Mein neues Leben in Österreich: Elf Erzählungen von Geflüchteten
SOS Mitmensch gibt den Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind und sich hier ein neues Leben aufbauen, eine Stimme und ein Gesicht. Immer mehr von ihnen schaffen es, in Österreich Fuß zu fassen und einen Job zu finden. Hier die Kurzfassungen von elf Erzählungen. Die Langfassungen finden Sie, wenn SIe jeweils auf die Kurzzitate klicken.
Habib Nazari, Arbeiter und Fotograf, 53 Jahre, afghanischer Pass: „Arbeiten ist Leben.“
„An den Kindern sieht man, dass wir keine schlechten Menschen sind“, sagt er. „Sie wollen arbeiten, ein normales Leben aufbauen, etwas werden“, damit meint Herr Nazari nicht nur seine eigenen drei Kinder, sondern auch die anderen jungen Hazara die hier in Österreich leben. „Wir brauchen Schutz. Im Durchschnitt sterben pro Tag 20 Angehörige der Minderheit der Hazara in Afghanistan. Das muss man sich vorstellen!“ Und dann wünscht er sich noch, dass sich die Menschen wieder mehr umeinander kümmern und nicht nur darum, wie viel Geld sie verdienen können. „Es kann nicht sein, dass das Geld wichtiger ist als die Menschen, oder?“
Rima Eid, Architektin, 28 Jahre, syrischer Pass: „Ich will jede Chance nutzen und mich auch für Gleichberechtigung einsetzen.“
Ein Thema, das Rima Eid sehr beschäftigt ist die wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau. „Die unterschiedlichen Einkommen von Frauen und Männern betreffen nicht nur Geflüchtete. Ich will mich in dem Bereich auch öffentlich engagieren, wenn ich noch besser Deutsch spreche“, sagt sie in nahezu fließendem Deutsch. Nicht zuletzt lernt sie deshalb weiter. „Jede Chance, jede Möglichkeit mich in einer Gesellschaft einzubringen, hier in dem Land, das mich aufgenommen hat, will ich nutzen.“
Amir Sahil, Kickbox Europameister, 25 Jahre, afghanischer Pass: „Ich will mit dem Sport Menschen helfen.“
„Asyl in Österreich zu bekommen war für mich sehr kompliziert“, erzählt Amir Sahil, der 2013 über Pakistan und den Iran nach Europa kam. „Als ich hier angekommen bin, hab ich gehofft, Ausbildungen machen zu können, selbst als ich großen Stress wegen der Ablehnung in der ersten Instanz hatte. Natürlich hab ich mir zwischendurch gedacht, dass ich aufgebe, weil es so anstrengend war. Aber ich habe es immer weiter versucht. Ich hab mir dann gedacht: Gut, es geht langsamer als ich es erhofft habe, aber ich höre nicht auf. Ich bin motiviert geblieben. Vielleicht hat mir der Kampfsport dabei geholfen. Deshalb will ich auch in der Freizeitpädagogik weiterarbeiten, weil ich sehe, dass ich mit dem Sport Menschen helfen kann.“
Ahmad Esawe, Architekt, 28 Jahre, staatenlos: „Es geht um das große Ganze."
„Ich verstehe nicht, warum Menschen die nach Österreich kommen davon abgehalten werden sich produktiv in die Gesellschaft einbringen zu können. Ich würde sagen, rund 70% der Geflüchteten bringen viel Arbeitserfahrung mit und Know-how und kosten dem Staat keine 12 Jahre Schule. Warum hält man diese Menschen davon ab, an der Gesellschaft teilzunehmen, ich versteh das nicht.“
Rania Eskander Simo, Nachhaltigkeitsmanagerin und Dolmetscherin, 37 Jahre, syrischer Pass: „Man kann nicht ankommen, wenn man nicht willkommen geheißen wird."
„Von der Zukunft wünsch ich mir, dass ich das gleiche Gefühl von Sicherheit habe, wie in Syrien vor dem Krieg und mein normales Leben führen kann. Ich hoffe, ich bin in spätestens zwei Jahren die Rania, die ich in Syrien war.“ Österreich möchte sie etwas zurückgeben, sagt Rania Simo, „dieses Land hat uns so gut aufgenommen.“
Mulham Al Fayyad, International Carrier Relations Manager, 32 Jahre, syrischer Pass: „Zeigen, was man drauf hat!"
„Eine Arbeit zu haben, hat für mich in Österreich eine andere Bedeutung als damals in Syrien. Früher hat mein Job mir finanzielle Sicherheit gegeben und auch Spaß gemacht. In Österreich kommt noch eine weitere Dimension dazu: einen Job auszuüben, bedeutet, Teil der österreichischen Gesellschaft zu sein. Wir zeigen dadurch, dass wir einen Mehrwert für die Community haben, indem wir unsere Fähigkeiten und Erfahrungen einbringen. Man muss dazu aber auch die Chance bekommen, zu zeigen, was man drauf hat!“
Sima Abdul Hakim, Mathematik Trainerin, 33 Jahre, afghanischer Pass: „Ich will etwas weitergeben."
