
Imam Google
Immer wieder geistert der Begriff des „politischen Islams“ durch Diskussionen, wenn es um das Problem des Extremismus geht. Aber was genau ist darunter zu verstehen? Und welche Rolle spielt er bei der Radikalisierung von Jugendlichen? Die deutsche Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur sieht die Ursachen nicht in der Sozialisation in islamischen Gemeinden, sondern vielmehr in einem „religiösen Analphabetismus“, der Jugendliche für Extremisten im Internet und anderswo empfänglich macht. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Katajun Amirpur
Die Diskussion über den politischen Islam hat seltsame Ausmaße angenommen. Dabei ist nichts gegen den Begriff an sich einzuwenden, wenn man ihn benutzt, um deutlich zu machen, dass nicht vom Islam im Sinne einer religiösen Orientierung die Rede ist, sondern als politischer Kraft. Merkwürdig ist nur, dass denen die sich für den politischen Islam einsetzen, automatisch unterstellt wird, sie hätten unlautere Absichten. In einer Demokratie muss es legitim sein, sich auf islamischer Grundlage politisch betätigen zu können. Solange die Gesetze eingehalten werden, muss man den Islam als Motivation, als Antriebskraft, als Quelle für das eigene Handeln in Anspruch nehmen dürfen.
In einer aufgeladenen Diskussion ist begriffliche Klarheit besonders wichtig.
Der politische Islam an sich ist nicht gewaltbereit. Deshalb muss man hier sehr viel genauer definieren als bisher, was man unter politischem Islam versteht, als das in Österreich zurzeit im Rahmen des Strafbestands politischer Islam geschieht, den man einzuführen gedenkt. Wie die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer richtig bemerkt: „Prinzipiell ist ja schon das Einbringen islamischer Argumente beispielsweise beim Umweltschutz oder bei der Waffenproliferation politisch.“ Sie hat Recht. Was sollte dagegen einzuwenden sein? Phänomene wie die „grüne Moschee“ und der sogenannte Öko-Dschihad – um hier einmal das Wort Dschihad in seinem ursprünglichen Sinne zu verwenden, der nämlich Anstrengung bedeutet – sind einer politischen Sinnmachung des Islams entsprungen. Man will Angelegenheiten des Gemeinwesens regeln, das ist die Definition von Politik. Und Kraft und Argumente schöpft man aus dem Islam.
Um beim Beispiel Umweltschutz zu bleiben: Der Islam gebietet im übertragenen Sinne Umweltschutz und den Einsatz gegen den Klimawandel, denn es ist des Menschen Pflicht, Gottes Schöpfung zu ehren und zu bewahren. Deshalb setzt man sich für den Bau einer Solaranlage auf dem Dach der Moschee ein. Das ist ungefähr so zu verstehen im Sinne einer Motivation, wie sich das C in der CDU vermutlich für Angela Merkel versteht.
Aber um genau diese Trennschärfe zu vermitteln, bedarf es einer großen gesellschaftlichen Anstrengung, denn die Gefahr des islamischen Extremismus lässt sich nicht leugnen. Wie er entsteht oder entstanden ist, wäre eine Frage, die ich hier aber nicht beantworten kann. Mich beschäftigt hier eher, wie ihm begegnet werden kann.
„Islam für Dummies“
Es gibt sicherlich verschiedene Lösungsansätze, der vielversprechendste scheint mir die Schule. Es ist inzwischen bekannt, dass die Jugendlichen, die sich vom sogenannten Islamischen Staat haben anwerben lassen, um in den Krieg in Syrien oder Irak zu ziehen, nicht mal das ABC des Islams beherrschten. Man hat anhand ihrer Amazon-Bestellungen nachvollziehen können, dass sie sich häufig islamische Einsteigerbücher bestellten, bevor sie loszogen, weil sie nicht einmal wussten, wie man betet. Das Taschenbuch „Islam für Dummies“ war hier besonders beliebt. Diese Jugendlichen waren eben gerade nicht in den islamischen Gemeinden sozialisiert, denen man heute oft den Vorwurf macht, sie würden Extremismus produzieren. Stattdessen orientierten sie sich an „Imam Google“. Damit meine ich: Man gebe zum Beispiel den Begriff „islamisches Recht“ bei Google ein. Dabei erhält man eine Reihe von Weblinks, die eine sehr unqualifizierte Erklärung des Begriffs liefern; sie führen zu einer extremistischen Deutung des islamischen Rechts. Ausgewogene, wissenschaftliche Erklärungen findet man erst nach vielen Clicks. Die Extremisten haben die Oberhoheit über das Internet gewonnen – und damit insofern auch über die Schulen, weil die Schüler*innen sich leider hier informieren.
