
Nehmt der Politik das Religionsthema
Religion bleibt auch in einem säkularen Staat ein emotionales und damit politisches Thema, insbesondere wenn sich die Gesellschaft und ihre Werte verändern. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Daniela Ingruber
Viele politische Themen lassen sich in Österreich mit dem alten Spruch „Schau ma mal, dann seh’ ma schon“ beschreiben. Diese Ambivalenz zwischen dem, was rechtlich vorgegeben ist und dem, was praktisch umgesetzt wird, gilt auch für die österreichische Version der Trennung von Religion und Staat. Da ist einerseits die Österreichische Verfassung, in der das Wort „säkular“ nicht vorkommt, wohl aber die Schutzfunktion des Staates gegenüber den Religionen. Andererseits gilt noch ein Grundgesetz aus dem Jahr 1867, mit dem Kaiser Franz Joseph die Religionsfreiheit garantierte. 1912 anerkannte er zudem den Islam und versprach gesetzlich Selbstverwaltung und Selbstbestimmung. Dementsprechend hätte er wenig Freude mit jenen politischen Bestrebungen, die Muslim*innen in Österreich immer wieder dem Verdacht aussetzen, sie würden den Staat nicht ausreichend achten oder gar aktiv bekämpfen. Der Standard, an dem sich alles Religionspolitische in Österreich nach wie vor misst, ist die Katholische Kirche – und das gilt auch für die Agnostiker: Man stelle sich nur das politische Desaster vor, wenn sich eine Regierung entschlösse, die gesetzlichen Feiertage komplett abzuschaffen. Plötzlich würden sich alle daran erinnern, dass die Menschenrechtskonvention die freie Religionsausübung verteidigt.
Daniela Ingruber: Die Trennung von Staat und Religion wird politisch genützt.
Religionsfreiheit für die Braven
Generell gleicht der säkulare Staat in Österreich einem Fremdwort und wird je nach emotionaler oder politischer Befindlichkeit gefordert und ignoriert. Wenn das Außenministerium auf seiner Website wenig differenziert von einem „weltweiten Anstieg von Gewalt und Diskriminierung aufgrund der Religion“ schreibt, ist klar, dass die Trennung von Staat und Religion politisch genützt wird. Religionsfreiheit für die Braven. Um das zu unterstreichen, wird eine „Islamlandkarte“ veröffentlicht, die weder ethisch tragbar noch hilfreich ausfällt, da sie zugleich zu viele und zu wenige Informationen liefert. Selbst das daraus gewonnene politische Kleingeld dürfte irrelevant sein.
Die Debatte, ob Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden erlaubt sein sollen, ob ein Kopftuch ein Jobausschließungsgrund sein darf oder die Burka aus dem Straßenbild verschwinden muss, welche Privatschulen gefördert oder überhaupt erst zugelassen werden, all das dient vor allem dem politischen Ablenkungsmanöver und zeigt die schwierige Aufgabe der Säkularisierung. So ist der säkulare Staat demokratiepolitisch wichtig, doch zugleich ein Paradox. Der Staat soll religiöse Themen regeln, gleichzeitig darf er sich nicht in die religiösen Angelegenheiten der Bürger*innen einmischen. Man darf seinen Glauben ausüben, muss aber nicht. Das nennt sich Religionsfreiheit. In der Verfassung ist sie dementsprechend verankert. Wie aber schützt man die Bürger*innen vor Religion und deren Einflüssen? Die Säkularisierung geht lediglich in eine Richtung. Zwar ist es ungeliebt, wenn religiöse Führer, gleichgültig ob Rabbiner, Priester oder Imame, in die Politik eingreifen, doch hat Religion durchaus die Aufgabe, sich in die Politik einzumischen, wenn es notwendig scheint.
Dieses Thema lässt die Verfassung aus und es wird auch kaum politisch diskutiert, dabei steckt die eigentliche Herausforderung genau darin, denn die österreichische Gesellschaft ändert sich. Allein dieser Umstand klingt für manche Menschen wie eine Drohung, zumal der gesellschaftliche Wandel auch einen der Werte und des Gewohnten bedeutet.
Religion bleibt emotional besetzt
Offiziell sind immer weniger Menschen religiös. Gleichzeitig scheint Religion ständig ein Thema zu sein. Sie prägt seit Jahrhunderten das Straßenbild. Es fällt nicht auf, weil man es gewohnt ist, dass man an Kirchen vorbeigeht und Kruzifixe an den verschiedensten öffentlichen Orten hängen. In Form von Schmuck hat sich die Popkultur schon lange an religiösen Motiven abgearbeitet.
Beispiele wie die Diskussion um die Halskette eines Künstlers in Deutschland und die leider damit in Verbindung stehende Beleidigung oder auch nicht, beschäftigen aktuell die (sozialen) Medien und die Polizei. Jene, die darüber schreiben, sei es in Artikeln oder Kommentaren, scheinen eine Meinung zu haben, auch wenn sie nicht dabei waren. Damit sind wir beim Kern angelangt: Religion polarisiert emotional. Sie ist ohne Emotionen gar nicht denkbar, weil der Glaube immer schon fern von wissenschaftlichen Begriffen gewesen ist. Und wer glaubt, will oder muss sein(en) Glauben verteidigen.
Wenn aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen andere Faktoren der Identität wegfallen, wird die emotionale Bindung an Religion größer. Kein Wunder, dass Migration und Religion häufig zusammen genannt werden. Religion ist häufig der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Individuen. Der Begriff Religionsgemeinschaft drückt das sehr schön aus. Gemeinschaft ist dabei zuweilen wichtiger als Gott. Religiöse Regeln helfen zu zeigen, wohin man gehört, wie man sich in die Gesellschaft einbettet. Sie vermitteln Stabilität und Sicherheit, wenn alles andere instabil scheint.
Youtube als Identifikationsratgeber
Die sogenannten sozialen Medien spielen auch hier eine immer größere Rolle. Youtube ist zum Ratgeber geworden – auch in Sachen Religion. Für junge Migrant*innen hilft es zu balancieren zwischen strengen Regeln, die zuhause gelten oder denen man sich selbst unterwirft, nicht zuletzt um dazuzugehören, sowie einer säkularen Welt, die mehr Freiheit verspricht.
Für die einen bedeutet das die Hinwendung zu Verschwörungslegenden, manche schaffen sich ihren postmodernen Mix aus religiösen Versatzstücken, andere wenden sich den radikaleren Formen ihrer Religion zu. Solche Bewegungen finden nie nur in einem Land statt. Was diesbezüglich international geschieht, hat Auswirkungen auch auf Österreich. Politiker*innen wissen das und nützen es.
Religionsfreiheit würde aber auch bedeuten, vor Spaltungen zu schützen. Das schaffen Politiker*innen derzeit in kaum einem Bereich, auch nicht in dem der Religion. So gesehen müsste man die Säkularisierung erweitern und vor allem eine Trennung von Politiker*innen und Religion forcieren, denn dem Populismus ist auch der demokratische säkulare Staat ausgeliefert.
Daniela Ingruber ist Demokratie- und Kriegs- forscherin an der Donau-Universität Krems. Sie betreibt den Blog www.nomadin.at.
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