Eine Insel der Heilung
Seit sich die Schwarze Frauen Community 2003 gegründet hat, bietet sie einen safe space und viele Aktivitäten für Frauen, Kinder und Jugendliche. Mit der Black Lives Matter-Bewegung verzeichnet man zusätzliches Interesse. Politisch war man aber schon immer, sagt Mitgründerin Adaora Ofoedu. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Beverly Mtui
Ich hätte mir gewünscht, so etwas als Kind zu haben. Einen Raum, in dem ich mich entfalten kann, ohne dass ich beurteilt oder verurteilt werde“, sagt Adaora Ofoedu. Adaora ist sowohl in Graz als auch in Wien aufgewachsen. Als Kind war ihr noch nicht bewusst, wie über Schwarze Menschen gesprochen und gedacht wird. Dennoch wurde sie schon früh mit rassistischen Erfahrungen und Angriffen konfrontiert: „In Graz war es zwar schöner, aber da war ich auch noch ein Kind. Ab der ersten Klasse Volksschule in Wien wurde es heftiger. Wenn man älter wird, wird man sich der Dinge bewusster, auch über Rassismus und Diskriminierung. Rückblickend hätte ich mir an beiden Orten einen ‚safe space’ wie diesen gewünscht. Als kleines Kind merkt man aber natürlich nicht so viel. Erst später erkennt man, was Menschen über einen denken“, sagt sie.
Die Schwarze Frauen Community bietet einen Raum, in dem sich Kinder und Jugendliche entfalten können, ohne beurteilt zu werden.
Realität gemeinsam überstehen
Adaora ist Mitgründerin und Vorstandsmitglied der Schwarzen Frauen Community (SFC). Das ist ein gemeinnütziger Verein, der seit 2003 mit unterschiedlichen Angeboten Schwarze Kinder, Jugendliche und Frauen bestärkt und unterstützt. Anfangs hatten die Gründerinnen informelle Frauentreffen organisiert, um die Lücke an safe spaces für Schwarze Frauen zu füllen. „Wir haben uns nach einer Gemeinschaft gesehnt, die es in dieser Form in Österreich noch nicht gab. So haben wir beschlossen, uns selbst zu organisieren und den Verein zu gründen.“ Was zunächst nur als Entfaltungsraum für Schwarze Frauen gedacht war, wuchs sehr schnell zu einem Zufluchtsort und einer Insel der Heilung, auch für Kinder und Jugendliche. „Für uns war es wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem wir einander finden und uns austauschen können. Es ist einfacher, die Realität, in der wir leben mussten und noch immer leben müssen, gemeinsam zu überstehen.“
Die Programme der Schwarzen Frauen Community sind breit gefächert; in den Frauengruppen geht es um Themen wie Kunst, Selbst- und Fremdliebe, Feminismus, aber auch um Arbeit, Erziehung und Bildung. Darüber hinaus werden kreative Programme angeboten, es gibt Tanz- und Theaterworkshops oder auch eine Schreibwerkstätte, um den Austausch innerhalb der Gruppe zu fördern. Wichtig ist, Frauen darin zu unterstützen, ihre Geschichten nach außen zu tragen. Und auch die Kinder- und Jugendprogramme setzen auf Kreativität und künstlerischen Ausdruck: Malerei, Theater und Tanz helfen ebenso wie Diskussionen und Spiele, sich mit der eigenen Lebensrealität auseinanderzusetzen. Das Näherbringen von afrikanischer Kultur und Geschichte ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der SFC, um die Mitglieder in ihrer Identität zu stärken. Exkursionen und Veranstaltungsbesuche, sowie Sommercamps für alle drei Zielgruppen runden das Programm ab. Seit neuestem wird zusätzlich eine psychologische Betreuung von Schwarzen Psychologinnen und Psychotherapeutinnen angeboten.
Breites Programm: Exkursionen und Sommercamps.
Programm: von Gesprächen bis Shaolin-Training
„Der Verein hat sich immer schon mit den Anliegen der Vereinsmitglieder verändert. Nachdem wir anfangs nur mit Schwarzen Frauen und Kindern zusammengearbeitet hatten, ist uns klar geworden, dass wir auch weiße Mütter mit Schwarzen Kindern involvieren müssen. Der Gedanke war einfach der, ihnen Realitäten aufzuzeigen, die sie selbst nicht erleben. Denn auch ihre Kinder machen dasselbe durch wie wir.“ Durch das Sichtbarmachen von Vorurteilen und Rassismus, mit denen Schwarze Kinder konfrontiert sind, sollen auch die Eltern in Workshops und Beratungsgesprächen erreicht werden, damit sie ihre Kinder bestmöglich unterstützen und bestärken können.
