
„Schwer für mich mitanzusehen, wenn ein Kind zurückgelassen wird“
Karin Höller, Direktorin der Volksschule Bruck in Salzburg, setzt sich bis heute für ihren Schüler Andria ein, der im Februar nach Georgien abgeschoben wurde. Sie machte sich vor Ort ein Bild davon, wie es der Familie mittlerweile geht.
Interview: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Seit wann kennen sie Andria und seine Familie?
Die Familie lebte seit sieben Jahren in Bruck im Flüchtlingsheim. Sie hatten zuvor ihr Haus und ihr ganzes Hab und Gut in Georgien verkauft, denn bei der Tochter war eine Meningitis von ärztlicher Seite nicht erkannt worden. Sie ist seither spastisch gelähmt und hat auch eine geistige Beeinträchtigung. Die Familie kam in der Hoffnung nach Österreich, dass sie hier Hilfe bekommen könnte. Tragischerweise entdeckte man hier dann auch noch Brust- und Gebärmutterhalskrebs bei der Mutter. Die Tochter bekam eine Therapie, sie braucht aber weiterhin 24-Stunden-Betreuung. Der kleine Andria ist mit seinen damals zwei Jahren in den Kindergarten gegangen. Dann ist er zu uns in die Volksschule gekommen, wo er nun in die dritte Klasse gegangen ist – bis er und seine Familie im Februar nun abgeschoben wurden, da sie kein Asyl und auch kein humanitäres Bleiberecht bekommen hatten.
Sie sind kurz darauf selbst nach Georgien geflogen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Wie geht es der Familie inzwischen?
Ich habe mich ein paar Tage von der Schule beurlauben lassen und bin mit 1500 Euro nachgereist, die ich privat gesammelt hatte. Die Familie hat ja nichts mehr dort. Momentan können sie in einer desolaten Plattenbauwohnung vom Bruder des Vaters wohnen, aber der Zustand ist furchtbar. Es gibt tagelang keinen Strom oder kein Wasser. Gerade für die Versorgung der Tochter ist das katastrophal. Sie ist mittlerweile 27 Jahre, aber kann nicht mal alleine auf die Toilette gehen.
Ich mache mir aber vor allem auch Sorgen um Andria. Er scheint sehr depressiv zu sein. Er sagt, er vermisse die Schule und seine Freunde, besonders aber auch das Fußballspielen im Verein in Bruck. Er ist ein großes Fußballtalent, er war der Beste unserer U10 und hätte laut Trainer eine Fußballkarriere probieren können. Andria wird wahrscheinlich im September einen Platz in einer Privatschule bekommen, aber das ist auch eine finanzielle Frage. Er kann jedoch auf Georgisch weder lesen noch schreiben. Wir haben versucht, ihn privat stundenweise über Whatsapp und Zoom weiter zu unterrichten, doch das schaffen wir einfach nicht mehr. Wir haben mittlerweile auf Facebook die Infoseite „Hilfe für Andria und seine Familie“ sowie ein Spendenkonto eingerichtet, um die Familie weiterhin zu unterstützen.
Was bewegt Sie zu diesem Engagement?
Es ist für mich sehr schwer mit anzusehen, wenn ein Kind so zurückgelassen wird, weil es quasi durch das reguläre System fällt. Generell glaube ich, dass wir in Österreich manchmal keine Ahnung davon haben, welches Glück wir hatten, hier geboren worden zu sein, und in welchem Wohlstand wir leben.
Werden Sie noch mal nach Georgien reisen?
Ich hätte es im Sommer vor, habe aber gerade erst die Schulleitung übernommen und sehr viel zu tun. Das werde ich dann erst spontan entscheiden können.
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