Deutschkurse für Asylsuchende: Frappante Unterschiede zwischen Bundesländern
Eine Recherche von SOS Mitmensch zu Deutschkursangeboten für Asylsuchende hat frappierende Unterschiede zwischen den Bundesländern zu Tage gefördert. Während Tirol, Wien und Salzburg vergleichsweise gute Sprachkursangebote bereitstellen, hinken andere Bundesländer hinterher. SOS Mitmensch fordert Verbesserungen in den Bundesländern und eine Initiative der Bundesregierung für ein flächendeckendes Deutschkursangebot für Asylsuchende.
--> Gesamtrecherche zum Download (inklusive Updates für Vorarlberg und das Burgenland)
Erstmals umfassender Bundesländervergleich
Die Recherche von SOS Mitmensch ist der erste umfassende Bundesländervergleich zum Angebot von Deutschkursen für Asylsuchende. Erhoben wurde, ob es im jeweiligen Bundesland einen Masterplan für flächendeckende Deutschkurse gibt, wie viele Asylsuchende tatsächlich einen Kurs besuchen können, wie intensiv die Kurse sind, welche Kursniveaus angeboten werden und wie lange die Wartezeiten für die Kursteilnahme sind. Es handelt sich um einen vorläufigen Vergleich, da in manchen Bundesländern Maßnahmen erst im Anlaufen sind. In einigen Monaten wird es von uns eine neuerliche Überprüfung geben.
Neun Länder, neun Vorgehensweisen
Bei der Gesamtauswertung schneiden Tirol, Wien, Salzburg und die Steiermark am besten ab, wobei es auch in diesen Bundesländern Verbesserungsbedarf gibt. Insgesamt auffallend sind die extremen Unterschiede zwischen den neun Bundesländern. So bewegt sich die Bandbreite beim Abdeckungsgrad der Kurse zwischen 25 und 86 Prozent der Asylsuchenden. Wer einen Kurs besuchen kann, erhält zwischen nur einer und 20 Stunden Unterricht pro Woche. In zwei Bundesländern, Oberösterreich und Niederösterreich, werden bestimmte Herkunftsgruppen von Asylsuchenden beim Zugang zu Deutschkursangeboten ausgegrenzt. In Vorarlberg und Burgenland gab es zum Zeitpunkt der Recherche noch keinen Plan für flächendeckende Deutschkurse (siehe dazu die Updates für Vorarlberg und das Burgenland weiter unten), in Kärnten nur einen Minimalplan.
Schlagwort „Sprache als Schlüssel zur Integration“
„Obwohl von Regierungsseite immer wieder betont wird, Sprache sei der Schlüssel zur Integration, ist Österreich derzeit ein Fleckerlteppich was die Bereitstellung von Deutschkursen betrifft. Für Asylsuchende ist es ein Lotteriespiel, ob sie in einem Bundesland landen, das Deutsch lernen ermöglicht, oder ob sie für Monate oder sogar Jahre zum Herumsitzen und Nichtstun verdammt sind. Das ist nicht im Interesse der Betroffenen und kann auch nicht im Interesse Österreichs sein“, kritisiert Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Pollak streicht zugleich die wichtige Arbeit hervor, die zahlreiche freiwillige Helferinnen und Helfer leisten, die viele Lücken füllen und ohne deren Engagement es in Sachen Deutschkurse für Asylsuchende weit düsterer aussehen würde.
Vorläufiges Gesamtranking
Das Gesamtergebnis der Recherche ergibt sich aus den durchschnittlichen Platzierungen der Bundesländer in den fünf Kategorien Masterplan, Abdeckungsrate, Kursintensität, Kursniveaus und Wartezeiten.
- Tirol
- Wien
- Salzburg
- Steiermark
- Vorarlberg (unter Berücksichtigung der nachgelieferten Zahlen rückt Vorarlberg von Rang 7 auf Rang 5 vor)
- Kärnten
- Oberösterreich
- Niederösterreich
- Burgenland
Tirol: Hoher Kursabdeckungsgrad, aber geringe Intensität
Das Land Tirol hat 2015 einen Masterplan ausgearbeitet, um Asylsuchende flächendeckend mit Deutschkursen versorgen zu können und erreicht mit 82,5% der Asylsuchenden schon einen großen Teil der Zielgruppe. Zumindest an großen Standorten werden nicht nur Alphabetisierungs- und Anfängerkurse, sondern auch höhere Kursniveaus angeboten. Bis auf wenige Ausnahmen gibt es keine Wartezeiten für die Teilnahme an Kursen. Großes Manko in Tirol ist jedoch die meist sehr geringe Intensität der Kurse, mit nur 3-4 Stunden pro Woche und bis zu 25 TeilnehmerInnen pro Kurs. Mit dieser niedrigen Kursintensität lassen sich kaum rasche Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache erzielen.
