Neuer alter Hass
Was haben die Oper „Madame Butterfly“, der Science-Fiction-Film „Ex Machina“ und Donald Trump gemeinsam? Sie alle sind in die Kritik geraten, antiasiatische Stereotype zu bedienen. Die Geschichte zeigt: Rassistische Klischees über Asiat:innen haben eine jahrhundertealte Tradition. Ein „Best-of“ anti-asiatischer Stereotype.
Text: Vina Yun
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
Jetzt mit einem MO-Solidaritäts-Abo unterstützen!
Zu Beginn der Covid-19-Pandemie verbreitete sich die Nachricht, dass ein Straßenmarkt im chinesischen Wuhan der mögliche Ursprungsort des Coronavirus sei. Vor diesem Hintergrund erlebte ein altes Klischee neuen Aufschwung: Chines:innen würden sonderbare Essgewohnheiten pflegen und mit Vorliebe Hunde, Fledermäuse sowie andere „bizarre“ Tiere verzehren.
Die Dämonisierung asiatischer Speisen und Essenstraditionen – oder was dafür gehalten wird – lässt sich weit in die Vergangenheit zurückverfolgen. Mitte des 19. Jahrhunderts etwa, kurz nachdem chinesische Arbeitsmigrant:innen in großer Zahl in die USA einwanderten, kursierten Gerüchte, dass Ratten regelmäßig auf deren Speiseplan stehen würden.
In jüngerer Zeit spiegelte sich die rassistisch gefärbte Rhetorik in der Angst vor dem Geschmacksverstärker Glutamat, der nach Meinung einiger gesundheitsschädigend wirkt und sich im vermeintlichen „China-Restaurant-Syndrom“ niederschlägt. Ebenso wie in Hetzkampagnen gegen angeblich krebserregende Bubble Teas oder in den Medienberichten über die „Gammel-Teigtascherl“ der „Wan-Tan-Mafia“, die asiatisches Essen als minderwertig und gefährlich darstellten.
Seuchenherde und Killerviren
Deutsche Politiker sprechen sich gegen die Einwanderung von Chines:innen aus, da diese die „Chinesenpest“ einschleppen würden, das deutsche Außenministerium bezeichnet chinesische Orte als Stätten „des unergründlichen Schmutzes“ – so geschehen Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Sinophobie in der westlichen Welt ein Hoch erlebte. Immer wieder wurden dabei die angeblich primitiven Ess- und Lebensgewohnheiten der „Fremden“ für die Entstehung und Verbreitung von Pandemien verantwortlich gemacht.
Mehr als ein Jahrhundert später reaktivierten der nun bald wieder amtierende US-Präsident Donald Trump und andere Rechtspopulist:innen mit der Rede vom „China-Virus“ oder von „Kung Flu“ das alte Bedrohungsszenario. Auch deutschsprachige Medien wie „Der Spiegel“ leisteten entlang Titelschlagzeilen wie „Corona-Virus. Made in China. Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“ antiasiatischen Ressentiments Vorschub.
„Gelbe Gefahr“
Die Bezeichnung „gelbe Gefahr“ entstand im späten 19. Jahrhundert in den USA, verbreitete sich aber schon bald in Europa in der Zeit des Imperialismus. Im US-Diskurs standen vor allem die Arbeitsmigration aus den Ländern Asiens samt anti-chinesischer Einwanderungspolitik im Fokus. Die Sorge um „Billigkonkurrenz“ am Arbeitsmarkt durch asiatische Menschen übertrug sich später auch auf europäische Länder. In Deutschland gewann der Begriff u. a. in Folge des Boxeraufstands (1899–1901) an Popularität, der nationalistischen Bewegung Chinas gegen die europäischen, US-amerikanischen und japanischen Imperialisten. Damals avancierte die „gelbe Gefahr“ auch zum beliebten Motiv politischer Karikaturisten.
Der Topos der „gelben Gefahr“ stützt sich auf zwei Unterstellungen: Asiat:innen wollen sich nicht in westliche Ordnungen eingliedern, können aber deren Strukturen geschickt unterwandern und vereinnahmen. Zudem würden sie sich massenhaft in Form einer „robotischen“ Invasion im Westen ausbreiten – stetig, hartnäckig und perfekt synchronisiert.
Techno-Orientalismus
Mit dem Begriff „Orientalismus“ wird die Konstruktion von Orientbildern durch die europäischen Kolonialmächte im 19. Jahrhundert kritisiert. Die Vorstellung des „Orients“ als bedrohlich und rückständig diene hauptsächlich dazu, die Überlegenheit und Dominanz des Westens zu legitimieren.
_______
IM 20. JAHRHUNDERT ERFUHR DIE SINOPHOBIE
IN DER WESTLICHEN WELT EIN HOCH.
