Schutz vor toxischer Männlichkeit
Österreich hat ein Problem mit männlicher Gewalt gegen Frauen. Im Jahr 2020 suchten knapp 3.000 Frauen und Kinder in Österreich Zuflucht in Frauenhäusern. Geschäftsführerin Maria Rösslhumer vom Verein „Autonome Österreichische Frauenhäuser“ gibt Einblicke, wie man den Betroffenen hilft. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Laura Pauline Hafeneder, Fotos: Andrea Peller
Hanna (Name geändert, Anm.) ist verzweifelt. Sie lebt in ihrem Zuhause in täglicher Angst um ihr Leben und das Leben ihrer Kinder. Sie wird körperlich und auch psychisch misshandelt und das von ihrem Partner. Ihr einziger Ausweg scheint ihren Lebensmittelpunkt an einen Ort der Geheimhaltung, Unterstützung und Sicherheit zu verlagern. Sie flieht, flieht aus ihrem einstigen Zuhause in ein Frauenhaus, in eines von 26 in Österreich.
Österreich ist im EU-Schnitt an einem Spitzenplatz, was Morde an Frauen betrifft. Das spiegelt die ungleichen Geschlechterverhältnisse wieder.
Es ist Mitte November 2021 und wir zählen den 23. Feminizid in Österreich. Österreich ist das einzige Land in Europa, in dem Morde an Frauen die Anzahl der Morde an Männern übersteigt. Die nationale Politik agiert nach Ansicht vieler Expert*innen unzureichend, die Verbindung zwischen patriarchalen Strukturen und Hassverbrechen werden kaum beleuchtet. Problematisch wirken auch die Statistiken in Hinblick auf die Strafverfolgung. Acht von zehn Anzeigen wegen häuslicher Gewaltverbrechen werden in Österreich eingestellt. Nur bei 12 Prozent der Fälle kommt es tatsächlich zu einer Anklage.
Hannas Geschichte ist nur eine von vielen. Im Jahr 2020 suchten knapp 3.000 Frauen und Kinder Zuflucht in den 26 Frauenhäusern in Österreich. Frauenhäuser bieten essentiellen, sicheren Wohnraum für Opfer von patriarchaler Gewalt, denn geschlechterspezifische Hassgewalt kennzeichnen die Lebensrealität von FLINTAs weltweit (FLINTA, das steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtlich, nicht-binär, transgender, A-geschlechtlich). Laut der Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA) hat jede dritte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr in der Europäischen Union bereits sexuelle oder physische Gewalt erlebt. Österreich belegt im EU-Vergleich einen Spitzenplatz, was Feminizide betrifft. Das spiegelt die ungleichen nationalen Geschlechterverhältnisse in ihrer direktesten Form wieder. Töchter, Schwestern, Mütter, Großmütter und Freundinnen schaffen die Flucht in sichere Frauenhäuser viel zu selten und fallen toxischer Maskulinität und geschlechtsspezifischen Hassverbrechen zum Opfer. Eine Geschichte über das patriarchale Machtgefälle in dem wir leben, wie gefährlich sich dieses in der Realität äußern kann und wie ein Alltag im Frauenhaus aussieht.
Nach dem Schritt in die Selbstbestimmung werden die Hintergründe eruiert. Wie akut ist die Situation? Sind Kinder involviert?
Der Weg ist ein langer ...
Hanna sitzt in ihrem Zimmer im Frauenhaus, ihre Kinder spielen am Boden. Sie atmet auf und denkt zurück an all das, was sie erlebt hat. Es war ein harter Weg. Sich in die sichere Umgebung eines Frauenhauses zu retten, ist kein leichter Schritt. Maria Rösslhumer ist seit 22 Jahren Geschäftsführerin der Autonomen Frauenhäuser Österreich. Sie leitet auch die „Frauenhelpline gegen Gewalt“ und koordiniert „SToP – Stadtteile ohne Partnergewalt“, ein Projekt zur Gewaltprävention. Rösslhumer hat also viel Erfahrung und Expertise auf diesem Feld gesammelt, und sie versteht die Hintergründe und Schwierigkeiten, in denen sich von Gewalt betroffene Frauen befinden. „Frauen müssen flüchten, weil der eigene Partner oder auch der eigene Sohn gewalttätig ist und sie es alleine nicht schaffen heraus zu kommen“, erklärt Rösslhumer. Die Türen des Frauenhauses, die sich an nicht öffentlich bekannten Adressen befinden, stehen allen von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kindern offen. Jede weiblich gelesene Person hat das Recht auf einen Aufenthalt im Frauenhaus. Der biographische, kulturelle oder ökonomische Hintergrund spielt dabei keine Rolle.
