
Wir sind bereit, harte Bretter zu bohren
In Österreich leben 220.000 Menschen, die hier geboren sind und dennoch keine Staatsbürgerschaft erhalten. Das ist ein ernsthaftes Demokratieproblem. SOS Mitmensch möchte das ändern. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.
Miri, wie sie ihre Freundinnen nennen, ist 17 Jahre alt und geht in Wien zur Schule. Sie wurde hier geboren, hat ihr bisheriges Leben in Österreich verbracht und unterscheidet sich in den Dingen, die sie macht, nicht von anderen Teenagern in ihrem Alter. Bis auf ein Detail. Weil ihre Eltern vor vielen Jahren nach Österreich eingewandert sind, hat Miri bis heute keine österreichische Staatsbürgerschaft. Das macht sie zur Ausländerin im eigenen Land. Im Ausland hat sie aber noch nie gelebt. Über sich selbst sagt Mirjana: „Ich bin mit der österreichischen Kultur aufgewachsen und nicht mit der serbischen. Ich bin mit Österreichern aufgewachsen, nicht mit Serben. Ich gehe in österreichische Schulen und nicht in serbische Schulen. Und trotzdem bin ich laut dem Gesetz keine Österreicherin. Ich habe sozusagen alle Kriterien erfüllt, dass ich Österreicherin bin, nur die Staatsbürgerschaft fehlt. Das verstehe ich nicht.“
Die Schülerinnen Mirjana, 17; Mereme, 18; Aylin, 17. Alle hier geboren, alle Österreicherinnen, aber ohne Staatsbürgerschaft.
So wie Mirjana geht es 220.000 Menschen in Österreich, die hier geboren und aufgewachsen sind und dennoch keine Bürger*innenrechte besitzen. Rechnet man die 80.000 Menschen dazu, die seit frühester Kindheit in Österreich leben, gibt es in Österreich mehr als 300.000 Menschen, die vom Staat zu Fremden erklärt werden, obwohl sie von hier sind. Und mit jedem Tag kommen weitere 49 hier geborene Kinder dazu. Es ist eine groteske rechtliche Situation, auf die SOS Mitmensch die Öffentlichkeit mit der Initiative #hiergeboren aufmerksam machen will. Eine Initiative, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Während die Öffentlichkeit davon bislang eher wenig Notiz nahm, nicht zuletzt deshalb, weil demokratiepolitische Rechte für uns alle ganz selbstverständlich gegeben sind, merkt man den Betroffenen das Gefühl der Zurückweisung an. Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, fordert die Politik nun zu einem Umdenken auf: „Österreich ist in Europa absolutes Schlusslicht beim Zugang zur Staatsbürgerschaft. Laut einer aktuellen Studie belegt Österreich bei der Einbürgerung unter 52 Ländern, gemeinsam mit Bulgarien, den letzten Platz. Wir sollten uns deshalb als Gesellschaft die Frage stellen, ob wir diese Kinder weiterhin als Kinder zweiter Klasse behandeln wollen. Wollen wir weiterhin Geburtenstationen, in denen das eine Kind Rechte verliehen bekommt, und das andere Kind, das am gleichen Tag dort zur Welt kommt, diese Rechte nicht erhält?“
Ende der Nichteinbürgerungspolitik
Die Petition von SOS Mitmensch, die ein faires Einbürgerungsrecht fordert, haben mittlerweile 36.000 Menschen unterschrieben. Darunter zahlreiche prominente Persönlichkeiten wie die Schauspieler*innen Edita Malovčić, Karl Markovics, Cornelius Obonya und Manuel Rubey, die Moderatorin Ricarda Reinisch oder etwa die Musikerinnen Eva Jantschitsch (Gustav) und Anja Plaschg (Soap&Skin). Sie alle fordern ein Ende der Nichteinbürgerungspolitik.
Cornelius Obonya unterstützt #hiergeboren
Wie aber ist es überhaupt möglich, dass man im eigenen Land dennoch den Status einer Ausländer*in zugesprochen bekommt? Die Juristin und Staatsbürgerschaftsexpertin Antonia Wagner erklärt das mit der in Österreich geltenden rechtlichen Regelung, wonach die Einbürgerung von Kindern im wesentlichen vom Status der Eltern, von deren Rechtsstatus, von deren Einkommen und deren Gesamtverhalten abhängt. „Für eigene, davon unabhängige Regelungen trifft das Recht kaum Vorkehrungen“, so Wagner. Die sehr niedrige Einbürgerungsquote gehe auf Reformen des Staatsbürgerschaftsrechts Mitte der 2000er-Jahre zurück. Sie führten zu einem rasanten Abfall der Quote. Zwar habe sich die Quote mittlerweile etwas erholt, dennoch scheitern viele Menschen schlicht an den hohen Hürden, die der Staat ihnen auferlegt, erklärt Wagner. Der Kriterienkatalog ist beachtlich. Gefordert wird u.a. ein langfristiger legaler und zeitlich nicht unterbrochener Aufenthalt; der Nachweis sozialen Wohlverhaltens; die Vorlage eines Deutschzertifikates auf dem Niveau B1; und der Nachweis eines ausreichend gesicherten Lebensunterhaltes, dessen Höhe und zusätzliche finanzielle Vorgaben wohl auch für etliche Österreicher*innen ein Problem wäre. Zusätzlich zu diesen Kriterien besteht eine Vielzahl an Ermessensbestimmungen. Die Behörden können selbst bei erfüllten Voraussetzungen die Einbürgerung verwehren.
