„Ich finde es peinlich, wie die Politik reagiert.“
Leonie und Johanna sind zwei junge Aktivistinnen der Letzten Generation in Salzburg, die besorgt darüber sind, dass die Dringlichkeit der Klimakrise noch nicht überall angekommen ist. Im Gespräch erzählen sie über ihr Umfeld, die Rolle der Medien und dass das, was jetzt unbequem ist, lange nicht so schlimm ist wie das, was auf uns zukommt, wenn die Politik nicht handelt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview und Fotos: Sophia Reiterer
Ihr habt die Frage wahrscheinlich schon oft gehört. Trotzdem bin ich neugierig auf eure Antwort. Inwiefern glaubt ihr, dass ihr die letzte Generation seid?
Leonie: Der Name wird oft falsch verstanden. Wir sind nicht die letzte Generation, die es auf der Erde gibt, sondern die letzte, die für die nächsten Generationen sorgen kann. Zurzeit steuern wir einer Zukunft entgegen, in der unsere Kinder und Enkel in einer von Hitze, Dürre und Migrationsbewegungen erschütterten Welt leben. Die nachfolgenden Generationen werden kein so gemütliches Leben wie wir haben. Niemand möchte für seine Kinder oder Enkel eine nichtlebenswerte Welt, da sind sich viele einig. Dass aber Feuer unter dem Dach ist, ist bei vielen noch nicht angekommen.
Hitzewellen, Dürren, Migrationsbewegungen – ihr habt es bereits angesprochen. Von welchem Zukunfts-Szenario geht ihr aus? Wie glaubt ihr wird Salzburg in 20 oder 30 Jahren aussehen?
Johanna: Die Wissenschaft einschließlich der Behörden sagt, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mal ansatzweise erreicht wird. Das bedeutet, wir bewegen uns auf eine globale 3-Grad-Erwärmung zu. 3 Grad Celsius global bedeuten 6 bis 8 Grad Erwärmung auf dem Festland. Es wird arge Hitzewellen in Salzburg geben, so wie es sie zum Beispiel schon in Athen gibt. Städte wie Salzburg oder auch Wien sind aber nicht für solche Hitzewellen gebaut. Und das sage ich vor dem Hintergrund, dass wir in den Städten noch sehr privilegiert sind. Es ist aber falsch, hier eurozentrisch zu denken. Millionen Menschen sterben weltweit jetzt schon, zum Beispiel wegen Ernteausfällen als Folge der Klimakrise.
Wie reagiert euer direktes Umfeld auf eure Aktionen? Sagen da Leute zum Beispiel, dass das zu gefährlich ist, sich auf die Straße zu kleben? Haben sie Angst, dass ihr in Polizeigewahrsam genommen werdet? Wie geht ihr damit um?
Leonie: Ich habe viel Glück, dass die meisten Menschen in meinem Umfeld meinen Aktivismus bei der Letzten Generation als sehr positiv wahrnehmen. Auch wenn sie die Protestform nicht hundertprozentig unterschreiben, sehen und verstehen sie trotzdem, warum ich mich engagiere und auf das Problem aufmerksam mache.
Johanna: Mein Umfeld ist da geteilt, in beide Extreme. Meine Freund*innen und Kolleg*innen, die eh schon Aktivist*innen sind, finden das total mutig, was ich mache. Meine Familie ist aber sehr stark dagegen, die haben Angst um mich. Die finden das extrem, was ich mache, auch wenn sie teilweise den Grund verstehen. Ich versuche dann, mit Verständnis zu reagieren und mit ihnen zu reden. Ich versuche ihnen zu erklären, dass die Politik nicht richtig mit der Bevölkerung kommuniziert und nicht klar macht, dass wir in einer Notfallsituation sind.
Ich habe mich schon angeklebt und ich war auch schon mit der Polizei und dem Strafamt in Kontakt. Mir war klar, dass ich mit juristischen Konsequenzen rechnen muss und dass Strafgeld droht. Aktuell sind es rund 1.000 Euro, die auf mich zukommen, wobei das wahrscheinlich noch mehr wird. Aber mit meiner Familie kann ich darüber gar nicht reden.
Mein Arbeitsumfeld ist auch ganz schwierig, da gibt es auch wenig Verständnis. Aber ich mache die Aktionen eh nicht, um Sympathie zu bekommen, sondern um unsere Zukunft zu retten. Das, was jetzt unbequem ist, ist nicht so schlimm wie das, was auf uns zukommen wird, wenn die Politik nicht handelt. Das ist der Fokus, den ich habe, um damit umzugehen.