„Die Einstellungen vieler Männer und Frauen nicht-muslimischen Glaubens in Bezug auf Emanzipation oder Homosexualität unterscheiden sich nicht von muslimischen.“ Katajun Amirpur
Die Oberhoheit zurückgewinnen
Daher mein Plädoyer: Diese Oberhoheit muss der Staat zurückgewinnen. Es braucht einen flächendeckenden islamischen Religionsunterricht, der dem religiösen Analphabetismus, dem ein Großteil unserer Probleme mit „dem Islam“ geschuldet ist, entgegenwirkt. Nur so kann man andere als extremistische Deutungen des Islams publik machen, unter das Volk bringen, so to speak. Das sind die Deutungen des Islams, die dem Mainstream deutlich mehr entsprechen als die radikalen Deutungen. Es sind hier noch nicht einmal die reformistischen Deutungen des Islams gemeint, die durchaus auch einen „queer Islam“ – um ein Beispiel zu nennen – ermöglichen (das Bestreben sich hierfür einzusetzen, entspringt im Übrigen auch einem politischen Anspruch an den Islam, aber das nur in Klammern). Sondern es geht um die Basics. Und selbst bei sehr konservativen Muslimen, die ich in meiner Hamburger Zeit kennengelernt habe, als ich sie in unserem Studiengang Islam und Dialog unterrichtet habe, ist mir keiner begegnet, der – um auch hier ein Beispiel zu nennen – Homosexuelle verteufelt hätte. Man stimmte zwar nicht mit reformistischen Deutungen des Islams überein, die einen queer Islam in den Koran hinein interpretieren. Aber sie sagten, als Imame, die sie waren, Gott hat die Menschen so geschaffen, wie sie denn nun mal sind. Und damit habe niemand das Recht, sie aus der Gemeinde auszuschließen, schon gar nicht sie als Imame. Was ich damit sagen will: Nicht einmal konservativer Islam ist so schlimm, wie er immer dargestellt wird. Er muss einem nicht in den Kram passen, tut er mir als Feministin auch nicht. Aber er ist nicht kriminell. Jedenfalls nicht per se. Und die Einstellungen vieler Männer und Frauen nicht-muslimischen Glaubens in Bezug auf Emanzipation oder – um beim Beispiel zu bleiben – Homosexualität unterscheiden sich nicht von muslimischen. Um damit auf das Gesagte zurückzukommen: Es wäre die erste Aufgabe der Politik, zu ermöglichen, dass junge Menschen diese Form von religiösem Analphabetismus überwinden, der sie zu den Fängern treibt.
ZUR PERSON Katajun Amirpur
Katajun Amirpur, geboren in Köln, ist eine deutsch-iranische Islamwissenschaftlerin. Sie hatte mehrere Professuren inne, aktuell an der Universität zu Köln. Sie publiziert u.a. in der Süddeutschen Zeitung und in DIE ZEIT. Sie ist Teil des Herausgeberkreises der Blätter für deutsche und internationale Politik. Publikationen: Schirin Ebadi, Amsterdam, Sirene (2004); Schauplatz Iran. Herder (2004); Die Muslimisierung der Muslime. In: Hilal Sezgin (Hg.): Manifest der Vielen. Deutschland erfindet sich neu. Blumenbar (2011); Den Islam neu denken. Der Dschihad für Demokratie, Freiheit und Frauenrechte. C.H. Beck Verlag, München (2013); Der schiitische Islam, Reclam (2015)
Ursprünglich hatte die Regierung eine „Forschungs- und Dokumentationsstelle für Antisemitismus, für den religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam) und für den Rassismus im 21. Jahrhundert“ geplant. Am Ende ließ man den Rechtsextremismus weg und beschränkte sich auf den „politischen Islam“ und „Parallelgesellschaften“. Integrationsministerin Susanne Raab spricht von einem „Leuchtturmprojekt“. Kritiker*innen sehen das anders und warnen von der Gefahr religiöser Diskriminierung. (red)
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