Im Frauenhaus angekommen
Wenn sich Betroffene dazu entscheiden, einen Schritt in die Selbstbestimmung zu machen kann es oft gefährlich werden. Die Kontaktaufnahme erfolgt über die Frauenhelpline, wo die Betroffenen ihre Situation schildern. Elementare Fragen werden geklärt: Wie akut ist die Situation? Sind Kinder involviert? Bei Söhnen besteht oft separater Abklärungsbedarf, so Rösslhumer: „Gerade bei älteren Jungen ist es möglich, dass sie bereits selbst gewalttätig sind oder sich mit dem gewalttätigen Vater identifizieren. Dann wird es schwierig, sie mit aufzunehmen.“
Oberste Prämisse ist der Schutz der Frauen und Kinder. Sobald sie sich in der Schutzeinrichtung eingefunden haben, gibt es einen Gesundheitscheck, nicht selten müssen Verletzungen behandelt werden. Von ihren Mobiltelefonen müssen sich die Frauen für die Zeit ihres Aufenthalts trennen. Über installierte Apps könnten die Gewalttäter ihren Aufenthalt vielleicht ausforschen, aber auch unliebsame Kontakte durch das Umfeld gilt es zu unterbinden.
Danach folgt eine zweiwöchige „Entspannungs- und Orientierungsphase“. In jenen Tagen werden die Personen psychosozial betreut, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Diese Etappe bezeichnet Rösslhumer als essentiell: die Überlebenden sollen sich halbwegs fangen, stabil werden und Zeit bekommen, um langfristige Entscheidungen zu treffen. Denn das, was danach kommt, ist in den meisten Fällen höchst ungewiss. Zur unsicheren Zukunft und der oft ökonomischen Frage kommt auch die psychisch belastende Entscheidung, wie man mit der Situation umgeht. Möchte die Betroffene Anzeige erstatten, soll unmittelbar eine Scheidung eingereicht werden? Perspektivisch gesehen wird daran gearbeitet, dass die Frauen in die Selbstständigkeit kommen und ein Leben ohne Abhängigkeiten aufbauen.
Die Hilfeleistungen der Frauenhäuser sind breit gefächert: es gibt kostenlose rechtliche Beratung, kostenlose Prozessbegleitung, vom ersten Kontakt mit der Polizei bis zum Ende des Strafverfahrens.
Das Leben danach
Die Aufenthaltsdauer im Frauenhaus ist den Bewohnerinnen freigestellt, sagt Maria Rösslhumer. Durchschnittlich bleiben sie drei Monate, grundsätzlich haben sie das Anrecht auf Schutz bis zu einem Jahr. „Im vergangenen Jahr war es so, dass ungefähr ein Drittel der Frauen, die im Frauenhaus leben, wieder zurück zu ihrem Misshandler gezogen sind. Oft, weil sie ihm noch eine Chance geben möchten, aber auch, weil sie finanziell abhängig sind. Auch der Gedanke an die Kinder erschwert die Entscheidung, sich zu lösen. Frauen wollen den Kindern den Vater nicht verwehren“, erklärt Rösslhumer. Ein Fakt, der die Arbeit mit Männern umso dringlicher macht.
Immerhin die Hälfte aller Bewohnerinnen schafft es, sich zu emanzipieren, sie kehren nicht zum Gewalttäter zurück. Essentiell dafür sind die wirtschaftlichen Parameter, also etwa leistbares Wohnen, aber auch ein unterstützendes soziales Umfeld. Nicht in allen Bundesländern ist das Angebot an Übergangswohnungen für von Gewalt betroffene Frauen gegeben. Und auch die Mietpreise variieren stark. Finanzielle Abhängigkeit zwingt jedenfalls viele Frauen zu ihrem Misshandler zurückzukehren. Damit dreht sich der Teufelskreis des Patriarchats weiter.
Ein Ziel mit vielen Hilfestellungen
Wie unterschiedlich die Geschichten betroffener Frauen sein können, und dass sie nicht von Alter, Milieu oder kultureller Herkunft abhängen, illustriert Rösslhumer am Beispiel von Lisa (Name geändert, Anm.). Lisa ist 70 Jahre alt, als sie das erste Mal ein Frauenhaus aufsucht. Ihr Mann misshandelt sie jahrelang. Ihr Wunsch ist es, ihren Lebensabend ohne Gewalt verbringen zu können. Ein Wunsch, der ihr von der eigenen Familie zunehmend erschwert wird. Die Verwandten setzen sie unter Druck, die Kinder und Enkelkinder fürchten einen Imageverlust. Die Misshandlungen, die Lisa seit Jahren erleidet, scheinen für sie nicht so wichtig zu sein. Immer wieder kontaktieren sie Lisa, setzen sie unter Druck, endlich nach Hause zu kommen. Schlussendlich beschließt Lisa tatsächlich, zu ihrem Partner und Peiniger zurückzukehren. Zum Wohl der Familie, wie es heißt. Aus Erfahrung weiß Rösslhumer, dass es älteren Frauen besonders schwer fällt, sich von ihrem Partner endgültig zu trennen. Die Abhängigkeitsspirale ist weit fortgeschritten, sie müssen erst lernen, aus dieser auszubrechen.