Johanna: „Ziviler Widerstand funktioniert nur aus der Mitte der Gesellschaft.“
Leonie: „Ich habe den Eindruck, dass es für viele Menschen leichter ist, sich alles schönzureden, sonst kommt die Angst.“
Euer Aktivismus ist mit Risiken verbunden: Ihr stoßt auf Unverständnis in der Familie und im Umfeld, euch drohen noch höhere Strafgelder und auch harte Auseinandersetzungen mit Passant*innen oder auch der Polizei sind nicht ausgeschlossen. Woher nehmt ihr euren Mut, euch trotz allem zu engagieren?
Leonie: Ich glaube, dass tatsächlich alle Aktionen Ausdruck einer unglaublichen Verzweiflung sind. Das Gefühl, man weiß nicht mehr, was man überhaupt noch machen kann. Ich gehe seit Jahren auf jede Klima-Demo, ich ernähre mich vegan, ich versuche beim Einkauf und bei meinem Konsumverhalten auf alles zu achten. Das ist gut, aber das wird uns nicht retten. Die Politik macht einfach nichts und setzt nicht mal die einfachsten Forderungen um.
Johanna: Es gibt Menschen, die nicht in Demokratien leben, wo es unmöglich ist, sich für Klimagerechtigkeit einzusetzen, oder auch Menschen, die es noch schlimmer trifft. Ich lebe in Österreich und kann zivilen Widerstand leisten, ohne mit der Todesstrafe oder erheblicher Polizeigewalt rechnen zu müssen, wie das in anderen Ländern der Fall ist.
Ich sehe es deshalb als meine Pflicht, dieses Privileg zu nutzen, um für eine sichere Zukunft für Menschen und Tiere zu kämpfen.
Warum wird so hart auf Aktionen der Letzten Generation reagiert oder werden solche Forderungen laut? In Bayern wurde bereits eine 30-tägige Präventivhaft für einen Aktivisten verhängt, dabei hatte man Präventivhaft in Deutschland eigentlich zur Verhinderung von Terrorismus gesetzlich beschlossen, und nicht für zivilen Widerstand. Ungeachtet dessen bezeichnen bestimmte Medien euren Einsatz sogar als Terrorismus.
Johanna: Man muss ganz stark differenzieren zwischen dem, was Plattformen als Schlagzeile verwenden, und dem, was die Leute denken. Viele Passant*innen klatschen für uns oder bleiben bei unseren Aktionen stehen. Einmal hat sich eine Passantin sogar zu uns dazugesetzt.
Leonie: Vielleicht kann man das auch noch mal genauer einordnen: In Österreich haben wir das Glück, dass das Ankleben nur zu einer Verwaltungsstrafe führt. In Deutschland ist das in manchen Bundesländern anders.
Geht ihr davon aus, dass das in nächster Zeit verschärft wird?
Johanna: Sollte eine schwarz-blaue Regierung kommen, dann kann das sein. Da kann es sogar sehr gut sein, dass die Gesetze kommen, die diese Form des Aktivismus stärker kriminalisieren. Das bestätigt mich aber nur. Je mehr Menschen sich hinter die Letzte Generation stellen, desto weniger haben diese Parteien eine Chance.
Leonie: Auch die politisch angedrohte Abschiebung von Anja Windl ist so ein Abschreckungsmanöver. Davon wird es definitiv mehr geben, weil es ungemütlich ist, was wir machen. Das wird man aber sehen. Anja Windl ist eine Klimaaktivistin aus Bayern, die in Klagenfurt studiert und sich bei der Letzten Genration engagiert. Ihr wurde die Ausweisung aus Österreich angedroht.
Wie geht es euch, wenn ihr so etwas hört?
Johanna: Da finde ich ganz klare Worte und bin gerne direkt. Ich finde das peinlich und erbärmlich, wie die Politik reagiert. Die setzen lieber politische Repressionen ein, statt die einfachsten Schutzmaßnahmen durchzusetzen. Es kann doch nicht so schwierig sein, Tempo 100 auf der Autobahn durchzusetzen. Es kann doch nicht so schwierig sein, keine neuen Bohrungen durchzuführen. Aktivist*innen abzuschieben oder einzusperren löst das Problem nicht. Ich schmeiße nicht alle Politiker*innen in einen Topf, es gibt sicher einige, die um die Dringlichkeit Bescheid wissen, aber blockiert werden und nix tun können.
