„Für ein ‚Niemals wieder’ muss man die Geschichte kennen“
Roma und Romnja leben bereits seit dem 17. Jahrhundert in jener Gegend, die heute als Burgenland bezeichnet wird. Eine lange Geschichte, in der die Volksgruppe immer wieder ausgegrenzt und verfolgt wurde. In den letzten Jahrzehnten nimmt der Rassismus jedoch stetig ab, während das Miteinander zunimmt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Valentine Auer
Im Burgenland leben heute zwischen 2.500 und 5.000 Roma und Romnja. Die meisten von ihnen im südlichen Teil des Bundeslandes. Konkret in der Stadt Oberwart und den umliegenden Gemeinden. Emmerich Gärtner-Horvath, selbst im Bezirk Oberwart lebend und Vorstand des Vereins Roma-Service, spricht von etwa 3.500 Roma und Romnja. Das sind jedoch nur jene, die sichtbar sind, die sich selbst „geoutet“ haben oder zwangsgeoutet wurden, erklärt er: „Wie viele Volksgruppenzugehörige in der Anonymität leben, um keine Nachteile zu erleben, lässt sich nicht sagen“.
Zunehmendes Miteinander
Immer wieder betont Gärtner-Horvath, dass sich sehr viel zum Positiven geändert hat, in Oberwart, aber auch im restlichen Österreich. Die Politik, von der Gemeinde- bis zur Bundesebene, hört zu, interessiert sich für die Anliegen der Roma und Romnja. Und ja, oft werden auch entsprechende Maßnahmen gesetzt und vorangebracht.
Doch vor allem wachsen Zusammenhalt und Miteinander kontinuierlich an. Rom- und Nicht-Rom arbeiten gemeinsam an einer diskriminierungsfreien Gesellschaft. Volksgruppenangehörige – egal ob Romni, Kroate, Tschechin oder Ungar unterstützen sich gegenseitig, um ihre Anliegen und Forderungen voranzubringen. Neben der Anerkennung der Roma und Romnja als offizielle Volksgruppe, ist dieses Miteinander einer der zentralen Erfolge der letzten Jahrzehnte. Erfolge, die auf den jahrelangen aktivistischen Kämpfen der Roma-Community basieren.
Emmerich Gärtner-Horvath, Obmann des Vereins Roma-Service und Tamburizze Gruppe: Festakt „100 Jahre Burgenland“ im Palais Epstein 2021.
Und doch weiß Gärtner-Horvath, dass es noch ein weiter Weg ist: „Am 16. Dezember 1993 haben wir erreicht, dass unsere Volksgruppe politisch anerkannt wird. Aber die gesellschaftliche Anerkennung ist ein langwieriger Prozess. Das sieht man heute noch.“ Wie so oft lassen sich historische Kontinuitäten nur langsam aufbrechen.
Angefangen von den Nomadisierungs- und Sprachverboten unter der Herrschaft Maria Theresias im 18. Jahrhundert, über den Genozid im Nationalsozialismus und der fehlenden Unterstützung der wenigen Überlebenden nach 1945 bis hin zum Attentat 1995, bei dem die vier Roma Peter Sarközi, Josef Simon, Erwin und Karl Horvath durch eine Rohrbombe starben. All das sind Höhepunkte der Ausgrenzung, Ermordung und Diskriminierung, die sich bis heute auf die Volksgruppe auswirken.
Auswirkungen der Geschichte
Deutlich wird das am Beispiel der sogenannten „Roma-Siedlungen“ in und um Oberwart. Sie gehen schon zurück auf die Assimilationspolitik Maria Theresias. Die „Umherziehenden“ sollten sesshaft werden, die Siedlungen waren ein Ergebnis davon. Im Nationalsozialismus wurden die Menschen von dort deportiert. Viele von ihnen ermordet. Von den im Burgenland lebenden Roma und Romnja überlebten nur etwa 700. Zurück in ihrer alten Heimat standen sie nach Ende des Zweiten Weltkriegs vor dem Nichts. Ihre Häuser waren zum großen Teil zerstört. Opferentschädigungen gab es lange Zeit keine. Als in den 1970er-Jahren die noch heute bestehende Siedlung in Oberwart wieder aufgebaut wurde, lebten dort viele Armutsbetroffene. Gründe dafür sind nicht nur die fehlenden Entschädigungen, sondern auch die lückenhaften Bildungsbiographien und schlechten Berufschancen. Kam man aus der Siedlung, galt das bis vor kurzem noch als Ausschlusskriterium bei manchen Bewerbungen.
Ein Stereotyp wandelt sich
Ein Stereotyp, das sich aber wandelt, erklärt Manuela Horvath. Die Romni ist ÖVP-Gemeinderätin in Oberwart und leitet das Romapastoral der Diözese Eisenstadt. Sie wuchs selbst in der Siedlung auf. Sie erzählt, wie sich die Verhältnisse langsam geändert haben. Lebten zu ihrer Jugendzeit noch etwa 120 Menschen dort, sind es heute rund 60 und keinesfalls nur noch Roma. „Eine meiner Cousinen lebt gemeinsam mit ihrem Mann in unserem großen Elternhaus. Ihr Mann ist kein Rom. Gemeinsam kümmern sie sich um meinen mittlerweile pflegebedürftigen Vater“, so Manuela Horvath. Es ist ein Beispiel für das Miteinander im Kleinen.
Manuela Horvath: fordert mehr Aufarbeitung, gerade auch in Schulen.
