
„Ich werde morgen darüber nachdenken“
Ukrainer:innen stehen weiterhin vor einer ungewissen Zukunft in Österreich. Manche sind zudem von Rückzahlungen betroffen, die es ihnen erschweren könnten, in die Ukraine zurückzukehren.
Text: Magdalena Pichler
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Oksana* ist gerade im Zentrum des humanitären Vereins „Train of Hope“ beschäftigt. Menschen sitzen dort auf hellen Polstermöbeln und unterhalten sich. Oksana, die aus der Ukraine kommt, arbeitet ehrenamtlich mit. Der Verein hat ihr unter anderem geholfen, Möbel für ihre Wohnung zu finden. Nun möchte sie sich auch selbst einbringen. Oksana ist eine von 80.665 ukrainischen Staatsangehörigen, darunter rund 70.000 ukrainischen Vertriebenen, die laut Österreichischem Integrationsfonds (ÖIF) aktuell in Österreich leben. Der überwiegende Teil der Geflüchteten sind Frauen, da die Männer im wehrpflichtigen Alter nicht ausreisen dürfen. In der Ukraine hat Oksana als Informatikerin gearbeitet. In Österreich, wo sie seit Juni 2024 lebt, besucht sie einen Deutschkurs. Auch Svetlana* lernt Deutsch. Sie kommt gerne in das Zentrum von Train of Hope. Die Pensionistin möchte ebenfalls nur mit dem Vornamen genannt werden. Sie kam vor zwei Jahren aus der Ukraine nach Österreich. „Ich bin nur mit einer Tasche und einem Rucksack gekommen und habe mein Leben wieder aufgebaut“, erzählt sie und zeigt auf ihre Tasche. Die herzliche Frau lässt sich sichtlich nicht unterkriegen.
Können ukrainische Geflüchtete in Österreich bleiben, und wenn ja, wie lange? Expert:innen warnen, dass Unsicherheit bezüglich der Aufenthaltsperspektive die Integration beeinträchtigen kann.
Das Zentrum von Train of Hope nennt Svetlana eine Art „Zuhause“. Dort trifft sie andere Menschen aus der Ukraine. Besonders gern geht sie in die Kreativwerkstatt, wo sie ihr Gewand reparieren kann, wenn etwas kaputt ist. Eine kleine Bibliothek gibt es auch. „Vom Winde verweht“ von Margaret Mitchell ist Svetlanas Lieblingsbuch. Ein Zitat der Protagonistin Scarlett O’Hara gefällt ihr besonders gut: „Ich werde morgen darüber nachdenken”. Das ist derzeit auch Svetlanas Motto.
Denn heute an das Übermorgen zu denken, ist für viele Ukrainer:innen in Österreich nicht leicht. „Als größte Herausforderung und Belastung der Vertriebenen erleben wir derzeit die große Ungewissheit”, sagt Nina Andresen von Train of Hope. Für Geflüchtete aus der Ukraine gibt es in Österreich einen temporären Schutz. Dieser basiert auf einer EU-Richtlinie, die derzeit bis März 2026 gilt. Das sorge für Unruhe bei den betroffenen Personen, beobachtet auch Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich. „Zu Beginn wollten viele Ukrainer:innen nach Hause zurückkehren. Mittlerweile hat sich das geändert, vor allem bei jenen, die Kinder haben, die nun in Österreich zur Schule gehen“, sagt er.
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Nachzahlungen bringen nun einige Ukrainer:innen dazu,
ihre Bezugspunkte in der Ukraine aufzugeben.
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Zu jenen zählt auch Oksana. Sie ist Mutter einer Tochter und eines Sohnes, beide im Teenageralter. Für den Sohn habe man trotz vieler Anfragen nur ein Angebot für einen Platz an einer polytechnischen Schule bekommen: „Mit dieser Schule sind wir aber sehr zufrieden.“ Ihr Sohn, der in der Ukraine mehrere Preise in der Schule erhalten hatte, würde später gerne studieren. Sie könnten sich vorstellen, in Österreich zu bleiben, sagt Oksana. Eine „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“ würde sie beantragen, sobald sie die Voraussetzungen erfülle. Die Karte ermöglicht eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit.
