Populismus vor Opferschutz
Trotz scharfer Kritik von ExpertInnen wurde unter Türkis-Blau das Gewaltschutzpaket beschlossen. Der Opferschutz für Frauen ist dabei in den Hintergrund gerückt. Ist ein Kurswechsel zu erwarten? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Brigitte Theißl
Auch wenn die türkis-blaue Regierung sich nur eineinhalb Jahre im Amt halten konnte, brachte sie mit ihrem „Speed kills“-Kurs einige umfassende Reformen auf den Weg. So auch beim Gewaltschutz. Ende September, als die rechtspopulistische Koalition längst an der Ibiza-Affäre zerbrochen war, beschlossen ÖVP und FPÖ in der letzten Sitzung des Nationalrats ein höchst umstrittenes Gewaltschutzpaket, das unter anderem eine Straferhöhung bei Gewalt- und Sexualdelikten und eine ausgeweitete Anzeigepflicht beim Verdacht auf Vergewaltigung beinhaltet. Trotz unzähliger kritischer Stellungnahmen von Opferschutzinitiativen, StaatsanwältInnen und RichterInnen setzten ÖVP und FPÖ kurz vor der Neuwahl auf Härte statt Vernunft.
Ausgangspunkt für das Gewaltschutzpaket war eine Serie an Frauenmorden, der sich Türkis-Blau schon kurz nach ihrer Angelobung zu stellen hatte. Die von VP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler einberufene „Task Force Strafrecht“ präsentierte schließlich ein Paket, das eine Novellierung von insgesamt 25 Gesetzen beinhaltete. „Null Toleranz gegenüber Tätern“, so der Slogan für die geplante Straferhöhung.
Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, zählt zu den zahlreichen KritikerInnen des Gewaltschutzpakets. Zwar gebe es einzelne positive Punkte die Berücksichtigung des Kinderschutzes oder die Möglichkeit für Gewaltopfer, die Sozialversicherungsnummer zu ändern, insgesamt sei das Gesetzespaket jedoch schlecht durchdacht. „Man hat hier viel zu wenig beachtet, was etwa bei der Anzeigepflicht die möglichen Auswirkungen für Betroffene sind, der Opferschutz ist in den Hintergrund gerückt. Zugleich ist die Erhöhung des Strafrahmens als reiner Populismus zu werten“, sagt Rösslhumer. Dass höhere Strafen insbesondere bei Sexualdelikten keine abschreckende Wirkung zeigen, kritisierten zahlreiche StrafrechtsexpertInnen. „Und auch schon jetzt wird der Strafrahmen bei diesen Delikten keineswegs ausgeschöpft“, so Rösslhumer. Schon 2017 kritisierte der GREVIO-Bericht (Group of Experts on Action against Violence against Women and Domestic Violence) des Europarates die niedrige Verurteilungsraten bei häuslicher Gewalt und anderen Formen von Gewalt gegen Frauen.
Erweiterte Anzeigenpflicht problematisch
Die umstrittene erweiterte Anzeigepflicht bei Verdacht auf Vergewaltigung, die für alle Gesundheitsberufe gilt, will die türkis-grüne Regierung nun noch einmal unter die Lupe nehmen. So ist im Regierungsprogramm von einer „Präzisierung der Kriterien im Zusammenhang mit der Anzeigepflicht“ die Rede. Was das konkret bedeutet, bleibt jedoch offen – Rösslhumer zeigt sich skeptisch. „Wir müssen uns auf jeden Fall noch einmal zusammensetzen, die Entscheidungsmacht muss unbedingt den betroffenen Frauen zurückgegeben werden“, sagt die Gewaltschutzexpertin.
Was nach erlebter sexueller Gewalt passiert, die per se einen Kontrollverlust für die Betroffenen darstellt, sei von enormer Bedeutung, betonen Opferschutzinitiativen. Eine Strafanzeige und ein mögliches Verfahren können enormen psychischen Stress bedeuten, Betroffene bräuchten nicht nur umfassende Beratung, sondern auch Entscheidungsmacht. Mit der erweiterten Anzeigepflicht wird ihnen diese aber genommen, da unter anderem ÄrztInnen dazu verpflichtet sind, Anzeige zu erstatten. Das könnte Betroffene auch davon abhalten, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, befürchten Gewaltschutz-ExpertInnen.
Mit ihren Forderungen nach umfassenden Investitionen in den Gewaltschutz, in Präventionsarbeit ebenso wie Täterarbeit und Opferschutz fanden Frauenorganisationen bisher wenig Gehör. 210 Millionen Euro fordert die „Allianz gewaltfrei Leben“, um die notwendigen Maßnahmen auf Schiene zu bringen. Zwar ist eine „substanzielle Aufstockung des Frauenbudgets vor allem für den Gewaltschutz“ im türkis-grünen Regierungsprogramm verankert, Zahlen wurden bisher jedoch keine genannt. Auch wohin das zusätzliche Budget fließen soll, ist unklar. Nachdem Neo-Frauenministerin Susanne Raab und Sebastian Kurz sich sogleich auf vermeintlich zugewanderte „patriarchal geprägte Kulturen“ einschworen, erscheint eine Abkehr vom Law-and-Order-Kurs der Vorgängerregierung bisher unwahrscheinlich.
Anfang Februar verzeichnete die Statistik indes bereits vier Frauenmorde in Österreich, in drei Fällen war der Täter ein Bekannter oder der (Ex-)Partner des Opfers. Immer noch berichten Medien von „Familientragödien“, wenn Männer ihre (Ex-)Partnerinnen ermorden, statt patriarchale Strukturen und männliches Besitzdenken klar zu benennen. Maria Rösslhumer sieht dennoch positive Entwicklungen. „Man kann diesen Befund zwar nicht verallgemeinern, aber in einzelnen Medien wird zunehmend sensibler berichtet, und auch wir als Expertinnen werden öfter um unsere Einschätzung gebeten“, so Rösslhumer. In der breiten gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Männergewalt sieht Rösslhumer einen wichtigen Ansatzpunkt. Gemeinsam mit Beratungsstellen startete der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser vor Kurzem die Kampagne „Sei nicht so wie ich, hol dir Hilfe”, die sich an potenzielle Täter richtet. Da Gewalt an Frauen ein Männerproblem sei, müsse es auch von Männern gelöst werden, so der Tenor der Kampagne. Im dazugehörigen Spot, der in verschiedenen Sprachen veröffentlicht wurde, fordert ein gewalttätiger Mann dazu auf, es ihm nicht gleich zu tun, sondern sich Hilfe zu holen. „Diese Männergewalt an Frauen muss noch viel stärker thematisiert werden, um wirklich eine gesellschaftliche Veränderung anzustoßen“, sagt Rösslhumer. Aber auch Frauen müssten mithilfe von Kampagnen über Hilfsangebote wie Beratungsstellen und Frauenhäuser informiert werden. Die Nummer der Frauenhelpline, die unter 0800/222555 rund um die Uhr erreichbar ist, solle täglich in den Medien aufscheinen, wünscht sich Rösslhumer. Gewaltschutz brauche umfassende Maßnahmen und ein entsprechendes Budget –Gewaltschutzexpertinnen werden nicht müde, diesen Appell an die Regierung zu richten.
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