Edita Malovcic unterstützt #hiergeboren
Betroffene Menschen berichten von einem Gefühl der Ausgrenzung und Demütigung, wenn sie sich etwa für eine Lehre oder einen Job bewerben, dabei wie Ausländer*innen behandelt werden und entsprechende Papiere vorzeigen müssen. Zuletzt hat SOS Mitmensch auf einen weiteren Fall hingewiesen: Die 25-jährige Olga K. wurde in Wien geboren und lebt hier seit ihrer Geburt. Allerdings hat sie nur den serbischen Pass, weil ihre Eltern aus Serbien eingewandert sind. Die Einbürgerung wollte ihr die zuständige MA 35 aber nicht geben, weil Olga aufgrund ihres Filmregie-Studiums in Hamburg vier Jahre im Ausland war. Zudem fragte man die Wienerin, die am Burgtheater arbeitet und Film unterrichtet, nach ihrer Integration. Die Frage ist, wann die Politik endlich auf diese Situation reagiert und die Gesetze repariert.
Deutschland: automatische Einbürgerung
In Österreich ist die Regelung so, dass die Chancen auf eine Einbürgerung für Kinder sehr oft vom Einkommen der Eltern abhängen. Die Kinder haben damit keine politischen Rechte und sind auch sozialrechtlich nicht gleichgestellt. Darauf haben mittlerweile viele europäische Staaten reagiert, indem sie die Einbürgerung solcher Kinder fördern. Sie richten sich dabei mehr oder weniger nach dem ius soli Prinzip, also dem Geburtsortprinzip. Dieses Modell sieht vor, dass ein Kind automatisch in dem Staatsgebiet eingebürgert wird, in dem es geboren wird. Auch wenn kein Staat das ius soli Prinzip in seiner Reinform umgesetzt hat, wird es oft angewandt, wenn sich die Eltern bereits eine gewisse Zeit im Inland aufhalten und über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügen. Antonia Wagner verweist etwa auf Deutschland, wo Kinder automatisch deutsche Staatsbürger*innen werden, sofern die Eltern zumindest acht Jahre lang legal in Deutschland leben. Auch Portugal hat das Staatsbürgerschaftsrecht im vergangenen Jahr erheblich erleichtert und bürgert Kinder automatisch ein, sofern ein Elternteil über einen Aufenthaltstitel verfügt. Dabei verzichtet Portugal sogar auf eine geforderte Aufenthaltsfrist.
Frankreich wiederum sieht einen nachgelagerten Automatismus vor. Dort werden Kinder automatisch eingebürgert, sobald sie 18 Jahre alt sind.
Manuel Rubey unterstützt #hiergeboren
Weg über den Europäischen Gerichtshof
Das zweite Modell verknüpft den Rechtsanspruch auf Einbürgerung mit einer Wohnsitzfrist der Kinder selbst. Das Wohnsitzprinzip besagt, dass Kinder, die hier leben und aufgewachsen sind, einen Anspruch haben. In Schweden bewegt sich diese Frist zwischen zwei und fünf Jahren. Sobald die Jugendlichen 18 Jahre alt sind, können sie einen Antrag stellen und haben dann auch einen Rechtsanspruch auf die Verleihung der Staatsbürgerschaft. Dieser Rechtsanspruch ist insofern maßgeblich, weil der Staat nicht erst das Einkommen prüft oder die Einbürgerung vom Ermessen der Behörde abhängig macht, sondern diesen Kindern schlicht durch Anzeige die Einbürgerung ermöglicht. Es gibt also bereits einige Vorbilder in Europa, an denen auch Österreich sich orientieren könnte. Was es dafür bräuchte, wäre der politische Wille. Der Verfassungsjurist Heinz Mayer zeigt sich allerdings skeptisch, wenn er meint, dass mit einer rechten Mehrheit im Land keine Kursänderung zu erwarten sei. Er erinnert daran, dass im Jahr 2004 das Land Wien versucht hatte, bestimmten Ausländer*innen das Wahlrecht einzuräumen. Mayer: „Die Konservativen haben daraufhin geschäumt und der Verfassungsgerichtshof hat ihnen Recht gegeben. Die Begründung war, dass die Staatsbürgerschaft etwas ganz Heiliges sei und das Wahlrecht nur jemand haben könne, der Staatsbürger ist.“ Ganz so, als wäre die Staatsbürgerschaft eine Art Mythos, die man nur mit ‚Blutsgleichen’ teilt. Wer nicht dazugehört, kann eben nicht wählen gehen. Mayer schlägt allerdings vor, den Rechtsweg über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu probieren. Das würde praktisch so aussehen: „Eine Person, die hier geboren wurde und lange hier lebt, müsste versuchen zu wählen, im Zuge der Verweigerung des Wahlrechts diese bekämpfen und sich in der Folge an den Verfassungsgerichtshof wenden. Falls der VfGH bei seiner Linie bleibt, müsste der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte angerufen werden.“ Das wäre wohl ein jahrelanger Prozess, so Mayer, der diesem Versuch aber durchaus intakte Chancen einräumt.
Dass die Forderung nach einer Liberalisierung des Staatsbürgerschaftsrechts ein schwieriges politisches Unterfangen ist, ist auch Alexander Pollak bewusst. Er versichert: „Wir sind hier, um harte Bretter zu bohren und werden sicher nicht nachlassen. Unsere Kampagne ist auch darauf ausgerichtet, dass es viel Überzeugungsarbeit brauchen wird, und wir keine Ruhe geben, bis es zu einer Änderung kommt.“ (red)
www.sosmitmensch.at/hiergeboren
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