
Naturschutz ohne Menschenrechte?
Naturschutz muss wehrhaft werden. Dieses Paradigma, geboren aus dem Kampf gegen Wilderei und illegalen Handel mit Tieren, hat besonders auf dem afrikanischen Kontinent dramatische Folgen. Immer wieder gibt es Zusammenstöße zwischen lokaler Bevölkerung und schwer bewaffneten Rangern. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Reportage: Simone Schlindwein
Es war kurz nach Mitternacht, als eine Kugel das Vorhängeschloss an der Holztür sprengte und Dutzende Soldaten und Wildhüter die armselige Lehmhütte von Jean Marie Kasula stürmten. Die bewaffneten Männer zerrten den Chef des Pygmäendorfes aus dem Bett und legten ihm Handschellen an, seiner Frau ebenso. Barfuß wurden Kasula und dessen Frau gemeinsam mit vier weiteren Dorfbewohnern abgeführt, erzählt Schwägerin Jaqueline Zimire: „Sie haben uns noch die letzten Habseligkeiten geklaut.“
Das Pygmäendorf Muyange liegt malerisch an einem dichtbewaldeten Berghang im Osten der Demokratischen Republik Kongo: rund ein Dutzend Lehmhütten, eingeklemmt zwischen den Maisfeldern der örtlichen Bauern und dem Regenwald des Kahuzi-Biega Nationalparks in der Provinz Süd-Kivu. Dazwischen spielen Kinder im Dreck, unterernährt, schmutzig. Kongos Pygmäen, auch Batwa genannt, Nachfahren der ursprünglichen Urwaldbewohner, sind eine benachteiligte Minderheit. Zu Kolonialzeiten galten sie nicht als vollwertige Menschen. Bis heute besitzen sie kein Land, verdingen sich auf den Feldern der Bauern anderer Ethnien für knapp einen Dollar pro Tag. Sie sind die ärmste Bevölkerungsgruppe im Kongo.
Kongo: Die Wildhüter vom Kahuzi-Biega Nationalpark zum Morgenappell.
Jetzt werden sie der schlimmsten Verbrechen bezichtigt. Knapp eine Woche nach der Verhaftung beginnt unweit von Muyange unterhalb des Parkeingangs der Prozess. Soldaten stellen Tische und Stühle auf eine Straßenkreuzung. Dahinter prangt ein Werbeplakat mit einem Gorilla und der Aufschrift „Willkommen im Kahuzi-Biega“.
Der Nationalpark in der kongolesischen Provinz Süd-Kivu ist das letzte Refugium für die ostafrikanischen Flachland-Gorillas: ein UNESCO-Weltkulturerbe, finanziert mit westlichen Geldern.
Vertrieben: BewohnerInnen des Pygmäendorfs Muyange am Rand des Kahuzi-Biega Nationalparks.
Vertreibung von 13.000 Menschen
Ein Gerichtshelfer in Uniform breitet Kongos himmelblaue Flagge als Tischtuch auf der Richterbank aus. Darauf postiert er ein rostiges AK-47-Maschinengewehr mit der Registriernummer 9664 – das zentrale Beweisstück. Militärstaatsanwalt Julien Luemba brüllt seine Anklagepunkte ins Mikrofon: Bildung einer bewaffneten Gruppe, illegaler Waffenbesitz, Zerstörung von Flora und Fauna. Die Parkverwaltung hat zusätzlich fünf zivile Anwälte als Kläger geschickt. Sie argumentieren: „Der Klimawandel ist eine weltweite Bedrohung – doch während die einen bereit sind, für den Schutz der Natur zu sterben, bedroht Kasula das Ökosystem.“
Chef Kasula auf der Anklagebank guckt verständnislos, der Dolmetscher neben ihm übersetzt nur das Nötigste. Auch sein Pflichtverteidiger Serge Bufole wirkt hilflos. Er wurde erst eine Stunde vor Prozessbeginn aus dem Bett geklingelt, gibt er zu. „Der kongolesische Staat hat nicht nur die internationalen Konventionen des Naturschutzes, sondern auch der Menschenrechte unterzeichnet”, argumentiert er gegenüber den Richtern: „Der Park hat ihnen Land versprochen, doch dies ist nie geschehen – jetzt sollen sie also im Gefängnis sterben?“
Vor dem Militärrichter: Indigene Einwohner werden angeklagt, Flora und Fauna zerstört zu haben.
