25 Fragen & Antworten - Wahlrecht und Wiener Pass Egal Wahl am 6. Oktober
Was ist die Wiener Pass Egal Wahl? |
SOS Mitmensch wird am 6. Oktober aus Anlass der bevorstehenden Gemeinderatswahl in Wien ein Wahllokal eröffnen, in dem alle, unabhängig von ihrem Pass, ihre Stimme abgeben können. Wir möchten damit anlässlich der Wien-Wahlen ein Zeichen gegen den Ausschluss von immer mehr Menschen von demokratischer Beteiligung setzen. Bereits mehr als ein Viertel der in Wien lebenden Menschen sind von der Wahl des Gemeinderats ausgeschlossen, weil sie keinen österreichischen Pass haben. Die erste Pass Egal Wahl fand 2013 anlässlich der Nationalratswahlen statt. Mehr als 600 Menschen mit Pässen aus 66 Ländern nahmen teil. |
Wo, wann und wie kann ich an der Wiener Pass Egal Wahl 2015 teilnehmen? |
Wann: Dienstag, 6. Oktober 2015, zwischen 15 und 20 Uhr |
Wie kann die Wiener Pass Egal Wahl unterstützt werden? |
Wählen: Am 6. Oktober hinkommen und die Stimme abgeben. Die Stimmen werden im Anschluss an die Wahl ausgezählt und das Wahlergebnis der Pass Egal Wahl bekanntgegeben. Mitmobilisieren: Freundinnen und Freunde, Verwandte und Bekannte über die Pass Egal Wahl informieren und gemeinsam mit ihnen zur Wahl gehen. Am Wahltag mithelfen: SOS Mitmensch freut sich über ehrenamtliche Helferinnen und Helfer am Pass-Egal-Wahltag. Bitte ein Mail an [email protected] Spenden: SOS Mitmensch finanziert seine Menschenrechtsarbeit durch private Spenden. Das sichert unsere Unabhängigkeit. Wenn Sie die Pass Egal Wahl mit einer Spende unterstützen wollen, dann klicken Sie bitte HIER oder spenden Sie direkt auf unser PSK-Konto: IBAN: AT87 6000 0000 9100 0590, BIC: OPSKATWW |
Wer steckt hinter der Pass Egal Wahl? |
Die Pass Egal Wahl ist eine Initiative von SOS Mitmensch. Unterstützt wird die Wahl von zahlreichen Personen, die sich für mehr Demokratie einsetzen. Auf den Pass Egal Wahl-Plakaten sind Wienerinnen und Wiener mit Pässen aus der Schweiz, Ungarn, USA, Kolumbien, Rumänien, Brasilien, Afghanistan und Deutschland zu sehen, unter ihnen auch "Willkommen Österreich"-Star Dirk Stermann, der seit 27 Jahren in Wien lebt. Sie alle rufen zur Stimmabgabe am 6. Oktober im „Pass Egal“-Wahllokal von SOS Mitmensch auf. Unterstützt wird die Wahl auch von den Wiener Jugendzentren, die eine eigene Probewahl unter Jugendlichen über 16 durchführen. |
Warum gibt es die Pass Egal Wahl? |
Noch immer entscheidet in Österreich einzig und allein der Pass über die Möglichkeit, die Politik auf Landes- und Bundesebene mitzugestalten. Wer keinen österreichischen Pass hat, wird auf Landes- und Bundesebene ins Demokratieabseits befördert. In Wien dürfen EU-BürgerInnen lediglich auf Bezirksebene wählen. Diese Ausschlusspolitik ist weder zeitgemäß noch demokratieförderlich. Die österreichische und Wiener Politik betrifft alle, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben, unabhängig vom Pass. Mit der Pass Egal Wahl setzen wir ein Zeichen für ein demokratischeres Österreich. Der Wahlausschluss betrifft inzwischen bereits jeden siebenten Menschen, der in Österreich lebt, und jeden vierten Menschen, der in Wien lebt. |
Wieso ist die Pass Egal Wahl in Wien besonders wichtig? |
