
Sind alle Menschen gleich vor dem Gesetz? Schön wär’s.
Wird im Fall der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und Syrien mit zweierlei Maß gemessen? Ich glaube schon. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Kommentar: Nadja Lorenz
Über 40.000 Ukrainer*innen sind seit 24. Februar bei uns angekommen, um zu bleiben. Und es werden vermutlich noch mehr. Ukrainer*innen werden in der veröffentlichten Meinung als Menschen portraitiert, denen Schreckliches widerfahren ist und die alles verloren haben (außer ihre SUVs).
Die EU hat in Windeseile die Vertriebenen- Verordnung beschlossen, die die Menschen auch zum Arbeiten (und damit zu einem vielleicht auch hier selbstbestimmten Leben) ermächtigt.
Ich war sehr froh, dass die EU bzw. die Mitgliedstaaten einmal nicht das unwürdige Gezerre begannen, wer wieviele Geflüchtete aufnehmen muss. Und mir scheint, auch die Bevölkerung ist von der unmittelbaren „nachbarlichen“ Not ehrlich betroffen und hilfsbereit.
In Österreich muss jedoch kritisiert werden, dass wieder einmal die Hilfsorganisationen (oft als „Asylmafia“ geschmäht) und Private als erste in die Gänge gekommen sind. Auch jetzt läuft die staatlich organisierte bzw. koordinierte Hilfe nicht rund; dem Flüchtlingskoordinator wurden keine Befugnisse erteilt, gute Figur macht er nicht. Und dass Österreich die Vertriebenen- Verordnung nicht voll umgesetzt hat (musste Österreich auch nicht), empfinde ich als schäbig. So stehen Drittstaatsangehörigen Rechte aus der Vertriebenen- VO nicht zu, obwohl sie vom russischen Angriffskrieg ebenfalls betroffen sind und alles, was sie sich in der Ukraine aufgebaut haben, verloren ist; Lebensträume vom besseren Leben bspw. durch Studium zerstoben sind. Ihnen kann nur geraten werden, etwa nach Deutschland weiterzureisen, wo ihnen die Erleichterungen der EU-Verordnung gewährt werden. Dem österreichischen Staat wird’s recht sein. Und unser Innenminister beginnt derweil eine „Aktion scharf “, die er als „Aktion gerecht“ bezeichnet: gegen Menschen, die sich der Schlepper bedienen müssen und denen nicht erlaubt wird, legal die europäischen Grenzen zu passieren; deren Tod nicht nur in Kauf genommen, sondern der teilweise vorsätzlich betrieben wird (siehe Frontex). Diese Menschen werden zum wiederholten Mal als das Asylrecht Missbrauchende gebrandmarkt.
Ist das alles rassistisch?
Dieser Vorwurf wurde bald einmal laut. Und ich glaube, zurecht. Denn was unterscheidet die jetzige Situation von der des Krieges in Syrien, wo mit Hilfe der russischen Armee Aleppo in Grund und Boden gebombt wurde? Dabei ist die Entfernung zwischen Wien und Luhansk nicht viel geringer als zwischen Wien und Aleppo. Überdies ist der Nachbarschaftsbegriff in einer globalisierten Welt irgendwie obsolet. Warum hilft den Afghan*innnen niemand, die gerade wieder ins Mittelalter gezwungen werden, obwohl die „westliche“ Welt an deren Misere Verantwortung tragen? Ist es wegen der Religion? Mag sein, aber als die „Nachbar in Not“-Hilfe für Bosnien anlief, hatte nach meiner Erinnerung niemand nach der Religion gefragt.
Rassismus ist ein starkes Wort, jedoch insbesondere, weil wir uns mit den entsprechenden Vorwürfen halt so gar nicht gern auseinandersetzen mögen. Im Kern scheint es darum zu gehen, dass bestimmte Gruppen von Menschen als „höherwertig“ (uns ähnlich, Nachbar*innen) angesehen werden, und die anderen „halt nicht so“ (Hautfarbe, Religion etc). Die Gründe für Vertreibung und Flucht sind aber fast immer die gleichen.
Nadja Lorenz ist Menschenrechtsanwältin und im Netzwerk Asylanwalt aktiv. Von 2003 bis 2014 war sie Vorsitzende von SOS Mitmensch.
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