Neues aus der Parallelgesellschaft
Österreichische Muslime werden oft als religiöse Fanatiker oder als Parallelgesellschafter portraitiert, den Durchschnitt sucht man vergeblich. Ein persönlicher und humorvoller Blick auf den Alltag einer wienerisch-muslimischen Suderantin. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Nour El-Houda Khelifi
Wenn schon keine Schlagzeilen über korrupte Politikerinnen und Politiker oder Corona, dann wird das Lieblingsthema Österreichs ausgepackt: das Kopftuch. Wer hätte gedacht, dass inmitten monströser Inzidenzen, Studien darüber, welches Tier Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz wäre oder während der Impfpflicht das Kopftuchverbot von Lehrerinnen ein grandioses Revival bekommt? Ich nämlich nicht. Der APA liege ein Papier vor, in dem die Grünen im Zuge des Koalitionsvertrags mit der ÖVP das Vorschlagsrecht eines Stiftungsvorsitzenden einfordern, während gleichzeitig in einer Nebenabsprache am Kopftuchverbot für Lehrerinnen festgehalten wird. In diesem „Sideletter“, dem neuen Trendwort in Österreich nach Vodka Redbull, auch bekannt als Ibiza-Skandal, heißt es im genauen Wortlaut: „Im Wirkungsbereich des Bildungsministeriums wird im Wege des Erlasses ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen im Laufe der Legislaturperiode eingeführt.“ Dem Anschein nach sollen nicht alle Mitglieder der grünen Partei über diese Absprache informiert worden sein. Überraschend, denn auch hier haben die Grünen inner- und außerhalb stets das Gut der Transparenz hochgehalten.
Antimuslimischer Rassismus – aber bitte in grün!
Politisch hat sich in Österreich seit der Geburt der FPÖ und dem fulminanten Aufstieg von HC Strache viel getan und auch viel verschoben. Ob konservativ, liberal, oder eben auch grün – mit antimuslimischem Rassismus und diskriminierenden Forderungen lässt sich offenbar viel politisches Kleingeld schlagen. Wählerinnen und Wähler, die Parteien vermeintlich an die FPÖ verloren haben, sollen offenbar zurückgewonnen werden. Parolen, die früher dem rechten Rand zugeordnet wurden, finden sich nun in den Reihen von SPÖ und ÖVP. Das Thema Islam und insbesondere das Kopftuch wurden zum Politikum, zur Trademark von Sebastian Kurz, wenn man so will. Dass das Geschäftsmodell des antimuslimischen Rassismus klar Schwarz-Blau zu zuordnen ist, liegt auf der Hand. Wie aber ist das bei den Grünen? Stehen sie nicht für Diversität, für eine Gesellschaft, die frei von Sexismus und Diskriminierung ist, und wohl auch für die individuelle Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper?
Dass gerade sie aus machtstrategischen Gründen das Kopftuchverbot für Lehrerinnen vereinbaren, das passt doch nicht ganz in die Parteilinie. Vielleicht braucht es intern nun eine innige Reflexion darüber, was für ein Signal dieser Sideletter an die österreichische Bevölkerung, vor allem aber die eigene Wähler*innenschaft sendet.
Ein Blick in die Social Media zeigt, dass das Entsetzen nicht nur bei den muslimischen Österreicherinnen groß ist, sondern auch beim Rest der Bürgerinnen und Bürger, die von den grünen Werten überzeugt waren. Das ist nicht nur ermüdend, es nervt, dass man das Recht auf Selbstverwirklichung immer wieder neu aufrollen und diskutieren muss. Das ist auch ein österreichisches Phänomen geworden.
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