Der aktuelle Konflikt zwischen der indigenen Bevölkerung und Kongos Naturschutzbehörde ICCN, die den Kahuzi-Biega Park verwaltet, ist eines von zahlreichen Beispielen in Afrika, die zeigen, dass zum Zweck des Natur- und Artenschutzes, der aufgrund des weltweiten Klimawandels immer mehr Aufmerksamkeit erhält, zunehmend auch Menschenrechte missachtet werden.
Denn laut internationalen Standards sollen Schutzgebiete nur mit freier, vorheriger und informierter Zustimmung (free, prior and informed consent – FPIC) der dort ansässigen Menschen errichtet werden. Dies ist bei den meisten Schutzgebieten, die in der Kolonialzeit oder auch später unter den autoritären Regimen Afrikas gegründet wurden, nie der Fall gewesen.
Jaqueline Zimire, Dorfbewohnerin: „Die Soldaten und Wildhüter haben uns noch die letzten Habseligkeiten geklaut.“
Der Nationalpark Kahuzi-Biega wurde im Jahr 1970 im damaligen diktatorisch regierten Zaire, heute Demokratische Republik Kongo, vom Belgier und Nachkommen der belgischen Kolonialherren, Adrien Deschryver, gegründet. Er wurde 1976 auf 6.000 km2 erweitert, was zu einer Vertreibung von rund 13.000 Menschen führte, darunter rund 6.000 Pygmäen. Bekannt ist Kahuzi-Biega für seine Östlichen Flachlandgorillas, auch Grauer-Gorillas genannt. 1980 hat die UNESCO den Park zum Weltkulturerbe erklärt. Laut der letzten Zählung von 2011 leben nur noch 181 Gorillas im Park. Sie sind akut vom Aussterben bedroht und müssen geschützt werden, so die Prämisse. Zu ihrem Schutz fließen zunehmend mehr Hilfsgelder westlicher Geber und der Europäischen Union in kongolesische Nationalparks, um die gefährdeten Tiere zu retten. Um den sogenannten „Krieg gegen die Wilderei“ erfolgreich zu führen, werden Afrikas Wildhüter nun auch militärisch ausgebildet und mit Überwachungstechnologien ausgestattet.
Es ist noch diesig am Rande des Regenwalds, als morgens um acht Uhr die Parkwächter in ihrem Hauptquartier die Hacken zusammenschlagen. Die Parkverwaltung hat ihre Basis in Tshivanga, nur rund einen Kilometer von der Straßenkreuzung entfernt, wo das Militärgericht tagt. Rund hundert Männer, darunter 36 Pygmäen, in grünen Uniformen, Gummistiefeln und Kalaschnikow-Sturmgewehren salutieren auf dem Platz vor Parkchef De-Dieu Balongelwa. Jenseits der Hauptgebäude erhebt sich majestätisch der dichte Regenwald.
Nachdem der Parkchef nach der Parade vor dem Parkhauptquartier in seinen Geländewagen steigt und in sein Büro nach Bukavu zurück fährt, hat im Park sein Vize Innocent Mburanumwe das Sagen. Kongos berühmtester Umweltschützer wurde im Juli 2019 vom Virunga-Nationalpark in der benachbarten Provinz Nord-Kivu hier her versetzt, nachdem sein brutales Vorgehen gegen die lokale Bevölkerung publik wurde. Er saß kurz in Haft unter Anklage, bis er auf undurchsichtige Weise frei kam.
Der kräftige Mann trägt Uniform, in seinem Gürtel steckt eine Pistole. In einem neu errichteten Kontrollzentrum steht er vor einem Flachbildmonitor und demonstriert US-gespendete Satellitentechnologie. „Wir können damit die Patrouillen in Echtzeit verfolgen und sie können uns alarmieren, wenn es Probleme gibt“, erklärt er und deutet auf eine Landkarte neben dem Monitor. Seine Wildhüter und die Soldaten operieren gemeinsam gegen Milizen. Auch gegen Pygmäen? Der Vize-Parkchef nickt. „Sie haben sich mit anderen Milizen eingelassen, um uns zu bekämpfen.“
Im Kontrollraum: Kongos berühmtester Umweltschützer, Vizeparkchef Innocent Mburanumwe, war wegen brutalen Vorgehens bereits versetzt worden.
Mburanumwe steigt in seine regendichte Schutzkleidung und macht sich auf den Park. Hinter ihm weicht ein schwer bewaffneter Wildhüter nicht von seiner Seite. Die Ranger sind jüngst von israelischen Ex-Militärs der Sicherheitsfirma Maisha im Anti-Terror-Kampf trainiert worden. „Wir sind jetzt kampfbereit, es mit den Terroristen aufzunehmen“, sagt er.
Mburanumwe sucht mit dem Fernglas die Hänge ab. Nur wenige Kilometer von hier leben die gefährdeten Gorillas. Dann zeigt er auf den Hügel gegenüber. Eine Frau sammelt Feuerholz. „Wenn wir Drohnen, Kameras und Nachtichtgeräte hätten, könnten wir die Gorillas besser schützen und jedes Holzkohlefeuer schon von weitem aufspüren“, so der Vize-Parkchef. „Wir hoffen, unsere Geber werden uns diese spendieren.“
Naturschutz muss wehrhaft werden. Dieses Paradigma, geboren aus dem Kampf gegen Wilderei und illegalen Handel mit Tieren, hat besonders auf dem afrikanischen Kontinent dramatische Folgen. Immer wieder gibt es Zusammenstöße zwischen lokaler Bevölkerung und schwer bewaffneten Rangern. Menschenrechtsgruppen sprechen von systematischen Repressionen. Naturschützer und Geldgeber, darunter deutsche Behörden sowie die EU, tun die Exzesse jedoch als „bedauerliche Einzelfälle“ ab.
Verurteilte Pygmäen: Wie Vieh aneinandergekettet und abgeführt.
EU-Gelder und Menschenrechtsverletzungen
Die Geber-Verantwortung ist in vielen Fällen mittelbar nachzuweisen: Denn ein großer Anteil der Gehälter für Wildhüter im Kongo-Becken wird mit deutschen oder europäischen Steuergeldern finanziert. So bezahlt die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Wildhütern sogenannte Prämien zur Aufbesserung des niedrigen Staatsgehalts. Die Auszahlung der Prämien erfolgt jedoch nach Kriterien der „Performance“: Wer mehr patrouilliert, weitere Strecken zurücklegt, mehr Eindringlinge aufspürt, festnimmt und verhaftet, wird belohnt. In manchen Verträgen, die zwischen lokalen Parkbehörden und der EU geschlossen wurden, ist klar beschrieben: Die Performance richte sich nach „Zahl der Verhaftungen, Beschlagnahmung von AK-47-Waffen und Munition sowie Elfenbein etc.“.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die „Einzelfälle“ eher als Ausdruck eines Systems, in welchem westliche Geldgeber Anreize schaffen, nicht nur gezielt gegen Wilderer, sondern auch willkürlich gegen die Bevölkerung vorzugehen.
So ist es kein Wunder, dass nur wenige Stunden nach Beginn des Verfahrens gegen die Pygmäen der Hammer fällt. Das Militärgericht verurteilt Kasula und seine Gefährten zu je 15 Jahren Haft sowie eine Million kongolesische Franc Geldstrafe, ein Vermögen für diese bitterarmen Menschen. Es war ein Schauprozess, eine Warnung an die Bevölkerung, gibt der Militärstaatsanwalt später gegenüber der Presse zu.
Wie Vieh werden die Pygmäen mit Kabelbinder aneinander gekettet und abgeführt. Die Frauen der verurteilten Männer, die aus den Dörfern angelaufen sind, schluchzen und kreischen. Sie tragen Kleinkinder im Tragetuch und stecken ihren Männern ein paar Bananen und Geldscheine zu. Es sind verzweifelte Momente. Da lädt ein Soldat seine Kalaschnikow durch und zielt warnend auf die aufgewühlte Menschentraube. Alle werden still.
Simone Schlindwein lebt und arbeitet seit 2008 in Ugandas Hauptstadt Kampala, von wo sie für Reportagen in der Region der Großen Seen und angrenzenden Ländern reist. U.a. in den Südsudan, den Kongo, nach Ruanda, Burundi oder in die Zentralafrikanische Republik.
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