Der Fisch stinkt …
Werden Polizist*innen sich an die Regeln halten, wenn der Minister sie ignoriert? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Polizeikolumne - Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt. Illustration: Petja Dimitrova
An welchen Werten sollen sich Polizist*innen in ihrer täglichen Arbeit orientieren? Was ist die Kernaufgabe der Polizei? Die an sich erfreuliche Antwort des Innenministers auf diese Fragen findet sich im Leitbild des BMI: „Wir schützen die Grund- und Freiheitsrechte und stellen sicher, dass alle Menschen in Österreich diese wahrnehmen können.“ Das Herz des Menschenrechtlers schlägt höher. Wie es sich für einen EU-Rechtsstaat gehört, werden ausdrücklich alle Menschen auf dem Staatsgebiet genannt. Menschenrechte sind universell. Schon kleine Risse im Sprungtuch machen es wertlos. Darum sind die EU-Staaten ausnahmslos allen Personen auf ihrem Hoheitsgebiet in der Verantwortung.
Schon länger beklagt sich Innenminister Gerhard Karner über die Anzahl der Menschen, die ihr Recht auf Überprüfung von Schutzbedürftigkeit in Anspruch nehmen und in Österreich einen Asylantrag einbringen. Und jetzt schlägt der Innenminister seinen europäischen Amtskolleg*innen vor, Menschen aus manchen Ländern künftig automatisch abzuschieben – ohne vorher Raszu klären, ob die Person dort sicher ist. Karner macht keine Gefangenen. Als Beispiel nennt er Indien. Ein Land, in dem die muslimische Opposition systematisch verfolgt wird. Journalist*innen werden dort mit fabrizierten Anklagen eingesperrt, Menschenrechtsgruppen zugesperrt und Aktivist*innen vom regierungsnahen Mob gelyncht. Aber der Schutz vor Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung gilt in Europa absolut. Niemand darf einer solchen Behandlung ausgeliefert werden. Darum muss jeder Fall fair geprüft werden.
Die Republik wurde bereits mehrfach verurteilt, weil sie genau dieses Recht verletzte. Asylsuchende wurden abgeschoben, ohne den Ausgang ihres Verfahrens abzuwarten. Der Verwaltungsgerichtshof hat ein Urteil bestätigt, wonach so genannte „Pushbacks“ „teils methodisch Anwendung finden“. Damit kommt zum Ausdruck, dass dieser Bruch des Folterverbots neben individuellem Fehlverhalten noch andere Gründe hat. Auch einen Innenminister, der seinen Beamt*innen zu verstehen gibt: Nehmen wir die eigenen Prinzipien nicht allzu ernst.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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