Landtagswahl in Oberösterreich: Erstmals gemeinsame Pass Egal Wahl von SOS Mitmensch mit Schulen
Über 7.000 Schüler*innen im Wahlalter dürfen bei der oberösterreichischen Landtagswahl am 26. September ihre künftige Landesregierung nicht selbst wählen, weil sie keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. An fünf Schulen in Oberösterreich ist das anders. Mit einer „Pass Egal Wahl“ setzt SOS Mitmensch gemeinsam mit Schulen in Steyr, Perg, Linz und Vöcklabruck ein Zeichen gegen den Ausschluss junger Menschen von Wahlen.
--> Gesamtergebnis der oberösterreichischen Pass Egal Wahl 2021
Großer Andrang im Pass Egal Wahllokal.
„Was macht der Demokratieausschluss mit unseren Jugendlichen?“
„Wir müssen uns fragen, was es mit den Jugendlichen und ihrem Gefühl von Zugehörigkeit macht, wenn sie von demokratischer Beteiligung ausgeschlossen sind und nicht wählen dürfen“, sieht Gerlinde Affenzeller, Geschäftsführerin von SOS Mitmensch, dringenden Handlungsbedarf. Sie verweist darauf, dass in Oberösterreich insgesamt über 160.000 Menschen im Wahlalter von der Landtagswahl ausgeschlossen sind. Ein immer größerer Anteil davon sei im Land aufgewachsen oder sogar hier geboren, so Affenzeller.
Extrem hohe Einbürgerungshürden
Als Hauptgrund für die Entwicklung nennt Affenzeller die im internationalen Vergleich sehr hohen Einbürgerungshürden. „Selbst in Oberösterreich geborene Kinder müssten über ihre Eltern ein Mindesteinkommen nachweisen, um eine Chance auf Einbürgerung zu haben. Für viele Eltern mit niedrigem Vollzeiteinkommen, Teilzeitbeschäftigung oder ohne Erwerbsarbeit ist das aber unmöglich. Die Kinder bleiben für lange Zeit oder gar dauerhaft von politischer Mitbestimmung ausgeschlossen“, kritisiert Affenzeller.
Lehrer*innen und Schüler*innen beteiligten sich an der Wahlaktion, darunter Betroffene des Wahlausschlusses als auch Nichtbetroffene, die eine Solidaritätsstimme abgaben.
„Pass Egal Wahl“ öffnet Tor zu demokratischer Beteiligung
Um sich mit dieser Demokratie-Problematik auseinander zusetzen und zumindest auf symbolischer Ebene das Tor zu demokratischer Beteiligung zu öffnen, hat SOS Mitmensch erstmals mit einigen Schulen in Oberösterreich eine „Pass Egal Wahl“ organisiert. „Pass Egal“ bedeutet, dass auch ohne österreichische Staatsbürgerschaft symbolisch gewählt werden darf.
„Das Recht auf die Staatsbürgerschaft wird uns verwehrt“
Eine Teilnehmerin war die 17-jährige Schülerin Anna. Sie hat, obwohl in Oberösterreich aufgewachsen, die ungarische Staatsbürgerschaft. Sie erklärt, warum sie nur symbolisch wählen darf: „Der ganze Prozess um die Staatsbürgerschaft zu bekommen, ist extrem kompliziert und viel zu teuer für meine Familie. Das Recht auf die österreichische Staatsbürgerschaft wird uns durch die aufwendige Bürokratie und den finanziellen Aufwand verwehrt.“
Elissa und Anna sind beste Freundinnen und gehen in die gleiche Klasse. Elissa darf am Sonntag wählen, Anna nicht. Beide engagierten sich bei der Pass Egal Wahl an ihrer Schule als Wahlbeisitzerinnen.
„Kein Mitspracherecht für Regeln und Gesetze, die sie befolgen müssen“
Auch bemerkenswert viele Schüler*innen mit österreichischem Pass haben in den Schulen ihre Stimme abgegeben. Für den Wahlausschluss ihrer gleichaltrigen Freund*innen bringen sie wenig Verständnis auf: „Ich habe heute gewählt, weil ich es falsch finde, dass Menschen, die hier jahrelang leben, kein Mitspracherecht haben für Regeln und Gesetze, die sie befolgen müssen“, begründet Elissa, 17 Jahre, ihre Solidaritäts-Teilnahme an der „Pass Egal Wahl“.
„Ich wusste gar nicht, dass du eine serbische Staatsbürgerschaft hast“
Lehrerin Edith K. weist drauf hin, dass beim Erreichen des Wahlalters häufig zum ersten Mal klar wird, dass die Schüler*innen einer Klasse nicht alle Österreicher*innen sind. Sie zitiert einen erstaunten Schüler, der sich an der „Pass Egal Wahl“ beteiligte und zu seiner Mitschülerin meinte: „Ich wusste gar nicht, dass du eine serbische Staatsbürgerschaft hast“. „Der Wahlausschluss dieser jungen Menschen schafft Differenzen, wo bislang keine waren“, kritisiert die Lehrerin.
Die engagierten Wahlbeisitzer*innen bei der Arbeit.
„Stärkung der Zugehörigkeit statt staatliche Ausgrenzung“
Als Ziel der „Pass Egal Wahl“ in Schulen nennt SOS Mitmensch demokratische Beteiligungsmöglichkeiten und ein faires Einbürgerungsrecht für alle in Österreich lebenden Menschen, ganz besonders für hier aufgewachsene Kinder und Jugendliche. „Die staatliche Ausgrenzung unserer Schüler*innen muss beendet und stattdessen die Möglichkeit zur politischen Teilhabe und Stärkung der sozialen Zugehörigkeit forciert werden“, fordert SOS Mitmensch-Geschäftsführerin Gerlinde Affenzeller abschließend.
Bereits fünf Pass Egal Wahlen in Österreich
SOS Mitmensch hat erstmals im Jahr 2013 anlässlich der damaligen Nationalratswahl eine Pass Egal Wahl initiiert. Weitere Pass Egal Wahlen folgten bei der Wiener Wahl 2015, der Nationalratswahl 2017, der Nationalratswahl 2019 sowie anlässlich der Wiener Wahl 2020. Nun fand erstmals eine Pass Egal Wahl an Schulen statt. Diese ist Teil der ersten oberösterreichischen Pass Egal Wahl 2021.
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