Eine Stadt braucht alle Menschen, um gut zu funktionieren. Doch mehr als ein Viertel der Wienerinnen und Wiener sind von der Gemeinderatswahl ausgeschlossen. Darüber hinaus sind mehr als 14 Prozent der in Wien lebenden Menschen auch von den gleichzeitig stattfindenden Bezirksvertretungswahlen ausgeschlossen (in Wien lebende EU-BürgerInnen sind auf Bezirksebene wahlberechtigt). Das führt zu einer enormen und stetig wachsenden Demokratiekluft und fördert Entfremdung. Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss. Bei der letzten Wiener Landtags- und Gemeinderatswahl (2010), war noch jeder 5. in Wien lebende Mensch von den Wahlen ausgeschlossen. Die Wahlbeteiligung unter den Wahlberechtigten lag damals bei 67,7%. Da jene WienerInnen ohne österreichische Staatsbürgerschaft auf Grund des Wahlausschlusses nicht wählen konnten, nahmen nur ca. 770.000 der ca. 1,43 Millionen WienerInnen im wahlberechtigten Alter an der letzten Wien-Wahl teil. Das sind nicht einmal knapp 54% der über 16-jährigen WienerInnen. Dadurch, dass der Anteil der Nicht-Wahlberechtigten in den letzten fünf Jahren nochmals deutlich gestiegen ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass die reale Wahlbeteiligung bei den diesjährigen Wien-Wahlen deutlich unter 50% fallen wird! Während Wien seit der letzten Wahl gewachsen ist, ist die Zahl der Wahlberechtigten gesunken! |
Was bedeutet der derzeitige Demokratie-Ausschluss für die Betroffenen? |
Der Ausschluss betrifft sehr viele Menschen, die in Österreich bzw. Wien bereits seit Jahren ihren Lebensmittelpunkt haben und Teil der österreichischen bzw. Wiener Gesellschaft sind. Mehr als 70 Prozent der Menschen ohne österreichischen Pass leben schon länger als 3 Jahre in Wien. Diese Menschen sind genauso stark von den Entscheidungen der ohne sie gewählten GesetzgeberInnen betroffen, wie Menschen mit österreichischem Pass. Der Ausschluss von demokratischer Beteiligung hat Auswirkungen auf das Zugehörigkeitsgefühl zur Demokratie und zum Gemeinwesen. Einige Stimmen von Betroffenen haben wir hier gesammelt. |
Was fordert SOS Mitmensch in Punkto Wahlrecht? |
Wer in Wien lebt, soll in Wien mitbestimmen dürfen. Die politischen RepräsentantInnen sollen ihren Machtanspruch durch die Vertretung der gesamten Bevölkerung, über die sie ihre Macht ausüben, legitimieren. Dazu ist es in einer von Migration mitgeprägten Gesellschaft nötig, dass alle, die in Österreich bzw. in Wien ihren Lebensmittelpunkt haben, an Wahlen teilnehmen dürfen. Konkret fordern wir, dass alle Menschen, die ihren Hauptwohnsitz in Wien haben, nach spätestens 3 Jahren das aktive und passive Wahlrecht erhalten. Wie auch schon jetzt bei österreichischen StaatsbürgerInnen der Fall, sollen Personen, die staatsgefährdende Aktivitäten setzen, vom Wahlrecht ausgeschlossen werden können. Darüber hinaus soll es jedoch nicht mehr weiter einen Ausschluss von weiten Teilen der Wohnbevölkerung von demokratischen Beteiligungsmöglichkeiten geben. Schon gar nicht darf, so wie es jetzt aufgrund der restriktiven Einbürgerungsbestimmungen der Fall ist, ein zu niedriges Einkommen zum Ausschluss von der Demokratie führen. |
Wer darf in Österreich derzeit wählen? Und wer nicht? |
In Österreich haben alle, die mindestens 16 Jahre alt sind, das aktive Wahlrecht bei politischen Wahlen. Um auch das passive Wahlrecht zu erlangen, also das Recht zu kandidieren, muss man mindestens 18 Jahre alt sein (für Bundespräsidentenwahl: 35 Jahre). Allerdings ist das Wahlrecht zusätzlich auf jene Menschen beschränkt, die die „richtige“ Staatsbürgerschaft haben, nämlich die österreichische. Ausnahmen gibt es für EU-BürgerInnen bei Kommunalwahlen: Diese haben in allen Bundesländern, außer in Wien, bei Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen der Gemeinde, in der sie ihren Hauptwohnsitz gemeldet haben sowohl das aktive als auch passive Wahlrecht. In Wien lebende EU-BürgerInnen dürfen nur an Bezirksvertretungswahlen teilnehmen. Darüber hinaus können sich EU-BürgerInnen bei den Wahlen zum Europaparlament aussuchen, ob sie im Land, in dem sie leben oder im Land dessen Staatsbürgerschaft