Mit den Fakten Schritt halten
Migrant:innen und ihre nachfolgenden Generationen werden in Deutschland beruflich immer erfolgreicher. Dennoch halten sich die Vorbehalte ihnen gegenüber hartnäckig. Ein Gespräch mit dem Soziologen Frank Kalter über die Gründe und darüber, was verbessert werden kann.
Interview: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Zugewanderte und ihre Nachkommen werden von der Mehrheitsgesellschaft zum Teil auch deshalb nicht akzeptiert, weil sie zu erfolgreich integriert sind – und nicht zu wenig. Das stellten Soziologe Frank Kalter von der Universität Mannheim und Migrationsforscherin Naika Foroutan von der Humboldt-Universität zu Berlin in der Studie „Outgroup mobility threat – how much intergenerational integration is wanted?“ fest. Kalter und Foroutan sind Direktor:innen und im Gründungsvorstand des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).
MO-Magazin: Herr Kalter, in Ihrer Untersuchung stellten Sie und Ihre Kollegin Naika Foroutan fest, dass trotz des beruflichen Aufstiegs vieler Migrant:innen und der nachfolgenden Generationen die Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft nicht steigt. Woran liegt das?
Frank Kalter: Früher ist man bei der Ablehnung von Zugewanderten von einer Konkurrenz ausgegangen, also dass es einen Kampf am Arbeitsmarkt um knappe Ressourcen und gute Positionen gibt. Das ist aber insofern nicht mehr schlüssig, da sowohl in den USA – von wo die Konkurrenz-Hypothese stammt – als auch in den meisten europäischen Ländern wie Deutschland und Österreich diese Konkurrenzsituation durch den demografischen Umbruch nicht mehr da ist. Die Babyboomer gehen in Pension. Es entstehen unfassbar viele Leerstellen auf den Arbeitsmärkten, in allen Positionen, und man kann froh sein, wenn diese gefüllt werden. Da ist es umso erstaunlicher, dass die Akzeptanz immer noch so schleppend ist, weil man ja auch die demografischen Erfordernisse mit Zuwanderung füllt, insbesondere mit den erfolgreichen nächsten Generationen von Zuwanderer:innen. Nun stellten wir fest, dass es bei der Konkurrenz eher um unterschiedliche kulturelle Werte geht, die als eigentliche Bedrohung wahrgenommen werden. Das könnte helfen, zu erklären, warum die Vorbehalte gegenüber bestimmten Gruppen, vor allem gegenüber Muslim:innen, weiter so hoch sind. Man muss aber dazu sagen, dass es keine alleinige Antwort ist. Es ist jedoch ein Schritt in die Richtung, die Frage zu beantworten.
Was war der Anlass, diese Studie letztes Jahr durchzuführen?
Wir sehen viele Integrationserfolge in Deutschland, etwa auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssektor. Dort gelingt die Integration unter dem Strich grundsätzlich gut und gemessen an den oft schwierigen Startbedingungen auch vergleichsweise schnell. Das wird aber meist nicht so wahrgenommen. Stattdessen hält sich der Mythos, dass die Integration gescheitert sei. Das geht völlig an den Fakten vorbei. Diese Diskrepanz hat uns dazu bewogen, genauer zu untersuchen, warum die Akzeptanz von Zugewanderten oder die Wahrnehmung der Erfolge von Integration nicht mit dem Schritt hält, was tatsächlich passiert.
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„Man muss sich immer wieder bewusst machen:
Berichtet wird über Probleme und nicht über das, was gut läuft“
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Stichwort Arbeitsmarkt: Mit welcher Generation kann der berufliche Aufstieg in Deutschland beobachtet werden?