_______
„Techno-Orientalismus“ stellt eine Aktualisierung des bisherigen Orientalismus-Begriffs dar. Er beschreibt das Phänomen, Asien (insbesondere den japanischen Kontext) nicht mehr als gestrig, sondern als futuristisch oder hyperproduktiv zu inszenieren. Eine Wendung, die nur vordergründig positiv erscheint – denn auch im Techno-Orientalismus mutet „das Asiatische“ gefahrvoll an: als kalte, maschinenartige und autoritäre Kultur, die ohne emotionale Verbindung zum Rest der Welt agiert.
Viele populäre Science-Fiction-Werke zeichnen sich durch Techno-Orientalismus aus, etwa wenn asiatische Körper als Cyborgs oder KI-Roboter auftreten. Ein Beispiel ist die „exotische“ Androidin Kyoko im bekannten Sci-Fi-Thriller „Ex Machina“ von Alex Garland. Sie ist eine stumme Figur, die vom Dienstmädchen und Sexspielzeug zur Killerin wird. Im Gegensatz zur weißen jungfräulichen Hauptfigur, dem Roboter Ava, bleibt Kyoko gefangen in ihrer Programmierung – ohne die Kreativität oder den Willen, ihr Schicksal zu ändern.
Mythos „Model Minority“
Lange Zeit blieb antiasiatischer Rassismus von weißen Mehrheitsgesellschaften unbeachtet oder wurde verharmlost. Weiterhin werden Anfeindungen gegen asiatisch gelesene Menschen – von verbalen Mikroaggressionen über strukturelle Diskriminierung bis hin zu physischen Übergriffen und Morden – nur selten als Ausdruck systemischer Gewalt wahrgenommen. Ein Grund dafür könnte sein, dass asiatische Migrant:innen als Musterbeispiel für gelungene Integration inszeniert werden: Sie seien besonders fleißig, anpassungsfähig, still.
Der Mythos der „Model Minority“ („Vorzeigeminderheit“) relativiert den Rassismus, dem asiatische Menschen (oder die als solche wahrgenommen werden) tatsächlich ausgesetzt sind. Zudem wirkt er spaltend und entsolidarisierend – wird doch die Zuschreibung als „gute Migrant:innen“ eingesetzt, um die Diskriminierungserfahrungen anderer Gruppen zu delegitimieren.
_______
DER MYTHOS DER „VORZEIGEMINDERHEIT“
RELATIVIERT DEN RASSIMUS
_______
Nicht zuletzt kann die Erzählung über die „Vorzeigeminderheit“ als Kehrseite der „gelben Gefahr“ gelesen werden. Denn auch sie ist eng verknüpft mit dem Bild von Asiat:innen als roboterhaften Wesen – effizient und bereit, außergewöhnliche Leistungen zu vollbringen –, eine Vorstellung, die deren Entmenschlichung weiter Vorschub leistet.
Dragon Lady & Lotusblüte
In seinen Reiseberichten aus dem 13. Jahrhundert beschrieb Marco Polo u. a. die tausenden Frauen Kublai Khans und die Prostituierten außerhalb des kaiserlichen Palastes in Peking. Wie viel davon der Wahrheit entsprach, ist bis heute umstritten. Ein definitives Produkt westlicher männlicher Imagination war das Bild der „orientalischen Frau“, die im europäischen Kolonialismus in Erscheinung trat – passiv, willig, in Schweigen gehüllt. Der „Orient“ wurde dabei zum Ort der Verführung und verbotenen Sexualität stilisiert.
Ende des 19. Jahrhunderts erreichte die exotisierende Perspektive auf asiatische Frauen mit Pierre Lotis Bestseller „Madame Chrysanthème“ einen Höhepunkt. Der Roman inspirierte die Oper „Madame Butterfly“ und das Broadway-Musical „Miss Saigon“. Allesamt sind die Hauptfiguren Kurtisanen, die sich für den weißen Mann aufopfern. Von „Die Welt der Suzie Wong“ bis Stanley Kubricks Antikriegsfilm „Full Metal Jacket“ – die Liste der Repräsentation von Asiatinnen als Sexarbeiterinnen ließe sich noch lange fortsetzen.
In westlichen Kulturproduktionen sind asiatische Frauen meist einer dieser stereotypen Kategorien zugeordnet: die „Dragon Lady“ – unnahbar, manipulativ und ihre Sexualität nutzend, um Männer zu kontrollieren. Oder die „Lotusblüte“, die ihre bedingungslose Hingabe und Opferbereitschaft auszeichnet. Die Fetischisierung und Hypersexualisierung asiatischer Frauen in der westlichen Kulturindustrie und deren fehlende Diversität gehen dabei Hand in Hand.
Noch immer werden asiatisch aussehende Darsteller:innen in dieselben klischeehaften, eindimensionalen Rollen gesteckt: Mitglied der chinesischen Mafia, Sexarbeiterin im Massagestudio, Frau eines älteren weißen Ehemanns. Stereotype wie diese prägen aber nicht nur das, was wir auf der Leinwand sehen – sie beeinflussen auch, wie asiatische Menschen im realen Alltag wahrgenommen und behandelt werden.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo