Stützen der Gesellschaft – Mohamad Alhallak, Bankbetreuer: „Das Ankommen braucht Zeit“
Mohamad Alhallak war gerade erst 14 Jahre alt, als er gemeinsam mit seinem Bruder aus Syrien flüchtete. Nach dem Abschluss der Handelsschule fand er seinen Traumjob als Bankbetreuer und will sich beruflich immer weiterentwickeln. Von den Menschen in Österreich wünscht Alhallak sich weniger Vorurteile gegenüber Geflüchteten und genügend Zeit zum Ankommen.
Redaktion & Fotos: Sonja Kittel
Flucht mit 14 Jahren
„Mein Name ist Mohamad „Mo“ Alhallak und ich bin 22 Jahre alt. 2015 bin ich mit meinem Bruder aus Syrien geflohen. Wir lebten dort mit meinen beiden Schwestern und meinen Eltern in der Hauptstadt Damaskus. Ich war damals 14 Jahre alt und mein Bruder 15. Zu dieser Zeit wurden wir manchmal auf dem Weg zur Schule wieder nachhause geschickt, weil Leichen vor dem Schulgebäude lagen. Unser Cousin war ein Jahr zuvor gestorben. Er war bei der Armee, was in Syrien nicht so ist wie in Österreich. Als Mann ist man dort nicht nur sechs Monate, sondern lebenslang und man startet auch nicht mit 18, sondern dann, wenn sie dich brauchen. Mein Cousin wurde mit 17 Jahren eingezogen. Sie haben ihn ausgebildet, aber da er noch ein Anfänger war, haben sie ihn mit einer leeren Waffe als Wache abgestellt. Es kam zu einer Auseinandersetzung und er wurde erschossen. Mein Vater wollte nicht, dass wir sein Schicksal teilen und schickte uns weg.
„Viele sprangen ins Wasser aus Angst“
Die Flucht dauerte elf Tage. Wir fuhren gemeinsam mit einer Nachbarin mit dem Bus in den Libanon und dann ging es mit dem Flugzeug in die Türkei nach Izmir. Dort bezahlten wir einen Schlepper, damit er uns bei der Flucht hilft. Er hat uns in ein Haus gesperrt mit sechzig anderen Personen und wir mussten ganz leise sein und uns bereit halten. Eines nachts kam er und sperrte uns in einen LKW, in dem wir kaum Luft bekamen. Es waren kleine Kinder dabei, die nur geweint und geschrien haben. Wir stiegen dann an der Küste aus und mussten über Felsen hinunter zum Strand klettern. Ich bin nachtblind und hatte eine Taschenlampe dabei, um besser sehen zu können, doch der Schlepper nahm sie mir weg. Ich rief nach meinem Bruder und er nahm meine Hand und führte mich zum Boot. Nachdem wir losgefahren waren, erklärte der Schlepper einem der Mitfahrenden wie man das Boot lenkt und sprang dann einfach nach ein paar Metern ins Wasser und ließ uns allein. Wir drehten uns erst mal eine viertel Stunde nur im Kreis und viele sprangen ins Wasser aus Angst. Wir wussten, dass wir uns einen weiteren Fluchtversuch nicht leisten konnten und blieben sitzen.
„Warum gibt es keine sicheren Fluchtrouten?“
Während er Fahrt wurde mir schlecht und ich war immer wieder ohnmächtig. Mein Bruder hielt mich fest und nach drei Stunden kamen wir endlich an. Wir hatten meinem Vater kurz vor der Fahrt geschrieben, dass wir ins Boot steigen und konnten uns erst viele Stunden später bei ihm melden. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, der Gedanke, dass er seine Kinder vielleicht für immer verloren hat. Von Griechenland aus gelangten wir zu Fuß, per Bus und Zug nach Österreich. Unser Onkel lebte schon dort. Nach einem kurzen Aufenthalt in Traiskirchen konnten wir in seine Wohnung in Gloggnitz ziehen.
Schulbesuch in Gloggnitz
Da ich erst 14 Jahre alt war, konnte ich in Gloggnitz die Mittelschule besuchen. Die Hälfte des Schultages bekam ich Deutschunterricht, die andere Hälfte war ich normal in der Klasse. Mein Bruder durfte nicht mehr in die Schule, weil er mit 15 schon zu alt war, und er kam in einen Deutschkurs. Das hat es für mich noch schwerer gemacht, ganz allein in der Klasse mit fremden Kindern und fremder Sprache. Die meisten Kinder und Lehrer waren aber sehr nett. Sie haben mir sogar Schulsachen geschenkt. Manche haben sich auch über mich lustig gemacht, weil ich am Anfang einfach immer zu allem „Ja“ gesagt habe. Wir waren eigentlich davon ausgegangen, dass wir, so wie mein Onkel, innerhalb kurzer Zeit unseren Asylbescheid bekommen würden, und dann unsere Familie nachholen könnten, aber es dauerte zwei Jahre. Für meinen Onkel waren wir eine finanzielle Last, er musste selbst seine Familie in Syrien unterstützen und wir stritten uns immer öfter, bis wir irgendwann auszogen. Claudia Grüner, eine Volksschullehrerin aus dem Ort, nahm uns bei sich auf, bis wir unseren positiven Asylbescheid hatten. Dafür bin ich ihr sehr dankbar. Dann kamen wir in eine Unterkunft für Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Ternitz.
„Meine Eltern mussten sich entscheiden“
Frau Grüner hat uns dann nochmal einen großen Gefallen getan, indem wir das Haus ihrer Großeltern für einen sehr günstigen Preis mieten durften. Mein Bruder und ich sparten so viel wie möglich von der Sozialhilfe, die wir damals bekamen, um das möglich zu machen. Als wir die Familienzusammenführung beantragten, war es für uns eine große Enttäuschung, dass nur unsere Eltern zu uns kommen durften, aber nicht unsere beiden Schwestern. Sie waren damals schon volljährig und studierten. Die Situation war für sie als Frauen nicht so schlimm, weil sie nicht zum Heer mussten, aber es war trotzdem Krieg und gefährlich. Meine Eltern mussten jetzt entscheiden, ob sie ihre zwei Jungs alleine in Österreich lassen oder ihre beiden Töchter alleine in Syrien. Da wir noch minderjährig waren, entschieden sie zu uns zu kommen, zumindest bis wir erwachsen waren. Zu dieser Zeit lernte ich auch meine jetzige Frau kennen. Sie machte ein Praktikum in dem Heim für Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und half mir mit dem Antrag auf Familienzusammenführung und auch bei Alltagsproblemen. Später entwickelte sich dann mehr daraus.
„Der Job sollte zu meiner Ausbildung passen“
Mein eigentlicher Wunsch war es gewesen, Augenarzt zu werden. Nach der Mittelschule versuchte ich deswegen einen Platz im BORG in Ternitz zu bekommen. Meine Englisch-Note war jedoch nicht ausreichend, ich hatte mich mehr aufs Deutschlernen konzentriert, und so war meine einzige Möglichkeit auf eine Weiterbildung die Handelsschule (HAS) in Neunkirchen. Teil davon war auch ein Praktikum, das ich bei McDonalds machte. Es war gerade Corona-Zeit und schwer, überhaupt einen Job zu finden. Nach dem Abschluss der Schule begann ich meinen Berufsweg dann auch bei McDonalds. Irgendwann hielt ich diesen Job jedoch nicht mehr aus und machte mir eine Liste mit Dingen, die mir für meinen Job wichtig sind: Ich will wie ein normaler Mensch behandelt werden. Ich will fixe Arbeitszeiten und am Wochenende frei haben. Der Job sollte zu meiner Ausbildung an der Handelsschule passen. Da kam ich auf die Bank. Es schien mir sehr interessant und es machte mir Freude, an die Aufgaben dort zu denken. Also bewarb ich mich bei vielen verschiedenen Banken.
„Mein Filialleiter hat gefragt, wo ich mich in fünf Jahren sehe“
Ich bekam dann tatsächlich eine Zusage von der Sparkasse und konnte dort vor bald drei Jahren starten. Ein Jahr lang bekam ich eine Ausbildung in der Filiale mit Kursen in Wien und wurde dabei schon normal bezahlt. Jetzt bin ich einerseits am Schalter im Servicebereich, wo ich Kunden bei Ein- und Auszahlungen helfe oder bei Problemen mit Netbanking. Anderseits führe ich Kundentermine durch und unterstütze sie bei ihren Anlagen. In meinem Job kann ich mich immer weiterbilden, egal ob in Richtung Kommerzkunden, Immobilien, Compliance oder Risikomanagement. Das gefällt mir sehr. Mein Filialleiter hatte mich am Anfang gefragt, wo ich mich in fünf Jahren sehe und ich habe gesagt, als Vorstand der Wiener Neustädter Sparkasse. Ich werde nicht aufgeben und meine Ziele verfolgen.
„Das Ankommen braucht Zeit“
Ich lebe jetzt in Wiener Neustadt mit meiner Frau, unserer zwei Jahre alten Tochter und unserem elf Monate alten Sohn. Die österreichische Staatsbürgerschaft habe ich vor sechs Monaten erhalten. Was mir Kraft gegeben hat, all das durchzuziehen, war das Wissen, dass in Syrien Krieg herrscht und ich dort keine Zukunft habe. Mein Ziel war es immer, etwas in meinem Leben zu erreichen. Meine Eltern leben jetzt hier in Österreich. Meine Schwestern haben nach dem Studium geheiratet, eine lebt in der Türkei, eine in Ägypten. Ich vermisse sie sehr. Von den Menschen in Österreich wünsche ich mir, dass sie anerkennen, dass es überall gute und schlechte Menschen gibt. Sie sollten nicht aufgrund einer Person, die etwas Schlechtes macht, auf alle anderen schließen. Es gab schon drei vier Situationen, in denen ich rassistisch behandelt wurde, wegen meiner Hautfarbe oder meinem Bart, und auch, weil meine Frau ein Kopftuch trägt. Wenn jemand ein Problem damit hat, kann man darüber reden und das hinterfragen. Man kann nicht erwarten, dass Flüchtlinge hierherkommen und sich sofort völlig anpassen. Sie kommen aus einer anderen Kultur, mit anderer Sprache und das Ankommen braucht Zeit.“
Sie mussten aus ihrem Heimatland fliehen und fast alles zurücklassen. Jetzt arbeiten sie in Österreich in einem systemrelevanten Beruf und zählen zu den Stützen der österreichischen Gesellschaft. In der 11-teiligen Porträtreihe „Stützen der Gesellschaft“ erzählen geflüchtete Menschen, wie sie unter oft sehr schwierigen Bedingungen einen Neuanfang geschafft haben, und welche Wünsche und Ratschläge sie haben. Wenn Sie Geflüchtete unterstützen wollen, finden Sie hier Infos und Kontakte. Alle bereits veröffentlichten Porträts der aktuellen Reihe sowie unsere Porträtreihen der letzten Jahre sind hier nachzuschauen: www.hierangekommen.at
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