Durchschnittliche Anzahl der Deutschkursstunden pro Woche im jeweiligen Bundesland (Stand Jänner 2017)
Wien: Masterplan mit hoher Kursintensität, aber unbekanntem Abdeckungsgrad
Wien hat sämtliche Sprachfördermaßnahmen, zu denen zuvor nur Asylberechtigte Zugang hatten, auch für Asylsuchende geöffnet. Ein großes Plus ist die vergleichsweise hohe Kursintensität mit durchschnittlich 12-15 Stunden pro Woche. Außerdem werden zielgruppenspezifische Kurse angeboten, die auch auf spezielle Bedürfnisse, wie Kinderbetreuung Rücksicht nehmen. Allerdings verfügt die Stadt Wien über keine genauen Zahlen, wie groß der Anteil der Asylsuchenden ist, der durch Kursmaßnahmen erreicht wird. Im Frühjahr 2017 soll eine weitere Ausschreibung für Deutschkursplätze erfolgen.
Salzburg: Verpflichtende Teilnahme, hoher Kursabdeckungsgrad, aber geringe Intensität
Salzburg hat sich bereits 2008 dazu entschlossen, schon während des Asylverfahrens die Sprachförderung von Asylsuchenden aktiv zu betreiben. Seit November letzten Jahres ist die Teilnahme hier sogar verpflichtend. Gemeinsam mit der Volkshochschule wurde ein Kursangebot entwickelt, das inzwischen 75% der erwachsenen Asylsuchenden erreicht. Auch die Fahrten zu den Kursen werden vom Land bezahlt. Großes Manko ist allerdings, dass die Intensität der Kurse mit meist nur vier Wochenstunden sehr gering ist und kaum rasche Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache ermöglicht.
Steiermark: Später Programmstart, ansteigender Abdeckungsgrad, unterschiedliche Intensität
In der Steiermark wurde der Plan, flächendeckende Deutschkurse für Asylsuchende anzubieten, erst ab September 2016 umgesetzt. Inzwischen wurde ein Abdeckungsgrad von 60 Prozent bei erwachsenen Asylsuchenden erreicht, allerdings mit sehr unterschiedlichen Intensitätsgraden der angebotenen Kurse. Man setzt auf viele verschiedene regionale Anbieter. Derzeit werden nur Kurse von Alphabetisierung bis zum Niveau A2 angeboten.
Vorarlberg: Späte Forcierung des Kursangebots für Asylsuchende
Vorarlberg hatte seinen Fokus während der Durchführung dieser Recherche fast ausschließlich auf Deutschkurse für Asylberechtigte gelegt, weshalb das Angebot an Kursen für Asylwerbende mager ausfällt. Lediglich jede/r vierte Asylsuchende kann an Kursen teilnehmen. Auch die Wartezeiten auf einen Kurs sind dementsprechend lang. Wer jedoch das Glück hat, einen Kursplatz bei der Caritas zu ergattern, der bekommt hohe Intensität bei Kursen von der Alphabetisierung bis zum Niveau A2 geboten.
Update für Vorarlberg: Wir haben neue Zahlen aus Vorarlberg erhalten, wonach im Jahr 2016 3.685 Deutschkursplätze für Asylwerbende bereitgestellt wurden. Pro Asylwerbenden können 1-3 Kursplätze in Anspruch genommen werden, die absolute Anzahl an Asylwerbenden, die 2016 einen Kurs besucht haben, wurde vom Land Vorarlberg nicht bekanntgeben. Neben der Caritas wurden auch Kurse vom BFI der AK, den Volkshochschulen, WIFI, und dem Verein menschen.leben durchgeführt. Ob diese Kurse kostenlos waren, konnte uns von Seiten des Landes nicht beantwortet werden. Die Wartezeiten auf einen Deutschkursplatz wurden mittlerweile deutlich gesenkt.
Kärnten: Hoher Kursabdeckungsgrad, aber extrem geringe Intensität
In Kärnten ist in allen organisierten Quartieren eine Stunde Deutsch pro Woche vorgeschrieben. Der damit erreichte hohe Abdeckungsgrad von 86% kann jedoch nicht die extrem geringe Intensität der Kurse wettmachen. Eine Stunde pro Woche ist viel zu wenig, um Deutsch zu erlernen, auch wenn in der Praxis in einzelnen Quartieren etwas mehr Stunden angeboten werden. Für Inhalt und Niveau werden vom Land keine Vorgaben gemacht. Die Auswahl der KursleiterInnen wird durch die QuartiergeberInnen getroffen. Eine ausreichende Qualifikation ist damit nicht immer sichergestellt.
