Lukrative Mietgeschäfte mit der Not
In Wien leben manche geflüchtete Menschen in desolaten Wohnungen und müssen dafür teure Mieten zahlen. ORF-Journalist Yilmaz Gülüm im Gespräch darüber, warum es in der lebenswertesten Stadt der Welt weiterhin Elendsquartiere gibt.
Interview: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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MO-Magazin: Im ORF-Report deckten Sie und Ihr Kollege Faris Rahoma auf, dass es in Wien etliche private Wohnhäuser gibt, in denen vorwiegend syrische Geflüchtete unter katastrophalen Bedingungen leben. Welche Zustände haben Sie vorgefunden?
Yilmaz Gülüm: Viele Wohnungen waren voller Schimmel, die Stromleitungen unsicher, es gab Kanalisationsprobleme und teilweise hat es in die Wohnungen hineingeregnet. In manchen gab es keine funktionierenden Heizungen und in den Stiegenhäusern stand das Wasser. Die Kinder einer Familie, die wir antrafen, hatten aufgrund des Schimmels und des Ungeziefers einen Ausschlag. Es waren unwürdige Zustände, die wir gesehen haben. Wir sind auf 25 solche Wohnhäuser gestoßen, aber das sind wahrscheinlich weit nicht alle.
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Eine desolate Einzimmerwohnung ohne Heizung
kostete rund 650 Euro. Die Miete wird in bar kassiert.
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Wie kommt es dazu, dass Menschen in der viel zitierten lebenswertesten Stadt unter solchen Umständen leben?
Geflüchtete Menschen, vor allem alleinstehende Männer, die ein positives Asylverfahren abgeschlossen haben, fallen aus der Grundversorgung. Dadurch haben sie nur wenig Zeit, eine Bleibe zu finden, während der Wohnungsmarkt äußerst angespannt ist. Ohne Sprachkenntnisse oder sicheren Job haben sie kaum Chancen auf normale Mietwohnungen. Manche Vermieter:innen nutzen diese Notlage aus und lassen die Menschen für überhöhte Preise in baufälligen Häusern wohnen. Häufig handelt es sich um Abbruchhäuser, in denen noch Altmieter:innen wohnen, die die Eigentümer:innen nicht „loswerden“. Die versucht man rauszuekeln, indem etwa das Gas abgeschaltet wird, der Lift auf einmal nicht mehr geht oder Reparaturen Ewigkeiten hintangestellt werden. Zugleich werden geflüchtete Menschen als sogenannte Zwischennutzer:innen genommen bis alle Mieter:innen aus dem Haus draußen sind, damit immerhin etwas mehr Miete hereinkommt.
Schimmel, unsichere Elektroleitungen, Wasser im Stiegenhaus: Dass solche Wohnungen zu hohen Preisen vermietet werden dürfen, lässt staunen.
Was wird von den geflüchteten Menschen verlangt?
Eine desolate Einzimmerwohnung ohne Heizung kostete beispielsweise um die 650 Euro. Die Mieten werden in bar kassiert. Auch wenn rechtlich gesehen Bruchbuden vermietet werden dürfen, darf dies je nach Wohnkategorie eigentlich nur für wenig Geld passieren. Auch mit den Mietverträgen hat es nicht gepasst. Die Wohnungen waren teilweise nur halb so groß wie im Mietvertrag angegeben. Mieter:innen mussten eine Zusatzvereinbarung unterschreiben, dass die Wohnung nicht der Kategorie entspricht, die im Vertrag steht.
Warum wird diese Praxis nicht von den Behörden gestoppt?
Im Hintergrund tut sich schon etwas: einige Behörden sind dran, machen Besichtigungen und stellen Strafbescheide aus. Sie können aber oft nicht wirksam eingreifen. Es sind meist die gleichen Firmen und Eigentümer:innen. Diese einschlägigen Player sind den Behörden teilweise seit zehn Jahren oder noch länger bekannt und offenbar gelingt es nicht, diesen Leuten insgesamt das Handwerk zu legen. Der rechtliche Rahmen, wo man wirklich gegen den Vermieter:innen und Eigentümer:innen direkt vorgehen kann, ist nicht streng genug gefasst. Die rechtliche Handhabe ist begrenzt, Maßnahmen wie Zwangsverwaltungen greifen nur bei extremen Fällen, und selbst das dauert. Das Gesetz verlangt beispielsweise von Eigentümern, ihre Immobilien instand zu halten. Doch solche Regelungen alleine reichen nicht aus, um das Geschäftsmodell dieser Mietmafia zu verhindern.
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"Wir sind auf 25 solcher Wohnhäuser in Wien
gestoßen, aber das sind wahrscheinlich weit nicht alle."
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Die Berichte wurden in der ersten Jahreshälfte 2024 ausgestrahlt. Nun steht der kalte Winter vor der Tür. Hat sich für die betroffenen Menschen inzwischen etwas geändert?
Für die meisten hat sich unseres Wissens nach bisher wenig geändert. Sie harren immer noch in den Wohnungen aus, und viele sind im Winter weiter ohne Heizung. Einigen wurde beim Einzug eine Renovierung zugesagt, wenn sie zuvor mehrere tausend Euro zahlen. Wieder in bar und ohne Vertrag. Daraus ist in den meisten Fällen nichts geworden. Das Geld ist weg und so auch die Möglichkeit, sich etwas anderes zu suchen. Immerhin konnte die Familie deren Kinder Probleme mit Ausschlägen hatte nach unserer Reportage mit Hilfe einer NGO in eine neue Wohnung umziehen. Das zeigt, dass Aufklärung und Berichterstattung einen Unterschied machen können.
Was muss getan werden?
Mieter:innen müssen über ihre Rechte informiert werden. Besonders Geflüchtete werden leicht Opfer solcher Machenschaften, weil ihnen das Wissen und der Zugang zu rechtlichen Schutzmechanismen fehlen. Dementsprechend sollte in Flüchtlingsunterkünften aufgeklärt und vor dieser Mietmafia gewarnt werden. Politische Verantwortliche und Behörden müssen stärker dafür sensibilisiert werden, und der öffentliche Druck muss bleiben. Denn diese Menschen sind nicht wahlberechtigt, haben keine Lobby und keine öffentlich wahrnehmbare laute Stimme.
Anm. d. Red.: Kurz vor Redaktionsschluss gab die Stadt Wien bekannt, manche Spekulationshäuser unter Zwangsverwaltung der Gemeinde stellen zu wollen. Diese im Mietrechtsgesetz vorgesehene Maßnahme werde zum ersten Mal eingeleitet.
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