Von der Polizei bis zum Gericht
Die Hilfeleistungen der Frauenhäuser sind breit gefächert: es gibt kostenlose rechtliche Beratung, kostenlose Prozessbegleitung, und zwar vom ersten Kontakt mit der Polizei bis zum Ende des Strafverfahrens. Schon während des Aufenthalts geht es darum, die Frauen zu unterstützen, in ein selbstständiges Leben zu finden. Eine eigene Wohnung, Lohnarbeit oder Ausbildung sind Grundpfeiler der Emanzipation. Kann das erreicht werden, stehen die Chancen gut, auch langfristig unabhängig und in Sicherheit leben zu können. Wichtig ist dabei auch, die Frauen mit Situationen nach dem Frauenhaus vertraut zu machen. Was tun, wenn es zu weiteren Übergriffen kommt? Wie lassen sich Grenzen setzen, wann sind Konsequenzen zu ziehen?, sagt Rösslhumer. Auch Kinder müssen ein Sensorium dafür erhalten, was Gewalt ist und wie ihre Rechte aussehen. Frauenhäuser, sagt Rösslhumer, seien auch Kinderschutzeinrichtungen. Kinder werden aufgenommen und unterstützt. Gerade Kinder sind oft traumatischen Erlebnissen ausgesetzt, die sie schwer alleine verarbeiten können. Der innigste Wunsch der meisten Kinder sei die Gewalt einfach zu beenden und dass sich die Eltern wieder vertragen. Viele können oft nicht nachvollziehen wieso der Vater plötzlich abwesend ist. Allerdings ist bekannt, dass es sich bei derartigen Gewaltverbrechen um Wiederholungstaten handelt, die nicht von selbst aufhören.
Maria Rösslhumer: „Gewalt kommt auf der ganzen Welt vor, sie wird nicht importiert. Es herrscht ein patriarchales System.“
Strukturelle Gewalt und ihre Auswirkungen
„Gewalt beginnt dort, wo das Reden aufhört“ schrieb Hannah Arendt. Bezüglich häuslicher Gewalt kann Arendt diesbezüglich widersprochen werden. Die vier Formen der Gewalt gegen Menschen beschreiben die körperliche, die sexuelle, die ökonomische und auch die psychische oder verbale Gewalt. Die Grenzen der Formen sind nicht klar definiert und sie kommen besonders oft in Kombination miteinander vor.
Die Ursache, warum genau FLINTA jene Formen der Gewalt vermehrt spüren, liegt in der Struktur unserer gelebten Gesellschaft und des Systems. Das patriarchale System bedingt ungleiche Machtverhältnisse, die Diskriminierung und toxische Verhaltensmuster integrieren. Toxische Männlichkeit hat kulturelle und gesellschaftlich konservative Stereotype als Grundlage und wird durch ein eindimensionales aggressiv heterosexuelles Verhaltensmuster widergespiegelt – der Mann als das Oberhaupt, der Furchtlose und Starke. Verletzt die Partnerin dieses eindimensionale Siegersstatut in dem sie Grenzen setzt oder auch eine Trennung einfordert, verlieren Täter den Boden unter den Füßen. Die Angst, Kontrolle und Macht zu verlieren, bringt viele Männer dazu, die Scheuklappen aufzufahren und in ihrem gefangenen Tunnelblick Gewalt auszuüben, erklärt Rösslhumer.
Ein Phänomen, das weltweit beobachtet wird und nichts mit Herkunft oder Nationalität zu tun hat. „Gewalt kommt auf der ganzen Welt vor und Gewalt wird nicht importiert. Es herrscht ein patriarchales System“, erklärt sie. Sie hält es für zentral, ein neues Männerbild zu entwickeln. Dabei müsse „viel mehr getan werden, um gerade die gefährlichen Täter zur Rechenschaft zu ziehen und sie im Notfall auch in U-Haft zu nehmen.“
Gewalttätige Männer verändern ihr Verhalten erst, wenn von außen Konsequenzen drohen. Deshalb müssen Männer selbst an ihrem Problem arbeiten.
Besonders Behördenversagen und verharmlosende Medienberichte über Gewalttäter, die von „Beziehungsdramen“, „Kaverliersdelikten“ oder „Eifersuchtsszenarien“ sprechen, können Todesurteile für FLINTA bedeuten. Deshalb appelliert Rösslhumer an die Behörden, die gemachten Anzeigen von Frauen wegen häuslicher Gewalt nicht unverzüglich einzustellen, sondern mehr Informationen einzuholen, Beweise zu ermitteln und weiter zu recherchieren. Dafür bedürfte es einiger Maßnahmen. Etwa, dass die Polizei, aber auch Staatsanwält*innen bessere Gefährlichkeitseinschätzungen durchführen, sowie gemeinsam eine konkretere Beweismittelführung vollziehen. Auch die Politik muss Gewaltprävention und Gewaltschutz sowie entsprechende Einrichtungen finanziell stärker stützen.
Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800/222 555
Onlineberatung: www.haltdergewalt.at
Männerinfo: 0720- 70 44 00
Kinderwebsite: www.gewalt-ist-nie-ok.at
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