dort erhofft er sich Arbeit, doch das entpuppt sich als schwierig. Beim AMS trifft er auf Berater, die ihm entweder nicht helfen können oder nicht helfen wollen. Seine Zeit will er aber nicht ungenutzt lassen und so beginnt er Intensivkurse zu besuchen. B1 und B2. Er stellt einen Antrag auf Familienzusammenführung und holt seine Frau und die gemeinsame, vierjährige Tochter nach Österreich. Sie kommen im Oktober 2015 in Linz an. Erst als sie da sind, merkt er, dass die Gesellschaft nicht immer Akzeptanz zeigt. „Meiner Frau und mir wurde des Öfteren mit Hass und Ablehnung begegnet“, sagt Ibrahim. Nach sechs Monaten verabschiedet sich Familie Ibrahim von Linz und zieht nach Wien um. Erst hier beginnt Ameer Ibrahim zu erblühen.
Wollte Arbeit statt Geld vom Staat
Er ersucht das AMS um Unterstützung bei der Jobsuche, verschickt aber auch täglich Bewerbungen per Mail. „Ich wollte etwas arbeiten und nicht Geld vom Staat beziehen“, sagt er. Seine Frau versteht nicht, wie er so optimistisch bleiben kann. „Ich wusste, dass ich was finden werde. Ich habe nur Deutsch gebraucht“, sagt er heute. Sein Trumpf im Ärmel ist, dass er Arabisch sprich. „Mir war klar, dass es Firmen geben muss, die Menschen suchen, die sowohl Deutsch als auch meine Muttersprache Arabisch können.“ Tatsächlich erhält er im Oktober 2016 seinen ersten Job, nämlich jenen bei Equalizent.
Wenn Ameer Ibrahim über seine Jobs spricht, schwingt Stolz mit in seiner Stimme. Er redet dann langsamer, damit man auch wirklich jedes Detail versteht. Er macht den Eindruck, als würde er seinen Job lieben. Seine Aufgabe ist nun, Jugendliche zum Thema Bildung und Beruf zu beraten und betreuen. „Mein Job ist es, die Wünsche der Jugendlichen der Realität anzupassen“, formuliert Ibrahim es. Das bedeutet auch, dass er ab und an Jugendliche enttäuschen muss. „Manche träumen davon, Ärzte zu werden, haben aber keinen Hauptschulabschluss“, sagt er. Das sei nicht realistisch. „Ich muss dann schauen, etwas für sie zu finden, mit dem sie zufrieden sind“, erklärt er. Manchmal nutzt er seine neu gewonnenen Kenntnisse des österreichischen Bildungssystems, um auch seine Frau zu beraten. „Ich habe ihr zuallererst geraten, Deutsch zu lernen“, erzählt er. Sie besucht derzeit einen A1-2 Kurs. Er übt mit ihr, wenn er zu Hause ist. „Was sie danach macht, bleibt ihr überlassen. In Syrien hat sie Bankwirtschaft studiert, in Österreich kann sie darauf zurückgreifen. Seine Unterstützung hat sie – unabhängig davon, wie sie sich entscheidet. „Wichtig ist“, sagt Ibrahim, „sich zu bemühen. In dem Zentrum, wo ich arbeite, gibt es einen 18-Jährigen, der mit mir gemeinsam nach Österreich gekommen ist. Er lernt immer noch A2“, sagt Ibrahim, während sein Unverständnis deutlich wird. Er glaubt, es mangle den Leuten an Motivation und Einsatz. Dass nicht jeder die Möglichkeit hatte, eine höhere Bildung in der Heimat zu genießen, vergisst der engagierte Mann mitunter. Natürlich, jeder will etwas Gutes für sich aufbauen, meint er. Und dafür müsse man jede Chance ergreifen. Auf die Frage, was denn sei, wenn das Leben oder die Gesellschaft gerade keine Chancen vergibt, antwortet er: Dann solle man sich selber welche schaffen. Wem keine Deutsch-Kurse vermittelt werden, der könne sich Sprachkenntnisse ja online zulegen. Und wer niemanden kennt, der sollte auf die Menschen zugehen, Kontakte knüpfen und Netzwerke schaffen.
Perfekter Poster Boy
Mit seiner Methodik wäre Ameer Ibrahim ein perfekter Poster Boy oder vielleicht sogar Integrationsbotschafter für Sebastian Kurz. Der predigt seit Jahren, dass Integration mit Leistung gleichzusetzen ist. Und obwohl Ibrahim mit der Integrationspolitik der ÖVP bzw. der Liste Kurz wenig anfangen kann – Zitat: „viel zu kalt und mechanisch“ – so zeigt er doch Verständnis für mehrfach kritisierte Forderung des Integrations- und Außenministers, geflüchtete Menschen sollten Ein-Euro-Jobs annehmen oder gemeinnütziger Arbeit nachgehen. „Wenn sie nichts anderes finden, sind auch diese Jobs gute Möglichkeiten, um besser Deutsch zu lernen und Kontakte zu knüpfen“, so Ibrahim. Würde er selbst auch so einen Job annehmen? Ja, sagt Ibrahim, wenn er nicht schon Arbeit hätte. Denn das wäre doch immer noch besser, als nur zu Hause zu sitzen oder im Park abzuhängen. Es sei immer ein Kampf gegen die Resignation. Man müsse dagegen ankämpfen und aktiv bleiben. Es brauche Zeit und Mühe, aber es lohne sich, sagt Ibrahim. „Nie aufgeben. Nie!“, sagt er und betont das Wort noch einmal. Leider, so beobachtet er, hören viele zu früh auf mit ihren Bemühungen.
Muhamed Beganovic, vor 28 Jahren in Mazedonien geboren, verbrachte zehn Jahre seiner Kindheit in Skopje, sechs Jahre seiner Pubertät in den Niederlanden und lebt seither in Österreich. Er arbeitet als freier Autor und Redakteur und schrieb u.a. für die Zeitschrift „Das Biber“ und die „Wiener Zeitung“.
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