sie haben, wählen wollen. Für Menschen, die weder eine österreichische Staatsbürgerschaft haben noch die eines anderen EU-Landes, gibt es in Österreich keine politischen Mitbestimmungsmöglichkeiten. Wie die nebenstehende Tabelle zeigt, darf auf Grund dieser Beschränkungen ein großer Teil der österreichischen Bevölkerung nicht an den demokratischen Wahlen über die politische Zukunft seiner Heimat mitbestimmen. Für Wien ergibt sich, dass ca. 385.000 WienerInnen im wahlberechtigten Alter bei den diesjährigen Landtags- und Gemeinderatswahlen nicht mitwählen dürfen. Von diesen 385.000 WienerInnen sind 214.000 darüber hinaus auch von Bezirksvertretungswahlen ausgeschlossen. Zusätzlich zu den bereits genannten Beschränkungen können Strafgerichte Menschen in Folge einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren oder mehr für die Dauer der Strafvollstreckung vom Wahlrecht ausschließen. Bei bestimmten Delikten (z.B. Landesverrat, NS-Wiederbetätigung, Terrorismus) reicht schon eine mindestens einjährige unbedingte Freiheitsstrafe. |
Wie hat sich das Wahlrecht und dessen demokratische Reichweite entwickelt? |
Die Geschichte des österreichischen Wahlrechts ist die einer langsamen und schrittweisen Demokratisierung, bei der jede Ausweitung des Wahlrechts hart erkämpft werden musste. Lange Zeit wurden Menschen, die nicht genug besaßen oder verdienten, mit der gleichen Selbstverständlichkeit vom Wahlrecht ausgeschlossen, wie heute nicht-österreichische StaatsbürgerInnen. 1918 erlangten auch Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht; bis dahin existierte (fast) nur das Männerwahlrecht. Die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre im Jahr 2007 führte zu einer Ausweitung der Menschengruppe, die in Österreich wahlberechtigt ist. Entgegen dieser langen Geschichte eines Prozesses zunehmender Gleichberechtigung und Demokratisierung, steigt in den letzten Jahren wieder der Anteil jener Menschen, die vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Zurückzuführen ist das auf den Demokratie-Ausschluss jener, die in Österreich leben, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Der wachsende Anteil an Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft hängt wiederum mit zwei Faktoren zusammen: erstens Migrationsbewegungen und zweitens immer höheren rechtlichen Hürden zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Während beispielsweise Wien in den letzten 30 Jahren um fast 250.000 Menschen gewachsen ist, ist die Zahl der Stimmberechtigten sogar gesunken – und das trotz Senkung des Wahlalters! Über die Hintertüre der strengen Einbürgerungsbestimmungen, die unter anderem Einkommenshürden vorsehen, hat sich wieder etwas eingeschlichen, was eigentlich überwunden geglaubt war: der Ausschluss von Menschen mit keinem oder geringem Einkommen vom Wahlrecht. |
Was haben die Einbürgerungsbestimmungen mit dem Wahlrecht zu tun? |
So lange das Wahlrecht in Österreich auf fast allen Ebenen an die österreichische Staatsbürgerschaft gekoppelt ist, ist das Einbürgerungsrecht die zentrale Hürde zum Recht auf demokratische Mitbestimmung. Wer die Bedingungen für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft - wie etwa die Einkommenskriterien - nicht erfüllt, bleibt auch vom Wahlrecht ausgeschlossen. |
Wie wird man österreichische Staatsbürgerin? |