Leonie: Solche Aktionen wie mit Anja Windl, das sind für mich lächerliche Ablenkungsversuche. Das funktioniert ähnlich wie mit einer missgünstigen Berichterstattung – das lenkt vom Thema und von der untätigen Politik ab. Niemand von uns Aktivist*innen macht das, weil wir sonst nix zu tun haben. Wir tun das, weil wir uns gezwungen fühlen. Die Verantwortlichen für die Situation sind ganz woanders.
Folgen der Erderhitzung: Markus Wadsak, Meteorologe und Buchautor („Fakten gegen Fake & Fiction“) twittert über die globalen Szenarien, die uns erwarten könnten. Schon jetzt hat sich die Temperatur weltweit um 1,2 Grad erhöht, in Österreich sogar um zwei Grad. Aber, so Wadsak: Noch haben wir es in der Hand, wohin wir steuern.
Wie erklärt ihr euch, dass auf politischer Ebene nichts weitergeht? Dass Leute auf Social Media schreiben, dass eure Aktionen sinnlos sind? Die Fakten und Prognosen über die klimatischen Entwicklungen sind doch erdrückend. Hat das auch mit einer zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit zu tun?
Leonie: Ich habe den Eindruck, dass es für viele Menschen leichter ist, sich alles schönzureden und der Realität nicht ins Auge zu blicken. Denn sonst wird einem angst und bange. Das mag menschlich nachvollziehbar sein. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist Hass. Dass wir, die darauf aufmerksam machen, Hass zu spüren bekommen. Da hört auch mein Verständnis und meine Toleranz auf.
Johanna: Dem kann ich mich anschließen. Es ist absolut menschlich, dem Alltag nachzugehen und sich nicht mit der Klimakrise auseinanderzusetzen. Viele Menschen haben das Gefühl, dass sie eh nichts ändern können. Was ich schon kritisiere, ist teilweise die Kommunikation seitens der Medien. Es wird immer so getan, als wären wir die Chaot*innen oder die Extremist*innen. Auch wenn das nur von bestimmten Plattformen kommt, bleibt das trotzdem in den Köpfen der Menschen hängen. Das muss anders kommuniziert werden, der Fokus sollte darauf gelegt werden, wer die Situation zu verantworten hat. Das ist nämlich die Politik, die das Vertrauen der Menschen bekommen hat und der Bevölkerung auch schuldet, das Problem zu lösen.
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„DIE VERANTWORTLICHEN SIND
GANZ WOANDERS.“ LEONIE
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Leonie: Es gibt auch rechte Parteien und Gruppierungen, die Profit aus der Situation schlagen. Sie schaffen das sehr gekonnt, Menschen in ihrer Angst abzuholen und wissenschaftliche Fakten zu leugnen. Wenn man sich auf die Seite stellen kann, auf der es heißt, es gibt nichts zu befürchten, dann passt das alles sehr gut in ein Bild. Das hat dann auch zur Konsequenz, dass sich die Fronten verhärten.
Österreichweit stellen sich Wissenschaftler*innen hinter die Proteste der Letzten Generation. Die Unterstützung der Scientists for Future ist euch gewiss. Gibt es noch weitere öffentliche Organisationen, die sich für euch einsetzen? Wie wichtig ist es für euch persönlich und für die Bewegung, dass öffentliche Institutionen hinter euch stehen?
Johanna: Für die Bewegung ist das sehr wichtig. Ziviler Widerstand funktioniert nur aus der Mitte der Gesellschaft. Erst, als alle Menschen verstanden haben, dass Frauen Rechte zustehen, konnten Schritte für die Gleichberechtigung eingeleitet werden. So wird das auch mit der Klimabewegung sein. Erst wenn das Thema in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, wird die Politik handeln. Das ist so wichtig. Man muss nicht kleben, um uns zu unterstützen – es reicht ein Post, es reicht Zustimmung, es reicht, mit den Medien darüber zu sprechen. So kommt ein Diskurs zustande.
Leonie: Organisationen, die uns unterstützen sind unglaublich wichtig, auch für einen persönlich, weil man sich dadurch legitimiert fühlt. Wir sind nicht bloß ein paar Spinner, sondern die Wissenschaft steht hinter uns. Das begreifen die Leute hoffentlich bald!
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