Neid: Du oder ich (aber nie wir beide)
POPULÄR GESEHEN. Der Neid schadet einem selbst, weil man sich das, was einem nützt, selbst versagt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Eine Kolumne von Martin Schenk, Illustration: Petja Dimitrova
In der Wiese des Stadtgartens steht ein Schild mit „Betreten verboten“. Österreich in den 1990er Jahren. Die Flüchtlinge aus Bosnien haben sich mit einem Esskorb und einem Tuch im Gras nieder gelassen. Die Aufregung ist groß, Beschimpfungen werden laut. Doch: Wäre es nicht für uns alle fein, im Gras zu sitzen, zu plaudern, zu trinken, zu spielen? Warum wenden wir uns nicht gemeinsam mit einer Petition an die Stadtregierung mit dem Wunsch, einen Teil des Stadtparks zur Benützung frei zu geben? So geschehen. Die Stadt hat eingelenkt. Seither spielen Kinder im Gras, Verliebte halten Hand, Familien setzen sich auf einen Plausch. Der Ärger ist wie verflogen.
So funktioniert der Neid. Das Enteignete wird gegenüber einer als anders definierten Gruppe als Eigenes angesprochen. Es waren offensichtlich nicht „wir“, die das Verbot aufgestellt haben, die Wiese zu betreten. Die Wiese wird gegenüber dem Anderen als Eigentum reklamiert, aber zugleich im Verhältnis zur eigenen Person als fremd angesprochen. Das ungelebte, für unmöglich gehaltene Leben wird von den anderen gelebt und erscheint somit als möglich. Es ereignen sich zwei Dinge. Einerseits die Ausblendung des eigenen Wunsches in der Wiese zu liegen, andererseits die Unterordnung unter die Instanz, die diesen Wunsch verunmöglicht.
Der Neid sagt: „Du oder ich“, aber nie: „Wir beide.“ Der Neid schadet einem selbst, weil man sich das, was einem nützt, selbst versagt. Der Neid narkotisiert den eigenen Genuss. Jetzt wird Asyl als Grund für Mindestsicherungskürzungen vorgeschoben, aber es trifft Behinderte, Familien mit Kindern, pflegende Angehörige und schadet damit allen. Durch den Neid auf die Flüchtlinge vergisst man das. Diese Verblendung, dass der Neider lieber selbst auf etwas verzichtet, als es dem Beneideten zu gönnen, schadet ihm selbst und nützt den weit Mächtigeren. Er ist ein Instrument, um diejenigen, die sich eigentlich zusammenschließen könnten um ihre eigene Lebenssituation zu verbessern, zu spalten.
Positiv gesprochen: Der Neid weist mich auf das hin, was ich eigentlich gerne hätte oder gerne wäre, was ich brauche, was mir gefällt, was ein gutes Leben ermöglicht. "Genießen“ kommt übrigens aus dem Mittelhochdeutschen und heißt: die Güter gemeinsam „nutz-nießen“. Es hängt sprachgeschichtlich mit „genesen“ zusammen.
In der Notschlafstelle in Wien beginnen sich Bewohner ausziehbare Wäschetrockner zu organisieren, die sie vor ihren Zimmerfenstern montieren, um ihre Hemden draußen zu trocknen. Die Zimmer sind eng, der Platz ist begrenzt, die Luft ist knapp. Soweit so sinnvoll. Die neuen Trockner lösen aber bei den AnrainerInnen im Haus große Empörung aus. Wie schaut das aus? Im Hof? Was soll das? Die Notschlafstelle wird mit erbosten Anrufen bombardiert. Nach wenigen Tagen aber, wie von Zauberhand, wachsen aus den anderen Fenstern Im Hof dieselben ausziehbaren Trocknervorrichtungen. Das ist offensichtlich keine so schlechte Idee. Finden auch die AnrainerInnen. Die Zimmer sind im gesamten billigen Altbau eher klein, so spart man Platz und hält die Feuchtigkeit draußen. Die wütenden Angriffe waren ab diesem Moment übrigens verflogen.
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich.
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