Das Konzept Staatsbürgerschaft baut in Österreich noch immer weitgehend auf dem Abstammungsprinzip – auch „ius sanguinis“ oder „Blutrecht“ genannt – auf. Nach dieser Logik wird man nicht als Österreicher bzw. Österreicherin gesehen, weil man in Österreich geboren oder aufgewachsen ist, sondern weil die Eltern und deren Vorfahren bereits ÖsterreicherInnen waren. Die Hürden zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sind für alle, die nicht das richtige „Blut“ haben, hoch. Wer in Österreich lebt, kann den Antrag erst nach 6 bis 10-jährigem durchgehenden Aufenthalt stellen. Außerdem muss man Einkommenshürden überspringen, die selbst von Vollzeitbeschäftigte nicht immer erreicht werden: „Nachweis fester und regelmäßiger eigener Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen im Durchschnitt von 36 Monaten aus den letzten 6 Jahren vor dem Antragszeitpunkt, wobei jedenfalls die letzten geltend gemachten sechs Monate unmittelbar vor dem Antragszeitpunkt liegen müssen.“ Konkret heißt das: Wer einen österreichischen Pass beantragt, muss netto, also nach Abzug aller Steuern, über einen Zeitraum von 3 Jahren innerhalb der letzten 6 Jahre einen monatlichen Betrag von 872,31 €, plus einen Großteil der Mietkosten, plus 134,59 € pro Kind, plus etwaige Kreditraten, plus sonstige regelmäßig anfallende Aufwendungen, nachweisen. Für Familien in einem gemeinsamen Haushalt beträgt der Richtsatz 1.307,89 € plus einen Großteil der Mietkosten, plus 134,59 € pro Kind, plus etwaige Kreditraten, plus sonstige regelmäßig anfallende Aufwendungen (siehe die Richtsätze des § 293 ASVG). Insbesondere teilzeitbeschäftigte Personen (75 Prozent der Teilzeitjobs werden von Frauen gemacht) fallen oftmals komplett durch den Staatsbürgerschaftsraster. SOS Mitmensch ist aber auch auf mehr als 600 Berufssparten gestoßen, bei denen auch eine Vollzeitbeschäftigung nicht genügend Lohn abwirft, um als AlleinerhalterIn einer Familie die Einkommenshürde für die Einbürgerung zu überspringen. Dazu zählen eine Reihe an Berufen, in denen Frauen stark vertreten sind, wie etwa FriseurIn, KassiererIn, SekretärIn oder KellnerIn. Während Arbeiterinnen laut Statistik Austria ein durchschnittliches Gehalt von 12.000 Euro brutto im Jahr beziehen, müssen Einbürgerungswillige, je nachdem, ob sie alleine leben oder eine Familie versorgen müssen, über einen längeren Zeitraum zwischen 16.000 und 30.000 Euro brutto verdienen, um eine Chance auf die Einbürgerung zu erhalten. Das alles gilt auch für Menschen, die bereits seit 15, 20 oder noch mehr Jahren in Österreich leben. Auch wer in Österreich geboren wurde und wessen Eltern keine ÖsterreicherInnen sind, hat kein bedingungsloses Anrecht auf die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft, sondern ist ebenfalls abhängig von der Erfüllung sämtlicher Einbürgerungskriterien (bis zur Volljährigkeit durch die Eltern). Wer also beispielsweise dauerhaft ein zu geringes Einkommen oder eine zu geringe Pension bezieht, kann für den Rest des Lebens nicht Österreicher/in werden und bleibt dauerhaft von demokratischen Grundrechten ausgeschlossen! Neben Mindesteinkommen und langjährigem Aufenthalt müssen noch weitere Kriterien, wie nachzuweisende Deutschkenntnisse oder Unbescholtenheit erfüllt werden. Darüber hinaus ist die Verleihung der Staatsbürgerschaft mit Kosten verbunden, die mehrere tausend Euro ausmachen und bis zu zehn Mal so hoch ausfallen können wie in Deutschland. |
Was fordert SOS Mitmensch bezüglich realitätsnaher Einbürgerungsbedingungen? |
1. Verleihung der Staatsbürgerschaft per Geburt an Kinder, die in Österreich geboren wurden und deren Eltern rechtmäßig und längerfristig in Österreich niedergelassen sind. 2. Verkürzung der Wartefristen für die Einbürgerung und Orientierung am Lebensmittelpunkt statt am Aufenthaltstitel. 3. Abschaffung der Einkommenserfordernisse, damit der Pass keine Geldsache ist und GeringverdienerInnen nicht von wichtigen Rechten ausgeschlossen werden. 4. Schaffung eines bedingungslosen Rechtsanspruchs auf die Staatsbürgerschaft für Menschen, die in Österreich geboren oder aufgewachsen sind oder schon sehr lange hier leben. 5. Ermöglichung der Doppelstaatsbürgerschaft, denn:
