Eine Lebensretterin, die kein bisschen pensionsreif ist
ANDERE ÜBER. Die Genfer Flüchtlingskonvention wird immer wieder, gerne auch in Wahlkampfzeiten, in Frage gestellt. Doch es braucht sie mehr denn je.
Kommentar: Christoph Pinter.
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Vor fast genau 73 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet und mit ihr ein Meilenstein im Menschenrechtsschutz gesetzt: In der Konvention, kurz GFK genannt, wurde zum ersten Mal festgeschrieben, wer ein Flüchtling ist, welche Rechte und Pflichten Flüchtlinge haben und dass niemand in ein Land zurückgeschickt werden darf, wo ihm oder ihr Verfolgung droht. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die GFK über Jahrzehnte Millionen von Menschenleben gerettet hat.
Periodisch werden jedoch Stimmen laut, die die Flüchtlingskonvention gern ändern würden: Sie sei in die Jahre gekommen, die globale Situation habe sich geändert oder, mit anderem Grundtenor, sie biete nicht mehr genügend Schutz …
Uns bei UNHCR erfüllen solche Überlegungen mit Sorge. Aktuell haben rund 150 Staaten die Konvention unterzeichnet. Wenn man die Konvention, aus welchen Gründen auch immer, aufschnüren würde – könnte man jemals wieder dieses breite Bekenntnis der Staaten zum Flüchtlingsschutz erreichen? Oder wollen manche Akteur:innen eben damit erreichen, dass die GFK und der Flüchtlingsschutz geschwächt werden?
Viel inhaltliche Kritik läuft aus unserer Sicht auch ins Leere: Die Verfasser:innen der Konvention hatten schon damals mit viel Weitblick festgestellt, dass Flüchtlingsschutz nur durch Solidarität zwischen den Staaten lösbar sein wird. Und genau diese Solidarität zwischen den Staaten vermissen wir manchmal schmerzlich. So leben 70 Prozent aller Flüchtlinge aktuell in ihren Nachbarländern und rund 75 Prozent in Ländern mit geringem oder niedrigem Einkommen. Umgekehrt formuliert: Trotz Ukraine-Krieg mitten in Europa lebt insgesamt nur ein geringer Prozentsatz von Flüchtlingen weltweit in Europa.
Bei UNHCR versuchen wir deshalb, die Konvention stärker mit Leben zu erfüllen und Staaten und andere Akteur:innen dazu zu motivieren, sich im Rahmen des Globalen Pakts für Flüchtlinge gemeinsam zu engagieren. Innerhalb von Europa wiederum würden einheitlichere Schutz- und Aufnahmestandards zu einer gerechteren Verteilung von Menschen auf der Flucht führen. Wir hoffen, dass der soeben verabschiedete EU-Asyl- und Migrationspakt in seiner Umsetzung positive Auswirkungen darauf hat.
Ebenso haben die Verfasser:innen die Konvention derart flexibel gestaltet, dass sie auch neueren Schutzanforderungen gerecht wird und in ihrer Auslegung weiterentwickelt werden kann. Etwas praktischer an zwei Beispielen festgemacht: Genitalverstümmelung bei Mädchen oder Kindersoldaten waren in den 1950er Jahren sicher noch kein großes Thema, jetzt herrscht Einigkeit, dass dies Fluchtgründe sein können.
Die Genfer Flüchtlingskonvention erfüllt also auch mit 73 Jahren nach wie vor ihren Zweck – ihre Umsetzung wird aber wohl auch in Zukunft weiter für Diskussionen sorgen.
Christoph Pinter ist Jurist und leitet seit 2011 das Österreich-Büro des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.
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