Oberösterreich: Ambitionierter Plan mit noch unbekannter Wirkung, teilweise Ausgrenzung
Das Land Oberösterreich hat Im Herbst 2016 einen Plan ausgearbeitet, Asylsuchende von Beginn an mit Deutschkursen zu versorgen. Die Intensität der Kurse ist gut und auch bei den Niveaus legt man es breit an, allerdings gibt es pro Kursmodul einen Selbstkostenanteil von 22,58 Euro und es gibt teilweise Einschränkungen der Kurse auf bestimmte Herkunftsländer, wodurch ein Teil der Asylsuchenden ausgegrenzt wird. Aktuelle Zahlen betreffend der Anzahl der Asylsuchenden, die Kurse besuchen können, und Wartezeiten wollte das Land nicht bekannt geben.
Angebotene Kursniveaus im jeweiligen Bundesland (Stand Jänner 2017)
Niederösterreich: Keine Zahlen, hohe Intensität, Ausgrenzung
In Niederösterreich gab es bis Mitte 2016 kein vom Land finanziertes Deutschkursangebot für Asylsuchende. Jetzt will man zwar flächendeckende Kurse mit hoher Intensität anbieten, beschränkt sich dabei aber auf Menschen aus Syrien, Iran, Irak und Afghanistan und grenzt somit einen Teil der Asylsuchenden aus. Bei den Kursniveaus beschränkt man sich auf Alphabetisierungs- und A1-Kurse. Die Verantwortlichen wollten keine aktuellen Zahlen bekannt geben, weshalb nicht klar ist, wie hoch der Anteil der Asylsuchenden ist, die mit den Kursen bisher erreicht werden, und mit welchen Wartezeiten Asylsuchende in Niederösterreich rechnen müssen.
Burgenland: Kein Masterplan, geringer Abdeckungsgrad
Im Burgenland existiert bisher kein Plan für ein flächendeckendes Angebot von Deutschkursen für Asylsuchende. Gemeinden können auf eigene Initiative hin beim Land für einen 90-Stunden Kurs um 5.000 Euro Förderung ansuchen. Lediglich jede/r vierte Asylsuchende kann bislang an kostenlosen Kursen teilnehmen.
Update für das Burgenland: Inzwischen haben wir neue Zahlen aus dem Burgenland erhalten, wonach im gesamten Jahr 2016 insgesamt 998 Asylsuchende kostenlose Deutschkurse besuchen konnten. Der Anteil der erwachsenen Asylsuchenden in Deutschkursen liegt gemäß der nun genannten Zahlen im Burgenland inklusive der kostenpflichtigen Plätze bei knapp unter 50 Prozent. Darüber hinaus wurden wir informiert, dass die Intensität bei kostenlosen Deutschkursen bei 3 mal 3 Stunden pro Woche, d.h. insgesamt 9 Stunden pro Woche liegt, womit Burgenland im Intensitätsranking vorrückt, im Gesamtranking jedoch nach wie vor zur Gruppe der Nachzügler gehört. Darüber hinaus hat der zuständige Landesrat Norbert Darabos angekündigt, bereits einen Masterplan in der Tasche zu haben, sodass in Zukunft "im Burgenland jeder Asylwerber die Möglichkeit haben wird, einen Deutschkurs zu besuchen".
Gesamtzahl der Asylsuchenden in der Grundversorgung (Stand Jänner 2017)
Verbesserungen dringend notwendig
„Bei den Deutschkursangeboten geht es um eine wichtige Investition in die Zukunft. Daher fordern wir alle Bundesländer dazu auf, ihr Angebot weiter zu verbessern. Ganz besonders gilt das für jene Bundesländer, die bisher den Kopf in den Sand gesteckt haben und sehr schwach abschneiden“, betont Sonja Dries, die für SOS Mitmensch die Recherche geleitet hat. Dries hebt die wichtige Arbeit zahlreicher Freiwilliger hervor, ohne deren Engagement die Deutschkurssituation noch weit schlechter aussehen würde.
Bundesweit einheitliches Vorgehen als Ziel
„Mittelfristig braucht es ein bundesweit einheitliches Vorgehen beim Deutschkursangebot. Es kann nicht sein, dass, je nachdem in welchem Bundesland er oder sie lebt, eine asylsuchende Person für Monate oder gar Jahre beim Deutschlernen im Regen stehen gelassen wird“, ruft Dries auch die Bundesregierung zum Handeln auf.
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