6. Senkung der bis zu zehnmal so hohen Einbürgerungsgebühren wie in Deutschland. |
Wie sieht der internationale Vergleich in Sachen Wahlrecht und Einbürgerung aus? |
Sowohl in Sachen Wahlrecht als auch, was die Einbürgerungsbestimmungen betrifft, gehört Österreich zu den restriktivsten EU-Staaten. In den meisten EU-Ländern dürfen nicht nur EU-BürgerInnen, sondern auch Drittstaatsangehörige zumindest bei Kommunalwahlen mitwählen. Darüber hinaus dürfen in einigen EU-Ländern Nicht-StaatsbürgerInnen auch an Regionalwahlen teilnehmen. Manche Länder des Commonwealth sind bezüglich der Wahlrechte auf der nationalen Ebene, die sie ihren Staatsangehörigen gegenseitig in den anderen Ländern zukommen lassen, um einiges weiter als die EU. Ein internationales Vorbild bzgl. eines fortschrittlichen und inklusiven Wahlrechts ist das Nicht-EU-Land Neuseeland: Dort dürfen AusländerInnen nach einem Jahr durchgehendem Aufenthalt auf allen Ebenen mitwählen. Auch in einigen anderen Ländern wie Chile und Uruguay haben Nicht-StaatsbürgerInnen nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer (in diesen Fällen 5 bzw. 8 Jahre) die Möglichkeit, auf nationaler Ebene mitzuwählen. Fast alle EU-Länder haben teils deutlich höhere Einbürgerungsquoten als Österreich. Spitzenreiter war 2013 Schweden, wo 7,6% der dort lebenden Nicht-Staatsangehörigen pro Jahr eingebürgert wurden. Deutschland findet sich mit seinen 1,5% schon im untersten Drittel und ist dennoch weit vor Österreich, das nur ca. 0,7% der ansässigen Nicht-StaatsbürgerInnen pro Jahr einbürgert. |
Soll jeder, der auch nur einen Tag in Wien verbringt, in Wien wählen können? |
Nein. Es sollten jene Menschen über die politische Zukunft eines Landes oder einer Stadt mitentscheiden, die dort ihren Lebensmittelpunkt haben und die genügend Zeit hatten, sich mit den Lebensbedingungen und der politischen Situation vertraut zu machen. Deshalb spricht sich SOS Mitmensch dafür aus, spätestens nach 3 Jahren Lebensmittelpunkt in Österreich das volle kommunale und nationale Wahlrecht zu verleihen. Derzeit gibt es die paradoxe Situation, das ein Teil der Menschen, die nach Wien ziehen, vom ersten Tag an das Wahlrecht haben, während andere, die bereits viele Jahre in Wien leben, kein Wahlrecht haben. Sofort das Wahlrecht haben Menschen aus anderen Bundesländern, auch wenn sie sich mit den Gegebenheiten in Wien noch nicht vertraut machen konnten. Gar kein Wahlrecht haben Menschen mit Nicht-EU-Staatsbürgerschaften. Nur auf Bezirksebene dürfen in Wien Menschen mit EU-Staatsbürgerschaften wählen. |
Wie viele NichtösterreicherInnen gibt es, die länger als 3 Jahre in Wien leben? |
Von den ca. 460.000 Menschen in Wien, die keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, haben laut Auskunft der Wiener MA23 ca. 327.000 bereits länger als 3 Jahre ihren Hauptwohnsitz in Wien. Davon sind wiederum fast 280.000 Menschen im wahlberechtigten Alter. Das heißt aus aktuell ca. 1,14 Millionen Wahlberechtigten würden bei Schaffung eines Wohnbürgerschaftswahlrechts ab 3 Jahren Aufenthalt 1,42 Millionen wahlberechtigte WienerInnen werden, wobei Nicht-StaatsbürgerInnen in Wien etwa 20% der Wählerschaft ausmachen würden. Das wiederum heißt, statt des jetzigen Wahl-Ausschlusses von einem Viertel der WienerInnen im wahlberechtigten Alter, 14 von 15 WienerInnen über die politische Zukunft ihrer Stadt mitentscheiden könnten – aus unserer Sicht wäre das ein wichtiger Schritt