Fehlender Bildungszugang
Ein Miteinander, das auch im Bildungsbereich zunimmt. Obwohl historische Kontinuitäten sich hartnäckig halten. Im Nationalsozialismus konnten Roma und Romnja keine Schule besuchen, viele blieben daher Analphabeten. Nach 1945 betreute niemand die wenigen überlebenden Roma und Romnja. Stattdessen wurden viele Kinder und Jugendliche in Sonderschulen gesteckt oder man gewährte ihnen überhaupt keinen Zugang zur Schule. Die Auswirkungen dieser Exklusion wirkten lange nach: „Für Personen ohne Schulabschluss ist es schwierig am Arbeitsmarkt. Viele der Volksgruppenangehörigen, die einen erschwerten Bildungszugang hatten, sind heute bereits in Pension. Davor arbeiteten sie meistens am Bau, als Tages- oder Wochenpendler“, weiß Manuela Horvath.
Emmerich Gärtner-Horvath kann diese Einschätzung bestätigen. Es ist auch der Grund, wieso der Verein Roma-Service bereits seit den 1990er-Jahren Bildungsprojekte betreut. Den über Jahrzehnte andauernden Ausschlüssen soll so ein Stück weit entgegengewirkt werden. Und trotzdem: „Was man in dieser Zeit vor und nach 1945 verabsäumt hat, kann man nicht mehr gut machen“, so Gärntner-Horvath weiter.
Wie sich die Bildungsbiographien langsam ändern, zeigt auch die 2014 durchgeführte ROMBAS-Studie (ROMa-Bildungs- und Ausbildungs-Studie). Die Studie ist zwar nicht repräsentativ, bestätigt aber Zahlen aus vorangegangen Studien: Während bei den über 51-Jährigen autochthonen Roma und Romnja knapp die Hälfte gar keinen Pflichtschulabschluss hatte und genauso viele „nur“ einen Pflichtschulabschluss, blieb bei den 26-50-Jährigen nur noch jede/r Siebente ohne Schulabschluss. Bei den unter 25-Jährigen weist bereits knapp die Hälfte der Befragten einen Abschluss vor, der höher ist als jener der Pflichtschule.
Sowohl Emmerich Gärtner-Horvath als auch Manuela Horvath waren als Interviewerin und Interviewer Teil dieser Studie. Insbesondere für die noch junge Manuela Horvath waren die Ergebnisse keinesfalls zu erwarten. Im Gegensatz zu ihr machten viele ihrer Altersgenoss*innen negative Erfahrungen, die von Lehrer*innen genauso ausgingen wie von Mitschüler*innen. „Die Mehrheitsbevölkerung spricht immer so lapidar von Diskriminierung“, ergänzt Gärtner-Horvath, „wir haben das aber tagtäglich am eigenen Leib gespürt. Das fühlt sich nicht gut an, wenn man immer nur ausgeschlossen wird.“
Oberwart vom Ort des Terroranschlags gesehen, dem vier Menschen zum Opfer fielen. Auch die „Roma-Siedlung“ liegt symbolträchtig am Rand der Gemeinde. Doch einiges hat sich seither getan.
Aufarbeitung der Geschichte
Aufklärungsarbeit vor allem in Schulen, führte dazu, dass Diskriminierung in den letzten Jahrzehnten abnahm und ein Miteinander auf Augenhöhe zunahm, sagt Manuela Horvath. „Trotzdem sind aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit Volksgruppenangehörige der Roma immer wieder in allen Bereichen des Lebens von Diskriminierung betroffen.“ Dementsprechend ist hier nach wie vor Aufarbeitung notwendig. Doch das Thema des Nationalsozialismus, vor allem in Bezug auf unterschiedliche Opfergruppen, kommt in österreichischen Schulen zu kurz. Unterrichtsmaterialien zum Genozid an den Roma und Romnja existieren zwar. Ob sie auch verwendet werden, hängt aber vom Engagement der Lehrer*innen ab.
Neben der schulischen Aufarbeitung bräuchte es eine lebendige Gedenkkultur, um die Geschichte für die breite Bevölkerung sichtbar zu machen: „Es ist wichtig, dass man überall dort, wo Roma und Romnja verschleppt oder ermordet wurden, Gedenktafeln errichtet, die diese Geschichte sichtbar machen. Das muss unbedingt aufgearbeitet werden. Für ein ‚Niemals wieder’ muss man natürlich auch die Geschichte kennen.“ Im Burgenland wird diese öffentliche Sichtbarmachung ernst genommen. Derzeit existieren insgesamt 22 Gedenktafeln oder Gedenksteine für Roma und Romnja, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden. Diesen Weg gilt es weiterzugehen.
Schlussendlich kann diese Aufarbeitung – in und außerhalb der Schulen – dazu führen, dass Roma und Romnja sich ihrer Volksgruppe zugehörig fühlen und selbstbewusst als solche auftreten, so Gärtner-Horvath abschließend: „Solange man verleugnen muss, dass man ein Volksgruppenangehöriger ist, solange man in der Gesellschaft nicht auf gleicher Augenhöhe gesehen wird, solange wirken historische Ausschlüsse nach“.
INTERNATIONALER TAG DER ROMA
Der 8. April wird weltweit als Aktionstag begangen, an dem die Roma und Romnja auf ihre Situation aufmerksam machen. Im Porgy & Bess in Wien findet eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Next Generation Roma“ statt. Es diskutieren Manuela Horvath (Referatsleiterin der Roma Pastoral), Danijela Cicvarić (Romano Centro), Katharina Janoska (ORF-Moderatorin), Samuel Mago (Journalist, Hochschüler*innenschaft Österreichischer Roma und Romnja, HÖR), Saska Dimić (Antiziganismustrainerin, HÖR), Sladjana Mirković (Lehrerin, HÖR). Moderation: Mirjam Karoly. Im Anschluss gibt es ein Konzert mit Joschi Schneeberger Gypsy Swingtet feat. Patrizia Ferrara.
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