Handlungsbedarf: Gegen Diskriminierung
Wenn ein Neujahrsbaby mit einer Welle des Hasses „begrüßt“ wird und die repräsentative Politik dazu schweigt, dann hat Österreich ein Problem.
Kommentar von Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova.
Unter dem Titel „MeTwo“ haben in den vergangenen Wochen viele tausend Menschen von Erlebnissen berichtet, in denen sie aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder äußerer Merkmale diskriminiert wurden. Viele haben erstmals ihr Schweigen gebrochen, und sich selbst und anderen Betroffenen Mut gemacht.
Doch was ist der nächste Schritt? Klar ist, eine Gesellschaft frei von Diskriminierung wird es nicht geben. Viele Menschen sind hochanfällig für Schubladendenken und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Politische Parteien, deren Hauptgeschäftsmodell die rassistische und fremdenfeindliche Aufwiegelung ist, versuchen das zu nutzen. Auch Medien, die durch hetzerische Berichte ihre Leserschaft bedienen, haben daran Anteil.
Entscheidend, ob Spaltung und Hass Randphänomene sind oder die Oberhand gewinnen, ist das Verhalten der gesellschaftlichen und politischen Mitte. Insbesondere die repräsentative Politik hat enorme Handlungsmacht, wenn es darum geht, Diskriminierung zu bekämpfen oder zuzulassen. Und zwar nicht nur durch Gesetze, sondern auch, indem sie bestimmte Projekte fördert und wirkungsmächtige symbolische Handlungen setzt.
Als Anfang dieses Jahres das Wiener Neujahrsbaby Asel mit einer Welle an Hasskommentaren in sozialen Foren „begrüßt“ wurde, nur weil die Eltern die „falsche“ Herkunft haben und die Mutter Kopftuch trägt, machte sich bei vielen Menschen in Österreich Entsetzen breit. Der Wiener Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner rief zu einem symbolischen Blumenregen für die Familie auf. Diesem „flowerrain“ schlossen sich zigtausende Menschen an. Ein wichtiges Signal. Gleichzeitig schwiegen jedoch die politischen Machtträger. Bundeskanzler Kurz hätte seine Vorbildfunktion nutzen und die kleine Asel in unserer Welt willkommen heißen können. Er hätte die Familie treffen und zeigen können, dass er nicht zulässt, dass Menschen in Österreich mit Hass überschüttet werden. Doch er tat nichts dergleichen.
Das gleiche politische Schweigen herrschte, als eine österreichische Familie, die ein Haus mieten wollte, davon berichtete, dass sie aus rassistischen Gründen abgelehnt wurde. „Der Eigentümer vermietet nicht an Türken“, wurde dem jungen Paar gesagt, nur weil ihre Eltern ihre Wurzeln in der Türkei haben. Auch hier gab es keinen Aufschrei der repräsentativen Politik; keine Einladung an die Familie, ins Bundeskanzleramt zu kommen; keine deutlichen Worte, dass Diskriminierung in Österreich inakzeptabel ist.
Und auch als der ÖVP-Nationalratsabgeordnete Johann Rädler der Liste-Pilz-Abgeordneten und Wiener Rechtsanwältin Alma Zadić zurief, „Sie sind nicht in Bosnien!“, folgte keine Reaktion der Partei- und Regierungsspitze. Rädler sitzt noch immer im Parlament. Er hat sich nicht nur nicht entschuldigt, sondern sogar noch in perfider Täter-Opfer-Umkehr eine Entschuldigung von Zadić eingefordert.
Die repräsentative Politik in Österreich wird weitere Gelegenheiten erhalten, sich gegen Diskriminierung zu positionieren.
Bundeskanzler Kurz wäre gut beraten, diese Gelegenheiten nicht länger auszulassen, denn mit jeder verpassten Gelegenheit öffnet er mehr Raum für jene Kräfte, die rassistische, herkunfts- und religionsbezogene Diskriminierung wieder verstärkt in der Mitte unserer Gesellschaft verankern wollen.
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