zur Stärkung der Demokratie und des Zugehörigkeitsgefühls hier lebender Menschen. Für Gesamt-Österreich gibt es dazu keine genauen Zahlen. Der Jahresbericht „Migration & Integration: zahlen.daten indikatoren 2015“ der Statistik Austria gibt aber darüber Auskunft, dass 61% aller nicht-österreichischen StaatsbürgerInnen schon seit mind. 5 Jahren in Österreich leben (und der Großteil davon wiederum länger als 10 Jahre). Man kann also davon ausgehen, dass ähnlich wie in Wien mindestens 71% schon länger als 3 Jahre in Österreich leben. Das bedeutet, dass österreichweit bei einem Wohnbürgerschaftswahlrecht ab 3 Jahren Aufenthalt etwas mehr als 700.000 Wahlberechtigte dazukommen würden. Nicht-österreichische StaatsbürgerInnen würden dann österreichweit 10% der Wahlberechtigten ausmachen. |
Welche Partei würden NichtösterreicherInnen wählen? |
In Österreich gibt es dazu keine Zahlen. In Deutschland gab es 2013 durch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration eine Studie zum Wahlverhalten von NichtstaatsbürgerInnen. Ergebnis: Etwa die Hälfte der NichtstaatsbürgerInnen würde sich an Wahlen beteiligen. Was die Parteipräferenz betrifft, so hätte mit 27% die SPD die Nase vorne, dahinter kämen die Grünen mit 20% und die CDU mit 18% Stimmanteilen. Die Linkspartei käme auf 4% und die FDP auf 3%. Der Anteil der Unentschlossenen lag bei 28%. Der deutsche Sachverständigenrat kommt zum Schluss, dass es aus demokratiepolitischer Sicht erstrebenswert sei, „das Wählerpotenzial von Ausländern zu erschließen“, denn „in einer Demokratie sollten die Wohn- und Wahlbevölkerung möglichst deckungsgleich sein.“ |
Aber würde ein AusländerInnenwahlrecht denn nicht ein "Wähleraustausch" sein? |
Nein. Niemandem würde das Wahlrecht entzogen werden, niemand würde ausgetauscht werden. Stattfinden würde eine Ergänzung der Wählerschaft um die Menschen, die bereits ihren Lebensmittelpunkt in Österreich haben, aber keinen österreichischen Pass haben. |
Aber würden NichtösterreicherInnen denn nicht mit ihrer Stimme in Österreich Böses tun wollen? |
Die Menschen, die hier leben, aber keinen österreichischen Pass haben, sind keine Feinde, sondern Personen, die ihre Zukunft positiv gestalten wollen. Manche werden, wie Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft auch, für Populismus anfällig sein. Es wird auch Personen geben, die einen Hang zu Extremismus haben. Aber wie für österreichische StaatsbürgerInnen auch, gilt, dass wer gerichtlich wegen staatsfeindlicher Handlungen oder anderer schwerer Verbrechen verurteilt wird, von Wahlen ausgeschlossen werden kann. Die große Masse der Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft ist bereits jetzt wichtiger Bestandteil Österreichs und sollte daher auch integraler Bestandteil unserer Demokratie sein, denn Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss. |
Aber würden bei einem Wahlrecht für NichtösterreicherInnen nicht auch TerroristInnen wählen dürfen? |
TerroristInnen mit der „richtigen Staatsbürgerschaft“, nämlich der österreichischen, können auch heute schon wählen, solange sie von einem Gericht nicht rechtskräftig verurteilt werden. Bei einer Verurteilung würden für Nicht-Österreichische StaatsbürgerInnen dieselben Regeln gelten, wie für alle anderen. Das heißt, dass Gerichte Menschen, die zu einer mehr als 5-jährigen Haftstrafe verurteilt werden, das Wahlrecht für die Dauer dieser Strafe entziehen können. Bei Delikten wie Landesverrat, NS-Wiederbetätigung oder Terrorismus ist das bereits ab einer 1-jährigen Haftstrafe möglich. |
Wie kann das Wahlrecht geändert werden? |