Die Kinder- und Jugendarbeit hat sich mit den Jahren intensiviert. Körperliche und mentale Gesundheit der Kinder liegt an erster Stelle. So wird den Kindern auch Shaolin-Training angeboten sowie Meditationen, um Körper und Geist zu stärken. Zusätzlich wurden Mädchen- und Burschengruppen aufgestellt. „Es war uns auch relativ früh klar, dass wir mit Männern im Team zusammenarbeiten müssen, damit sich die Buben mit ihren Anliegen an männliche Bezugspersonen und Vorbilder wenden können.“ Geschlechterbezogene Vorurteile sollen abgebaut werden und Burschen sollen sich spielerisch mit Fragen der Identität auseinandersetzen. Aber auch das Empowerment von Mädchen hat im Verein einen hohen Stellenwert. Zum einen gibt es separate Mädchen- und Burschengruppen, zum anderen aber auch gemischte Programme, um Raum für Dialog und Dynamiken im Verein zu schaffen und „alle ins Boot zu holen“, wie Adaora versichert. „In allen Fällen ist es uns wichtig, die Kinder dort abzuholen, wo sie gerade sind. Sei es in ihrer Aggression oder in ihrer Wut, aber auch in ihrer Traurigkeit oder Freude und Begeisterung; wir passen uns an die Situationen der Kinder an und arbeiten dementsprechend mit ihnen zusammen.“
Viele Ansätze, etwa, sich spielerisch mit Fragen der Identität auseinanderzusetzen.
Positiver Impact durch Black Lives Matter
Das letzte Jahr hatte für einige Verän-derungen im Verein gesorgt; nicht nur aufgrund der Corona-Pandemie, auch die Black Lives Matter Bewegung und Demonstrationen haben ihre Spuren in der Schwarzen Frauen Community hinterlassen.
Durch die Black Lives Matter-Bewegung sind die Themen Rassismus und Diskriminierung in den Vordergrund gerückt. Die Gesellschaft wurde im öffentlichen Raum damit konfrontiert, und auch in der Schwarzen Frauen Community kam es zu spürbaren Veränderungen. „Als gemeinnütziger Verein haben wir natürlich auch die Auswirkungen der Bewegungen wahrgenommen. Viele Leute haben sich bei uns gemeldet und erzählt, dass sie ihren Beitrag zum Diskurs leisten und den Verein finanziell unterstützen wollen.“ Das Interesse an der Schwarzen Frauen Community und ihren Tätigkeiten ist gestiegen. „Der direkte Austausch mit uns war ebenfalls sehr erwünscht. Wir haben an Podiumsdiskussionen und Gesprächen teilgenommen, haben Interviews gegeben und grundsätzlich viel an Exposition dazugewonnen“, bestätigt Adaora. Die ehrenamtliche Mitarbeit ist durch die Resonanz der Bewegung ebenfalls gewachsen. „Das nehmen wir natürlich nicht für selbstverständlich. Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind eine gute und wichtige Stütze für den Verein. Es ist unglaublich wichtig, sie zu haben. Ohne sie wäre unsere Arbeit viel schwieriger.“
Auch die Gespräche innerhalb des Vereins wurden breiter. „Auch unsere Kinder und Jugendlichen haben sich mit der Bewegung auseinandergesetzt. Viele unserer Mitglieder waren aktiv in den Protesten in Wien mit eingebunden. Wir sind als Gruppe zu den Demos gegangen, einige von uns haben sogar vor Ort gesprochen. Gleichzeitig haben wir aufgrund der Situation, sowohl wegen der Pandemie als auch der Folgen der BLM-Bewegung selbst, unsere Angebote an psychologischer Betreuung ausgeweitet. Dabei kamen Themen zur Sprache, die auch re-traumatisierend waren, aber uns war es wichtig, genau das zu thematisieren und Unterstützung zu bieten, die jederzeit in Anspruch genommen werden konnte.“
Adaora Ofoedu: „Haben unsere Angebote im Lauf der Jahre immer stärker ausgeweitet.“
Die politische Arbeit im Rahmen der Bewegung ist aber keine Neuigkeit für die Schwarze Frauen Community. Im Jahr 2007 fand der erste „Black European Women’s Congress“ statt, der in Wien begonnen hat und von den Gründerinnen der SFC organisiert wurde. „Als Einzelpersonen haben sich viele von uns zum Teil schon seit Jahrzehnten aktiv an politischen Prozessen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen für die Anerkennung von Schwarzen Menschen in Österreich beteiligt. Ich demonstrierte bereits im Jahre 1999 nach dem Mord an Marcus Omofuma, und bin nicht die einzige in unserem Team. Wir sind immer schon politisch gewesen.
Darüber hinaus ist Politik eine Sache, die Teil des Vereins ist. Es wäre anders auch nicht möglich. Schon unsere Identität ist politisch. Wir sind von Alltagsrassismus sowie strukturellem Rassismus betroffen. Wir müssen politisch sein, es geht nicht anders.“ Genau deshalb sei auch die unabhängige Stelle für Polizeigewalt, die für Herbst 2021 angekündigt ist, eine notwendige Maßnahme, die auch Adaora Hoffnung gibt. „Die Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen müssen anerkannt werden, und dementsprechend muss auch ausreichend rechtliche Unterstützung geboten werden. Wir dürfen in solchen Situationen nicht allein gelassen werden.“ Nicht nur die Schwarze Frauen Community soll ein Ort sein, in dem sich Schwarze Menschen entfalten, ermutigt und empowered werden, sondern ebenso ganz Österreich. „Wir stehen nicht still, wir verändern uns laufend“, betont Adaora abschließend, und genau dieses Denken muss auch gesamtgesellschaftlich umgesetzt werden.
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