Oksana* und ihre beiden Kinder wünschen sich eine langfristige Perspektive in Österreich.
Die Hürden sind jedoch hoch. Ein Kriterium ist ein gesichertes Einkommen. Der Netto-Richtsatz 2025 für Alleinstehende liegt bei 1.273,99 Euro. Sinnvoller wäre laut Gahleiter-Gertz eine Überstiegsmöglichkeit zum EU-Daueraufenthalt: „Wir wissen aus Erfahrung, dass besonders die Unsicherheit bezüglich der Aufenthaltsperspektive die Integration massiv beeinträchtigen kann.”
Ein weiteres Thema, das vielen nach wie vor Sorgen bereitet, sind die Nostrifizierungen, also die Anerkennung von Zeugnissen bzw. Studienabschlüssen. Auf Termine bei der Anerkennungsstelle ENIC NARIC müsse man mittlerweile ein Jahr warten.
Eine Frage des Geldes
Wellen geschlagen hatte zuletzt, dass Pensionist:innen aus der Ukraine mit Rückzahlungen konfrontiert waren. Behörden haben drei Jahre nach der Auszahlung von Leistungen Zeit, Rückerstattungsansprüche zu prüfen. Ukrainer:innen hätten damals das gesamte Einkommen angeben müssen, manche Betroffene berichteten laut eines Profil-Berichts von Sprachbarrieren beim Ausfüllen der Formulare. Die Situation sei laut Gahleitner-Gertz gerade am Anfang noch unklar gewesen, auch weil die Ukrainer:innen als Gruppe einen speziellen rechtlichen Status hätten. Nun werden bei Pensionist:innen in der Grundversorgung Nachzahlungen eingefordert.
Svetlana kennt zwei Personen, die betroffen sind: Eine müsse 1800 Euro zurückzahlen, eine andere 1200 Euro. Die Pensionen in der Ukraine seien mit 50 bis 150 Euro im Monat generell sehr gering, so Gahleitner-Gertz. Mit diesen Pensionen würden viele die Kosten ihrer Wohnungen in der Ukraine bezahlen. Gahleitner-Gertz gibt zu bedenken, dass die Nachzahlungen, mit denen ukrainische Pensionist:innen in Österreich konfrontiert sind, einige Menschen dazu bringt, ihre Bezugspunkte in der Ukraine aufgeben zu müssen – was wiederum eine Rückkehr erschwere.
Nina Andresen von Train of Hope beobachtet die wachsende Sorge bezüglich der Ungewissheit.
Mit Blick auf eine Rückkehr habe man am Anfang auch die Autos der Ukrainer:innen gesehen. Aktuell werden die Benutzungskosten bei der Berechnung der Grundversorgung einberechnet. Einige Bundesländer prüfen dies nun. Gahleitner-Gertz zufolge werden die Daumenschrauben für ukrainische Geflüchtete derzeit in ganz Europa angezogen. Oksana und Svetlana ist es dennoch ein Anliegen, sich bei den Österreicher:innen für die Aufnahme zu bedanken.
Ob, es etwas gibt, dass sie sich aktuell in Österreich wünschen? Oksana fände es hilfreich, wenn bei der behördlichen Zuteilung von Wohnungen bedacht wird, dass Teenager, wie Svetlanas Kinder, einen realistischen Weg in die Arbeit oder in die Schule haben. Svetlana würde sich freuen, manchmal ein bisschen Geld für Kleinigkeiten für sich selbst übrig zu haben. Ob all ihre Wünsche in Erfüllung gehen, wird sich zeigen. Wahrscheinlich nicht heute oder morgen, aber vielleicht bald.
*Beide Frauen möchten hier nur mit dem Vornamen genannt werden.
Magdalena Pichler ist freie Journalistin mit einem Schwerpunkt auf Kultur und Gesellschaft. Sie studierte u. a. Journalismus an der FH Wien der WKW.
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