Für eine Änderung des Wahlrechts bedarf es einer Verfassungsänderung. Diese kann nur durch eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erwirkt werden. Eventuell bedarf es auch einer Volksabstimmung. Das heißt, die Hürde für eine Änderung liegt sehr hoch. Es bräuchte einen breiten Konsens darüber, dass Menschen, die hier leben, nicht länger von demokratischen Rechten ausgeschlossen werden sollten, nur weil sie nicht den richtigen Pass haben. Es bräuchte einen breiten Konsens darüber, dass der Arbeitskollege, die Nachbarin, der Freund, der Verwandte, der hier lebt, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft hat, nicht nur Teil des Alltags, sondern auch Teil der Demokratie ist. |
Wie stehen politische Parteien in Wien derzeit zum Thema Wahlrechtsausweitung? |
SPÖ: „Wahlrecht für alle WienerInnen öffnen“, twittert die Wiener SPÖ wenige Monate vor den Wiener Wahlen. Mit diesen unmissverständlichen Worten spricht sich die sozialdemokratische Partei klar für das Ausländerwahlrecht aus. „Wir wollen eine Gesellschaft, die stolz auf ihre demokratischen Traditionen und offen für andere Kulturen ist, durch die sie sich bereichert fühlt.“ Konkrete Schritte in Richtung Ausländerwahlrecht wurden jedoch noch nicht angekündigt. Die SPÖ Wien unterstützt die Pass Egal Wahl. ÖVP: „Für uns gilt, Wahlrecht muss Staatsbürgerrecht bleiben", erklärt Manfred Juraczka, Landesparteiobmann der ÖVP Wien. "Und wenn jemand integrationswillig ist und Leistung erbringt, bekommt er auch die Staatsbürgerschaft." Die ÖVP Wien spricht sich somit derzeit gegen das Ausländerwahlrecht aus und verweist auf die (in Österreich sehr stark eingeschränkte) Möglichkeit der Einbürgerung. FPÖ: „Österreich ist kein Einwanderungsland. Wir verfolgen daher eine geburtenorientierte Familienpolitik“, erklärt die FPÖ und spricht sich damit gegen das Ausländerwahlrecht aus. Wer „legal anwesend, unbescholten und bereits integriert, also kulturell verwurzelt“ sei, solle die Möglichkeit haben, durch eine Einbürgerung das Wahlrecht zu erhalten. Die Grünen: „In einer global wirtschaftenden Welt müssen Gestaltungsrechte wie das Wahlrecht der gesamten dauerhaft niedergelassenen Wohnbevölkerung zustehen“, erklären die Grünen und bekennen sich somit zum Ausländerwahlrecht. Die Grünen unterstützen die Pass Egal Wahl. NEOS: „Integration wird am stärksten durch Teilnahme und Teilhabe gefördert. Daher sollte das aktive und passive Wahlrecht für EU-Bürger_innen mit dem Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich vom Gemeinderat bis zum Nationalrat und zum/zur Bundespräsidenten/-präsidentin eingeführt werden“, erklären die NEOS in ihrem Parteiprogramm. Auch die NEOS unterstützen die Pass Egal Wahl. WIEN Anders: „Mitbestimmung für alle – Ein Mensch, eine Stimme. 25 Prozent der Menschen, die in Wien leben und Steuern zahlen, dürfen an Nationalrats- und Gemeinderatswahlen nicht teilnehmen, da sie nicht die österreichische bzw. EU-StaatsbürgerInnenschaft besitzen. Das ist ungerecht – wir fordern deshalb eine ResidenzbürgerInnenschaft, so dass alle Menschen auch mitbestimmen und wählen können.“ Wien Anders unterstützt die Pass Egal Wahl. Gemeinsam für Wien: „Drittstaatsangehörige, die ihren Lebensmittelpunkt zum Zeitpunkt des Stichtags einer Wahl seit 5 Jahren in der Region (Wien) haben, sollen wahlberechtigt sein." Gemeinsam für Wien unterstützt die Pass Egal Wahl. |
Was sagt die Demokratieforschung zum Thema Wahlrechtsausweitung? |