Es ist grundsätzlich schwierig, hier von abgrenzbaren Generationen zu sprechen, denn es ist nicht immer so eindeutig, wer die erste, zweite oder dritte Generation ist. Man kann einen Elternteil aus Deutschland und einen aus dem Ausland haben, ebenso bei den Großeltern. Zu welcher Generation zählt man dann? Aber generell nimmt der berufliche Aufstieg über die Generationen tendenziell immer stärker zu. Und in der sogenannten dritten Generation können wir die Unterschiede gegenüber der Population ohne Migrationshintergrund eigentlich gar nicht mehr feststellen.
In der Studie schreiben Sie, dass Teile der Mehrheitsbevölkerung Zugewanderte ablehnen könnten, da diese zunehmend einflussreiche Positionen bekleiden. Woran liegt das?
Wenn zugewanderte Minderheiten in Berufen tätig werden, die die gesellschaftlichen Normen und Regeln der Mehrheitsgesellschaft prägen, ist die Angst da, dass sich diese verändern. Das nennen wir die sogenannte symbolische Bedrohung. Sie bezieht sich auf kulturelle Werte und Normen einer Gesellschaft, wie zum Beispiel allgemeine Verhaltensregeln, die durch die Zugewanderten angeblich unterwandert würden. Reale Bedrohung würde hingegen bedeuten, dass aus Sicht der Mehrheitsgesellschaft die Versorgung mit materiellen Bedürfnissen wie Nahrung oder Unterkunft durch den Aufstieg von Minderheitengruppen gefährdet wird. In Deutschland spielt die symbolische Bedrohung eine größere Rolle als die reale. Vor allem türkeistämmige Muslim:innen und syrische Geflüchtete stoßen hier auf größere gesellschaftliche Ablehnung. Das ist unabhängig davon, wie erfolgreich sie sind. Unsere Studie belegt, dass die symbolische Bedrohung besonders dann zunimmt, wenn Muslim:innen in diese Art von Berufen aufsteigen, etwa Richter:innen oder Politiker:innen werden.
Der Soziologe Frank Kalter ist einer der Direktor:innen des deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).
Was kann man tun, um dieses Bedrohungsgefühl abzuschwächen?
Das ist ein Bereich, wo es um klassische Ressentiments geht, um tiefere rassistische Einstellungen. Dagegen gibt es leider keine schnellen Patentrezepte. Es bedarf kontinuierlicher Anstrengungen auf vielen gesellschaftlichen Ebenen. Eine faktenbasierte Aufklärung und Diskussion sind auf jeden Fall notwendige Bestandteile, auch wenn sie allein noch nicht ausreichen.
Wessen Aufgabe ist es, sogenannte Integrationserfolge zu kommunizieren?
Es ist die Aufgabe von allen: von jedem einzelnen im Alltag, von der Politik, von den Medien, von der Wissenschaft. Letztere tut, was sie tun kann, und macht Analysen mit den besten Daten und Methoden, die ihr zur Verfügung stehen.
Wo sehen Sie da momentan Verbesserungsbedarf?
Ich denke, dass es an allen Stellschrauben Luft nach oben gibt. Ganz besonders bei den Medien, einschließlich der sozialen Medien. Es liegt in der Natur der Sache, dass man über Probleme berichtet und nicht so sehr über die Dinge, die gut laufen. Auch das muss man sich immer wieder bewusst machen. Wenn beispielsweise eine absolute Minderheit unter Minderheiten irgendwo ein Problem verursacht, erfährt man das in der Presse sofort. Wenn 99 Prozent der entsprechenden Gruppe ihrem gepflegten Alltag nachgeht, ist das kein Medienereignis. Das ist ein Teil des Problems, dass der Nachrichtenwert von „vieles läuft sehr gut“ nicht so toll ist wie irgendwelche Katastrophen. Wir versuchen hier am Institut mit einer nüchternen Integrationsberichterstattung beizutragen, in der auch solche Botschaften sichtbar werden. Und wir arbeiten daran, dass sie in Öffentlichkeit, Politik und den Medien noch besser wahrgenommen werden können.
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