
Mindestsicherung: Text von Elfriede Jelinek gegen den „Sturz ins Bodenlose“
Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek nimmt mit einem Text zur geplanten Kürzung der Mindestsicherung Stellung. Jelinek spricht davon, dass mit den Sozialkürzungen „auch die Menschen abgeschafft“ werden, „weil sie ständig über dem Abgrund hängend, nicht mehr leben können“. Die Schriftstellerin unterstützt die Protestinitiative von SOS Mitmensch.
Arme zum Verschwinden bringen
„Diese Regierung führt vor, wie wir die Armen zum Verschwinden bringen können, denn sie zählen nicht mehr, obwohl sie doch ständig gezählt werden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Verschwunden. Für uns und für sie selbst, denn mit dieser neuen Mindestsicherung, die zumindest das Wort Sicherung sofort streichen sollte, sind auch die Menschen abgeschafft, weil sie, ständig über dem Abgrund hängend, nicht mehr leben können“, schreibt Jelinek in ihrer scharfen Kritik an der geplanten Kürzung der Mindestsicherung.
Kein Wohlbehagen
Die Literaturnobelpreisträgerin kritisiert auch das immer wieder verwendete Bild von der „sozialen Hängematte“: „Das angebliche Wohlbehagen, mit dem sich Menschen in dieser Hängematte eingerichtet haben (während sie doch den Abgrund darunter immer gespürt haben), es war keins. Man kann kein Wohlgefühl haben, wenn die Maschen sich jederzeit öffnen können, der wacklige Boden aufgetrennt wird, und man ins Bodenlose stürzt. Das ist jetzt mit der Kürzung der Mindestsicherung geplant, punktgenau als Ausgangspunkt für diese sogenannte Sozialstaatsreform.“
Hier der gesamte Text von Elfriede Jelinek:
„Es wird oft von der sozialen Hängematte gesprochen, wenn Menschen es sich angeblich auf Kosten des Staats zu gut gehen lassen und sich daher gehenlassen können. Aber eine Hängematte, zumindest die meiner Kindheit, besteht aus Schnüren, dazwischen nichts als Löcher. Und jetzt wollen sie auch noch die dünnen Seile dazwischen kappen. Es folgt das Nichts. Das Netz wird immer schleißiger gemacht, damit es von außen immer weniger einladend aussieht. Aber immer mehr müssen hinein, mitgehangen, mitgefangen, mit Ausländern, mit Fremden, die sie für uns sind. Das angebliche Wohlbehagen, mit dem sich Menschen in dieser Hängematte eingerichtet haben (während sie doch den Abgrund darunter immer gespürt haben), es war keins. Man kann kein Wohlgefühl haben, wenn die Maschen sich jederzeit öffnen können, der wacklige Boden aufgetrennt wird, und man ins Bodenlose stürzt. Das ist jetzt mit der Kürzung der Mindestsicherung geplant, punktgenau als Ausgangspunkt für diese sogenannte Sozialstaatsreform. Doch je mehr Daten erhoben werden, desto weniger können sich die dazugehörigen Menschen, die eben nicht dazugehören sollen, aus ihrer Armut erheben, denn diese Regierung steht den Daten vollkommen gleichgültig gegenüber, es könnten auch ganz andre Daten sein, mehr oder weniger, sie werden ignoriert. Hauptsache, es wird den von ihnen Erfaßten, die man gar nicht wirklich erfassen will, die Luft abgeschnürt. Bisher haben die Löcher noch halbwegs zusammengehalten, ab und zu geflickt, aber es ging noch irgendwie. Jetzt aber sollen die Schwächsten uns aus den Augen geschafft werden, wie lebende Tote, sie sind da, werden aber nicht mehr zur Kenntnis genommen. Diese Regierung führt vor, wie wir die Armen zum Verschwinden bringen können, denn sie zählen nicht mehr, obwohl sie doch ständig gezählt werden. Aus den Augen, aus dem Sinn. Verschwunden. Für uns und für sie selbst, denn mit dieser neuen Mindestsicherung, die zumindest das Wort Sicherung sofort streichen sollte, sind auch die Menschen abgeschafft, weil sie, ständig über dem Abgrund hängend, nicht mehr leben können. Alles mindestens neu, wenn nicht zumindest neuer, mindestens.“
Zahlreiche prominente UnterstützerInnen
Mit ihrem Text unterstützt Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek die Protestinitiative von SOS Mitmensch gegen die Kürzung der Mindestsicherung. Auch zahlreiche weitere prominente Persönlichkeiten, wie Karl Markovics, Pia Hierzegger, Erwin Steinhauer, Kathrin Resetarits, Gregor Seberg, Nadja Maleh, Gerold Rudle, Martina Poel, Wolfgang Ambros und Lukas Resetarits, unterstützen die Initiative.