Prof. Rainer Bauböck (European University Institute): „Die Anzahl der ausländischen Wohnbevölkerung in Österreich beträgt etwa 1 Million. 40 Prozent davon leben schon länger als 10 Jahre in Österreich; 15 Prozent sind in Österreich geboren. Österreich gehört zu den europäischen Staaten mit den höchsten Anteilen von Einwanderern an der Bevölkerung, aber zu den restriktivsten beim Zugang zu politischen Rechten und Staatsbürgerschaft. Daraus folgt, dass ein großer Teil der Gesellschaft zwar den Gesetzen unterworfen, aber von demokratischer Beteiligung ausgeschlossen ist. Ohne Behebung dieses Demokratiedefizits kann von Integration nicht ernsthaft gesprochen werden.“ Gerd Valchars (Universität Wien): „Die Dynamisierung der Gesellschaft erfordert neue politische Antworten, auch in Bezug auf die Ausgestaltung der Demokratie. Neben der Schaffung eines realistischen Zugangs zur Einbürgerung, muss auch ernsthaft über die Öffnung der Demokratie für NichtstaatsbürgerInnen diskutiert werden“. Prof. Karl Rose (Universität Graz): „Ein realistischer Zugang zur Staatsbürgerschaft und der verbesserte Zugang zur Demokratie kann das Zugehörigkeitsgefühl und den sozialen Zusammenhalt deutlich verbessern.“ |
Wie sieht die Bevölkerung die Frage der Wahlrechtsausweitung? |
Im Jahr 2013 wurde von der EU eine Umfrage zu diesem Thema veröffentlicht (Flash Eurobarometer 364). Es ging in dieser Umfrage um die Beurteilung eines Wahlrechts für in Österreich lebende NichtösterreicherInnen mit EU-Staatsbürgerschaft. Dabei hat sich eine Mehrheit von 58% der Befragten dafür ausgesprochen, das diese auf nationaler Ebene das aktive Wahlrecht haben sollen. Immerhin 56% der ÖsterreicherInnen sprechen sich in derselben Umfrage auch dafür aus, dass im Land lebende EU-BürgerInnen bei regionalen Wahlen sowohl aktives als auch passives Wahlrecht haben sollten (http://ec.europa.eu/public_opinion/flash/fl_364_en.pdf). In Bezug auf die Wien-Wahlen wurden im August 2015 von der Kronen Zeitung Umfrage-Ergebnisse veröffentlicht, wobei sich 57% der WienerInnen gegen, und 37% für ein Ausländerwahlrecht bei den Wien-Wahlen ausgesprochen haben. Peter Hajek vom Unique Research Institut, das die Umfrage durchgeführt hat, betont, dass bei der Beurteilung dieses Ergebnisse die zum Umfragezeitpunkt stark aufgeheizten Stimmung bzgl. Asyl und Migration zu berücksichtigen ist. |
Welche Entwicklungen gab es in Richtung eines inklusiveren Wahlrechts in den vergangenen 15 Jahren? |
2002 versuchten Wiener SPÖ und Grüne, auf Bezirksebene Wahlrecht und Staatsbürgerschaft zu entkoppeln. Stattdessen sollten all jene Wiener abstimmen und kandidieren dürfen, die seit fünf Jahren durchgehend in der Bundeshauptstadt gemeldet sind. 2004 wurde dieser Versuch nach einer Beschwerde von ÖVP und FPÖ vom Verfassungsgerichtshof gestoppt. Letzterer entschied, das Ausländerwahlrecht bedürfe einer Verfassungsänderung auf Bundesebene. Zu der kam es jedoch bisher nicht - trotz mehrerer entsprechender grüner Anträge im Nationalrat. 2013 nahmen 5 Tage vor der offiziellen Nationalratswahl mehr als 600 WählerInnen mit Pässen aus 66 Ländern an der Pass Egal Wahl am Wiener Minoritenplatz teil, um ein Zeichen gegen den bestehenden Demokratieausschluss zu setzen. 2015 findet am 6. Oktober von 15 bis 20 Uhr am Friedrich Schmidt Platz in Wien erneut eine Pass Egal Wahl statt. Damit soll ein Zeichen für ein demokratischeres Wien und gegen den Ausschluss von Wienerinnen und Wiener von der Gemeinderatswahl gesetzt werden. Die Pass Egal Wahl wird von einer Informations- und Mobilisierungskampagne begleitet. Unser Ziel ist, dass mehr als 1.000 Menschen bei der Pass Egal Wahl in Wien ihre Stimme abgeben und zeigen, dass es etwas Positives ist, wenn sich hier lebende Menschen demokratisch einbringen wollen. Demokratische Beteiligung sollte am Ende des Tages weder Geldsache noch Passsache sein. |
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