„Arbeit in europäischen Ländern zu haben ist sehr wichtig, weil man so selbst für Sicherheit sorgen kann. Mein Mann und ich arbeiten beide, so können wir uns auch mehr leisten, auch wenn sich die Kinder etwas wünschen. Meine Arbeit mit der Mathematik ist für mich auch wichtig, weil ich es schon immer geliebt habe. Ich will etwas weitegeben.“
Muhammad Al-Dahabi, Koch und Ingenieur, 53 Jahre, syrischer Pass: „Arbeit ist Liebe.“
Egal welcher Arbeit Muhammad Al-Dahabi nachgehen kann, für ihn bedeutet Arbeit immer Liebe und Kochen ist für ihn Kunst. Was er tut, macht er aus ganzem Herzen, anders geht das für ihn nicht, sagt er lächelnd. Diesen Zugang zu Arbeit will er auch seinen drei Kindern weitergeben. „Mir ist es wichtig, dass sie das von mir lernen. Ich will ein positives Vorbild sein“, sagt Muhammad Al-Dahabi. Dass er in seiner Arbeit allerdings nur mit Gemüse kochen darf, hat ihn am Anfang angestrengt. Er war aus seiner syrischen Heimat gewohnt, Fleisch zu kochen. Was er auch nach wie vor für seine Familie daheim tut, wenn er schon in der Arbeit nur „Gemüse, Gemüse, Gemüse“ kochen darf, lacht er.
Qadir Anwari, Kellner, 23 Jahre, österreichischer Pass: „Ich möchte immer Menschen helfen, das kann ich auch als Kellner gut.“
Bei der Arbeit viel mit Menschen zu tun zu haben, gefällt Qadir Anwari, seine derzeitige Arbeit ist inzwischen schon so etwas wie seine ideale Arbeit. „Ich möchte immer Menschen helfen, das kann ich auch als Kellner gut“, lacht er. Er hilft aber nicht nur den Menschen, die als Gäste ins Café kommen, er hilft auch seiner Familie, die nach wie vor in Afghanistan lebt. Langfristig möchte Qadir Anwari ein eigenes Café. „Vorher will ich aber, dass meine Familie gut versorgt und außer Gefahr ist. Momentan leben sie in Kabul und da ist es alles andere als sicher. Ich hab meine Mama seit 9 Jahren nicht mehr gesehen. Als ich weg musste war sie eine junge Frau, jetzt hat sie graue Haare. Es ist traurig, dass ich sie so lange nicht mehr gesehen habe.“
Haia Haddad, 24 Jahre, Recruting und Online-Managerin, syrischer Pass: „Arbeit heißt, mich und meinen Weg zu verwirklichen.“
Arbeit bedeutet alles für Haia Haddad: „Die sich daraus ergebenden Perspektiven und Ziele begleiten einen das ganze Leben“, sagt sie, „Arbeit heißt, mich und meinen Weg zu verwirklichen“, so Frau Haddad. Langfristig will sie viele Erfahrungen sammeln, ein Masterstudium abschließen und im Marketing & Sales Bereich arbeiten. Sie wünscht sich von den Menschen in Österreich, dass jene, die hierherkommen eine Chance bekommen zu zeigen, wer sie sind und was sie können, und dass man nicht einfach an den negativen Stereotypen festhält, die durch die Medien geistern.
Imad Khchifati, 26 Jahre, Projektmitarbeiter an der TU Wien, syrischer Pass: „Ich hab das Gefühl, dass ich angekommen bin."
Auf die Frage, was sein idealer Job wäre, antwortet Imad Khchifati lächelnd: „Natürlich Maschinenbau, eine Mischung aus Praxis und Theorie.“ Er möchte weiter an der Uni arbeiten, das steht für den 26-Jährigen, der sich in seiner Freizeit gegen Antisemitismus unter Geflüchteten engagiert, außer Frage. „Mir geht es hier gut in Österreich. Ich hab das Gefühl, dass ich angekommen bin. Für die Zukunft wünsch ich mir nur, dass es in Syrien Frieden gibt und etwas mehr Solidarität aus der österreichischen Gesellschaft für die Menschen, die hierher kommen.“
Menschen zuhören
„Gerade in einer Zeit, in der Menschen mit Fluchtgeschichte oftmals pauschal als lästig, unerwünscht oder sogar gefährlich abgestempelt werden, ist es wichtig, den Betroffenen ein wenig zuzuhören. Viele von ihnen arbeiten hart daran, sich in Österreich ein neues Leben aufzubauen“, sagt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch. Ihre Erzählungen machen auch deutlich, wie wichtig hilfsbereite Menschen und Integrationsprojekte auf dem Weg in ein neues Leben sind, betont Pollak.
Bitte nach mehr Offenheit
„Die Frauen und Männer, mit denen wir gesprochen haben, eint eine gemeinsame Bitte. Sie wünschen sich ein wenig mehr Offenheit der Gesellschaft. Sie möchten zeigen, wer sie sind, und beweisen, dass sie positiv zur österreichischen Gesellschaft beitragen können“, so Pollak.
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