Jetzt unterzeichnen!
Mehr als 14.500 Menschen haben die Protestpetition von SOS Mitmensch gegen die drohende soziale Kälte in Österreich bisher unterzeichnet: https://www2.sosmitmensch.at/site/petition/petition/24.html
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Martina Poel: „Es ist traurig und gefährlich Menschen, die schon wenig haben, noch mehr wegzunehmen. Da geht es auch ganz stark um Würde. Durch Zusammenhalt und Solidarität kann man gemeinsam sicher mehr erreichen um den sozialen Frieden zu stabilisieren." |
Gerold Rudle: „Mindestsicherungsbeziehern wird unterstellt, generell faul zu sein und sich ein schönes Leben mit unseren Steuern zu machen. Das ist eine Frechheit! Eine Gesellschaft wie die unsere, darf nicht wegschauen bei denen, die keine Lobby haben, die nicht laut sein können, die frieren und hungern. Unterstützen, Nächstenliebe und Menschlichkeit sind gefragt. Armen Menschen etwas wegzunehmen und dabei vorzugaukeln, es sei zu unser aller Besten, DAS ist wirklich ARM(selig). Hinschauen! Aufstehen! Unterzeichnen! Bitte.“ (Foto: Manfred Halwax) |
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Wolfgang Ambros: „Der solidarische Kampf gegen Armut steht für Menschlichkeit, Stabilität und Sicherheit. Die Regierung zielt mit ihrer Propaganda auf die sozial Schwächsten. Ich hoffe, dass eine wache Mehrheit in diesem Land ihr nicht auf dieser Reise nach Rückwärts folgt.“ (Foto: Franz Neumayr) |
Karl Markovics: „Ich verdiene sehr gut und zahle deshalb 50% Steuer. Das tue ich gerne, weil es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit darstellt. Die jetzige Regierung macht das Gegenteil: Sie verdient an gestiegenen Steuereinnahmen und nimmt denen, die vom gestiegenen Wohlstand am wenigsten haben, auch noch etwas weg!“ (Foto: Till Brönner) |
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Pia Hierzegger: „Warum denen etwas wegnehmen, die ohnehin schon wenig haben, wenn man weiß, dass sie dann in die Armut abrutschen? Das ist weder menschlich, noch sozial und wirtschaftlich auch nicht klug." (Foto: Inge Prader) |
Erwin Steinhauer: „An den christlich-sozialen Bundeskanzler: Ich bitte Sie um Solidarität und Menschlichkeit, denn wie wir mit den Schwächsten unserer Gesellschaft umgehen, zeigt den Reifegrad unserer Zivilisation.“ (Foto Nancy Horowitz) |
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Kathrin Resetarits: „Gibt es nichts Wichtigeres zu tun als den Ärmsten in unserer Gesellschaft noch etwas wegzunehmen? Die einzigen, denen diese Entsolidarisierung etwas nützt, sind die, die sich Vorteile kaufen können, die genug Geld und damit auch genug Macht haben, um sich sicher zu fühlen.“ |
Gregor Seberg: „‘Nehmt den Armen und gebt den Reichen!‘ Das scheint das Motto der Regierung zu sein. Ich spreche mich vehement gegen die Kürzung bei der Mindestsicherung aus.“ (Foto Jan Frankl) |
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Nadja Maleh: „Soziale Gerechtigkeit kennt keine Ethnie. Sie gilt für alle Menschen. A.L.L.E. Das Anrecht auf diese Unterstützungsleistung sollte erhalten bleiben.“ (Foto Ludwig Rusch) |
Lukas Resetarits: „Schande über jene, die Schwache schwächen und Arme ärmer machen!“ (Foto Katrin Werzinger) |
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Existenzbedrohende Verluste
SOS Mitmensch warnt davor, dass die „Sozialhilfe neu“ der Bundesregierung die Falltür zu tiefer Armut öffnet. Paaren ohne Kind droht ein jährlicher Verlust von bis zu 1.036 Euro, wenn sie Pflichtschulabschluss haben. Ohne Pflichtschulabschluss bzw. ohne gute Deutschkenntnisse droht ihnen sogar ein Verlust von bis zu 8.236 Euro. Für Elternpaare mit Kindern ist der Verlust noch dramatischer. So droht etwa Elternpaaren mit drei Kindern ein jährlicher Verlust von bis zu 4.764 Euro, wenn sie Pflichtschulabschluss haben. Ohne Pflichtschulabschluss bzw. ohne gute Deutschkenntnisse droht Paaren mit drei Kindern ein Verlust von bis zu 11.964 Euro. Auch Alleinstehende erleiden teils erhebliche Verluste, wenn sie keinen Pflichtschulabschluss oder mehr als zwei Kinder haben.
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