Keine lösungsorientierte Politik
Warum erhalten Kinder, die in Österreich geboren worden sind, nicht die Staatsbürgerschaft? Das sei eine „Entwertung der Staatsbürgerschaft“, sagt Kurz. – Das sind polemische, zynische Aussagen, für die man wohl Anleihe bei Jörg Haider genommen hat. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Antonia Gössinger
Wann hat sie begonnen, diese Ausländerfeindlichkeit in Österreich? Mit Jörg Haider? Nein, diese Ablehnung des Fremden war in unserer Gesellschaft immer vorhanden. Das Anti-Ausländer-Volksbegehren, das Haider mit der Freiheitlichen Partei Anfang der 1990-er-Jahre gestartet hat, war allerdings die erste Initiative nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich gegen Menschen gerichtet hat. Eine Oppositionspartei hat damit ein Thema besetzt, das ihr mediale Aufmerksamkeit und den Zulauf von Menschen, die mit Zuwanderung Ängste verbinden, eingebracht hat. 30 Jahre später ist es eine Regierungspartei, die ÖVP, die auf dieser Klaviatur spielt. Und damit mit dem Schicksal von Menschen. Befeuert durch die Flüchtlingsbewegungen, denen die internationalen politischen Organisationen hilflos bis ignorant begegnen.
„Die Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut.“ Diesem Satz von Bundeskanzler Sebastian Kurz wird kaum jemand widersprechen. Warum Kindern, die in Österreich geboren worden sind und geboren werden, dieses Gut nicht zuteilwerden darf? Darauf bleiben Kurz und seine Partei eine schlüssige Antwort schuldig. Es sei eine „Entwertung der Staatsbürgerschaft“, die Staatsbürgerschaft sei ein „Geschenk, das man sich verdienen muss“, heißt es. Diese Erklärungen sind keine sachlichen Begründungen, sondern menschenverachtende, polemische, zynische Aussagen. Für die man wohl Anleihe bei Haider genommen hat. Parteilichem Erfolg wird alles untergeordnet, auch staatspolitische Verantwortung.
Was könnte ein größerer Ansporn zur Integration in unserem Land sein als die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft? Den Kindern würde sie die gesellschaftliche Teilhabe von Geburt an sichern. Ihren Eltern würde dies die Verpflichtung auferlegen, sich genau darum zu bemühen – um gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Die SPÖ hat vorgeschlagen in Österreich geborenen Kindern automatisch die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn ein Elternteil seit fünf Jahren legal im Land ist. Warum kann man über diesen Vorschlag nicht einmal diskutieren? Die durchsichtige, in der Hoffnung auf parteipolitischen Erfolg vertretene Position der Kanzler-Partei ist beschämend, hartherzig und zeugt nicht von einem lösungsorientierten Politik-Verständnis. Zumal unbestreitbar ist, dass Österreich angesichts der demographischen Entwicklung auf längere Sicht gesehen auf legale Zuwanderung angewiesen sein wird. Was liegt näher, als den Menschen die Staatsbürgerschaft zuzuerkennen, die bereits im Land sind? Und jetzt schon einen Betrag zu unserem Wohlstand leisten können. Die Kinder, die von Geburt an Österreicherinnen und Österreicher sein sollten, werden ihren Beitrag im Laufe ihres Erwachsenen-Lebens zu leisten haben. Ist es nicht bei Ihnen, bei mir und bei Bundeskanzler Kurz ebenso?
Im Juli hat der Bundeskanzler in New York einer Holocaust-Überlebenden feierlich die österreichische Staatsbürgerschaft überreicht. Er hat dabei das Versprechen abgegeben, mit Kraft und Macht alle Formen des Antisemitismus in Österreich zu bekämpfen. Herr Kurz, tun Sie das auch, um Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen.
Antonia Gössinger war seit 1983 bei der Kleinen Zeitung (2015-2020 als Chefredakteurin für die Kärnten-Ausgabe). Mit der Polit-Kolumne „Salz & Pfeffer“ wurde sie zur „Lieblingsfeindin“ von Jörg Haider. Sie ist Preisträgerin des Concordia-Preises für den Einsatz für Pressefreiheit.
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