
Keinbürgerungsland Österreich
Durch seine rigide Nichteinbürgerungspolitik erklärt Österreich hunderttausende hier verwurzelte Menschen zu „Fremden“. Nicht nur für die Betroffenen hat das gravierende Auswirkungen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Seit fünfzehn Jahren passiert in Österreich ein folgenschwerer Prozess, der bisher weitgehend unter dem Radarschirm der breiten Öffentlichkeit gelaufen ist. Im Jahr 2005 wurde das Einbürgerungsrecht ein weiteres Mal verschärft, diesmal aber mit dem Vorschlaghammer. Die Wartefristen wurden auf ein Minimum von sechs bis zehn Jahren verlängert, die Sprachbedingungen erhöht und ein Mindesteinkommen, das selbst mit einer Vollzeitbeschäftigung nicht immer zu erreichen ist, als absolutes K.O.-Kriterium eingeführt.
Österreich wurde damit beim Zugang zur Staatsbürgerschaft zum Schlusslicht in ganz Europa katapultiert. Die Einbürgerungsrate sank auf 0,6 Prozent. Von 1.000 Menschen, die ohne österreichische Staatsbürgerschaft in Österreich leben, werden pro Jahr nur noch sechs eingebürgert. Die Einbürgerung ist damit, von wenigen tausend Fällen abgesehen, weitgehend zum Stillstand gekommen.
Die Folge: Es wächst eine ganze Generation an hier Geborenen heran, der das Gefühl vermittelt wird, sie sei nicht wirklich zugehörig. Ein Beispiel ist die Schülerin Mereme Merlaku. Sie besucht in Wien eine HAK und arbeitet nebenbei, um einen Beitrag zu den Schulkosten zu leisten. Ihr fällt beim Thema Zugehörigkeit sofort die „Pass Egal Wahl“ von SOS Mitmensch ein, die im vergangenen Jahr an ihrer Schule durchgeführt wurde. Es sei das erste Mal gewesen, dass sie ihre Stimme abgeben durfte, wenn auch nur symbolisch, und es sei das erste Mal gewesen, dass sie sich für einen Moment als Teil der österreichischen Bevölkerung gefühlt habe, erzählt die 18-jährige.
Dieses Gefühl der nicht vollen Zugehörigkeit und das Erleben des Ausschlusses von wichtigen Rechten betrifft inzwischen mehr als 300.000 hier geborene bzw. hier von klein auf aufgewachsene Menschen. Für die Betroffenen bedeutet das, dass der Staat in ihnen „Fremde“ sieht, ihnen die Anerkennung als Österreicher*innen verweigert und sie auf vielen Ebenen benachteiligt. Im Extremfall können sie sogar, wie erst kürzlich im Fall Tina geschehen, aus ihrem eigenen Land herausgeschmissen werden.
Was ist zu tun? Die Nichteinbürgerungspolitik muss beendet werden. SOS Mitmensch hat dazu die Initiative #hiergeboren gestartet. Gefordert wird die automatische Verleihung der Staatsbürgerschaft per Geburt für alle Kinder, die hier zur Welt kommen, wenn die Eltern seit mehreren Jahren hier aufhältig sind. Für Kinder, deren Eltern bei der Geburt in Österreich erst kurz im Land sind, soll es nach spätestens sechs Jahren die Staatsbürgerschaft geben. Gefordert wird auch das Recht auf bedingungslose und kostenfreie Einbürgerung für alle, die als Kind nach Österreich gekommen sind, noch vor dem 16. Geburtstag, damit der Weg frei für die Beteiligung an der Demokratie ist.
Es müssen rasch erste Schritte gesetzt werden, um die Ausgrenzungsspirale zu stoppen. Bereits mehr als 35.000 Menschen, darunter zahlreiche prominente Persönlichkeiten, unterstützen die #hiergeboren-Initiative auf www.hiergeboren.at mit ihrer Unterschrift.
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