
Kopfloser Aktionismus
SONDERECKE. Die Anschaffung von stichfesten Westen hatte ungeahnte Folgen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. um die Ecke gedacht mit Philipp Sonderegger, Illustration: Petja Dimitrova
Wie kann man mit kopflosem Sicherheitsaktionismus die Polizei beschädigen? Geben Sie viel Geld für Schutzwesten aus, ohne vorher sorgfältig den Bedarf zu klären. Lassen Sie sie sich nicht beirren, wenn die Organe der Republik nachher wie Türsteher aussehen. Und das verunglückte Image womöglich den falschen Nachwuchs anlockt.
Polizeigewerkschaften forderten schon lange so genannte „ballistische Gilets“, die vor Messerstichen schützen und sogar Schüsse hemmen. Mit einer Sicherheitsmilliarde im Börsl unterfertigte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) im Jahr 2016 die Anschaffung von 24.000 Westen. Das Produkt der Marke Sioen Ballistics kann sowohl unter als auch über der Kleidung getragen werden. Sie wird auf die Körperform zugeschnitten und kostet bis zu 800 Euro. In Wien ist das Tragen der Weste im Außendienst seit Oktober 2019 für alle Polizisten und Polizistinnen verpflichtend.
Begründet wurde die Anschaffung mit einer „Zunahme von Messerangriffen“ auf Beamte. Auf Rückfrage nach der Datenbasis verwies das Ministerium aber lediglich auf die allgemeine Anzeigenstatistik. Die weist PolizistInnen nicht aus und lässt solche Rückschlüsse damit auch nicht zu. Eigentlich sollte man annehmen, dass eine derartige Anschaffung sorgfältig abgewogen und begründet wird.
Das war aber nicht die einzige Panne. Nach der Rekordhitze im Juni wurde klar, dass die Weste den Tragekomfort der Uniform nicht steigert. Die Zwei-Kilo-Haut entpuppte sich als veritabler Wärmespender. Noch dazu unterbindet das Gilet das Entweichen von Schweiß. An warmen Tagen wurden die Uniformhemden binnen Stunden unansehnlich. Von hygienischen und gesundheitlichen Fragen einmal abgesehen. In eilig einberufenen Verhandlungen mit der Personalvertretung wurde eine Übergangslösung vereinbart. Über den Sommer wurde den PolizistInnen kurzerhand erlaubt, das Uniformhemd wegzulassen und Dienst im Unterhemd zu versehen.
Die Ärmel dieser hautengen Leibchen sind nicht sehr lang und betonen schön die Muskeln der Oberarme. Insbesondere dann, wenn die PolizistInnen mit den Händen am Kragen der Weste einhängen um die ermatteten Arme zu entspannen. Kein seltener Anblick diesen Sommer. Freilich mit einer leichten Anmutung von Türstehern aus dem Rockermilieu.
Das neue Bild der Polizei hat noch andere Folgen. Die Arbeit gewöhnlicher PolizistInnen ist ja zu 99 Prozent Kopfarbeit – denken, reden, schreiben. Kraftmeierei hat in Sondereinheiten ihre Berechtigung, aber im regulären Dienst ist sie eher kontraproduktiv. Die Polizei findet aber nicht genug geeignete BewerberInnen. Allein Wien wird die nächsten fünf Jahre die Hälfte der MitarbeiterInnen neu besetzt. Es wäre hilfreich, wenn Image und Berufsbild der Polizei übereinstimmen, damit sich die richtigen KandidatInnen angesprochen fühlen..
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at
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