Migration und Arbeitsmarkt 2023: Alles anders?
Kommt es durch Migration zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt? Die Zahlen der letzten Jahrzehnte legen das nicht nahe. Die „Grenzen-dicht“-Karte ist menschlich verachtenswert und ökonomisch dumm. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Markus Koza
Das Jahr 2022 war in Sachen Arbeitsmarkt ein Jahr der Superlative: Mit 3,96 Millionen unselbständig Beschäftigten wurde ein neues Allzeithoch erreicht. Mit durchschnittlich 206.500 offenen Stellen gab es so viele freie Jobs wie schon lange nicht. Und: mit 927.000 Arbeitnehmer*innen ohne österr. Staatsbürgerschaft erreichte auch die „Ausländer*innenbeschäftigung“ einen Spitzenwert. Ausländer*innen leisten also einen immer größer werdenden Beitrag zum Wohlstand Österreichs.
Dass die Arbeitsmarktmigration „nach Corona“, wie vielfach erwartet wurde, einbricht, ist bislang nicht zu beobachten. Im Gegenteil: Lag Ende der 1980er-Jahre die Zahl ausländischer Arbeitnehmer*innen in Österreich noch bei 200.000 Personen, hat sich diese seither mehr als vervierfacht. Lag der Anteil ausländischer Arbeitnehmer*innen am Beschäftigungswachstum bis Mitte der 1990er-Jahre bei knapp 28 Prozent, hat sich dieser seit 1995 auf rund 59 Prozent mehr als verdoppelt. Das bedeutet konkret: Die steigenden Beschäftigungszahlen nach dem Corona-Jahr 2021 gehen zu über zwei Drittel auf Nichtösterreicher*innen zurück.
EU-Erweiterung 2011: geringe „Verdrängungs“-Effekte
Und das ohne allzu große „Verdrängungs“-Effekte. Der mit dem demografischen Wandel einhergehende Arbeitskräftemangel macht‘s möglich. Die immer wieder behauptete Verdrängungsgefahr „alter“ durch „neue“, eingewanderte Arbeitnehmer*innen begleitet die Migrationsdebatte seit Jahrzehnten: Zugewanderte Menschen würden als billigere Arbeitskräfte „teure“ ersetzen und so Lohn- und Sozialdumping Vorschub leisten. Deshalb müsse Einwanderung auch streng reguliert werden. Das kam längst nicht nur von der politischen Rechten sondern auch von Gewerkschaften – zuletzt besonders im Zusammenhang mit der Öffnung des österreichischen Arbeitsmarktes ab 2011 für Bürger*innen der „neuen“ EUMitgliedsstaaten. Tatsächlich gerieten Arbeitnehmer*innen jener Branchen, die stark von Zuwanderung betroffen waren – v.a. im Baugewerbe, in der Gastronomie, in der Arbeitskräfteüberlassung – unter Druck. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit fiel insgesamt jedoch trotz steigenden „Arbeitskräfteangebots“ geringer als befürchtet aus und blieb weitgehend auf Ostösterreich begrenzt.
Heute stellt sich die Situation grundsätzlich anders dar. Statt eines erhöhten „Arbeitskräfteangebots“ gibt es Arbeitskräfteknappheit. In so gut wie allen EU-Staaten. Wenig überraschend also, dass inzwischen ein regelrechter Wettlauf um Fachkräfte aus dem „Ausland“ begonnen hat. Auch Österreich hat sein Migrationsregime gelockert und den Zugang zur Rot-Weiß-Rot Karte erleichtert.
Am Arbeitsmarktzugang allein wird‘s allerdings nicht liegen, ob ein Einwanderungsland attraktiv erscheint. Es ist auch die Stimmungslage, die Stimmungsmache, die Offenheit gegenüber Zuwander*innen von Bedeutung. Wer meint, dass Wien ohne Migrant*innen besser dastünde, wer meint, bei schlechten Umfragedaten jedes Mal aufs Neue die „Grenzen-dicht“-Karte zücken zu müssen, handelt nicht nur menschlich verachtenswert, sondern – gerade in Zeiten eines Arbeitskräftemangels – auch ökonomisch dumm. 2023 ist nämlich anders. Und die Zukunft erst recht.
Markus Koza ist Sozialsprecher der Grünen im Nationalrat und war Bundessekretär der AUGE/UG - Alternative Grüne und Unabhängige GewerkschafterInnen.
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