Fragen & Antworten zu diskriminierenden Bezeichnungen
Hat Sprache einen Einfluss auf die Wirklichkeit?
Klar beeinflusst es Beziehungen und die Wahrnehmung der Umwelt wie wir sprechen. Es macht einen Unterschied, ob ich über jemanden respektvoll oder gehässig rede, ob ich jemanden mit erwähne oder ob ich jemanden ignoriere. Dass Änderungen der Kommunikation nicht automatisch zum sofortigen Umsturz von Systemen führen, ist auch klar, aber jedenfalls kein Grund, um in diskriminierenden Sprachmustern zu verharren.
Aber den meisten ÖsterreicherInnen sind Bezeichnungen doch egal, oder?
Wie wichtig Bezeichnungen sind, hat Österreich selbst unter Beweis gestellt. Im Zuge des EU-Beitritts wurden im „Protokoll Nr. 10“ eine Reihe an „typisch österreichischen“ Bezeichnungen unter Schutz gestellt, darunter auch die berühmten Erdäpfel. Wenn der Kampf um Gemüsebezeichnungen schon so wichtig genommen wird, wie wichtig ist dann erst der Kampf um Gruppenbezeichnungen, wo es wirklich um die Identität und Anerkennung von Menschen geht?
Ist das N-Wort ein normales Wort?
Nein. Denn es ist nicht normal, Menschen Respekt zu verweigern. Und das N-Wort ist ein Wort, hinter dem eine Geschichte der Fremdbestimmung und des Rassismus steckt. Man sollte allerdings unterscheiden: Es gibt Menschen, die dieses Wort aus mangelndem Bewusstsein verwenden, und es gibt Menschen, wie etwa Mölzer, die das Wort im klaren Bewusstsein verwenden, dass er Menschen damit den Respekt verweigert.
Was ist das genaue Problem mit Begriffen wie "Mohr" oder "Zigeuner"?
Diese Begriffe sind, genauso wie das N-Wort, zu einer Zeit eingebürgert worden, als die Menschen, die mit diesen Begriffen bedacht wurden, nicht als vollwertige und manchmal sogar als gar keine Menschen anerkannt waren. Darüber hinaus handelt es sich um Bezeichnungen, die nicht von den Betroffenen selbst gewählt wurden, sondern ihnen von anderen aufoktroyiert wurden – und zwar von Leuten, die sie ausgebeutet, diskriminiert, als Sklaven gehalten und teilweise sogar verfolgt und ermordet haben.
Was sagen prominente Schwarze AktivistInnen zu diesem Thema?
Simon Inou, Geschäftsführer von M-MEDIA und Träger des Bundes-Ehrenzeichens für sein Engagement im Bereich des Interkulturellen Dialogs: „Wörter wie „Mohr“ oder das „N-Wort“ sind für Schwarze im deutschsprachigen Raum eine der schwersten Beleidigungen. Wenn sie das einfach weiter verwenden, dann wiederholt das die Stereotype, die innerhalb der Gesellschaft schon präsent sind. Das ist wirklich schade.“
Noah Sow, deutsche Moderatorin, Autorin und Black Community Aktivistin: „Wir sind mit den vielfältigsten Rassismen aufgewachsen: Wir spielten im Kindergarten "Wer hat Angst vorm schwarzen Mann", sangen "Zehn kleine Negerlein" und finden es normal, dass uns im Schuhgeschäft ein schwarzer Diener aus Porzellan begrüßt. Wenn wir gefragt werden, sind wir natürlich gegen Rassismus. Rassismus zu bekämpfen heißt jedoch, ihn zunächst zu verstehen. Dazu müssen wir lieb gewonnene Vorstellungen und "Gewissheiten" hinterfragen.“
Araba Evelyn Johnston-Arthur, Schwarze Aktivistin in Österreich und Kuratorin der Ausstellung „Verborgene Geschichte(n) - Remapping Mozart“, zum N-Wort: „Das N-Wort trägt eine Geschichte in sich, auch im deutschsprachigen Raum. Diese Geschichte ist eine Geschichte der Unterdrückung, die eingeschrieben ist in eine Geschichte der Versklavung und des Kolonialismus. Gerade in Österreich wird das noch immer sehr stark verharmlost – ich nenn das auch verherzigt. Das N-Wort stellt für uns ein Tabu dar. Wir wollen nicht, dass es weiter verwendet und reproduziert wird. Es geht dabei nicht um das Wort allein, sondern um die Geschichte, die hinter diesem Wort steckt und die Realität, die mit dessen Verwendung einhergeht. Es wird sich zwar nicht alles ändern, wenn wir das N-Wort nicht mehr aussprechen, aber es ist ein Schritt in Richtung weniger Rassismus.“
Wann ist eine Bezeichnung diskriminierend?
Diskriminierend sind Gruppenbezeichnung, die von den betroffenen Menschen abgelehnt werden. Ebenfalls diskriminierend sind Abbildungen, die Menschen klischeehaft und herabwürdigend abbilden. Ähnlich wie antisemitische Gruppen diskriminierende Karikaturen von „jüdisch aussehenden“ Menschen produziert haben, wurden von rassistischen Gruppen und Kulturen diskriminierende Karikaturen von Schwarzen Menschen produziert. Diese Karikaturen haben im öffentlichen Raum nichts mehr verloren.
Warum ist „M. im Hemd“ ein Problem, aber das „Wiener Schnitzel“ nicht?
Es macht einen erheblichen Unterschied, ob Speisen nach Herkunftsorten benannt werden, wie dies zum Beispiel beim "Wiener Schnitzel" der Fall ist, oder ob Speisenamen Gruppenbezeichnungen beinhalten, die noch dazu von Betroffenen als diskriminierend angesehen werden. Was Ersteres betrifft, so heißt es nicht ohne Grund „Wiener Schnitzel“ und nicht „Wiener im Schnitzel“ oder gar „Wiener im braunem Mantel“. Darüber hinaus unterscheidet sich das „M. im Hemd“ von anderen Speisen dadurch, dass es sich auf das Äußere von Menschen bezieht.
Handelt es sich bei Bezeichnungen nicht um Traditionen, die beibehalten werden sollten?
Es gibt Traditionen, die es sich zu erhalten lohnt, aber es gibt auch Traditionen, die man auf dem Friedhof der Geschichte begraben sollte. Zu letzteren gehören Bezeichnungen, die gewollt oder ungewollt Menschen herabwürdigen und beleidigen. Gerade traditionsbewusste Menschen sollten sich nicht der Geschichte verschließen, die hinter Bezeichnungen sowie hinter Firmenlogos steckt. Wenn diese Geschichte eine des Ausschlusses, der Herabwürdigung und der Diskriminierung ist, dann sollte das zum Anlass genommen werden, um Bezeichnungen zu ändern. Traditionen der Diskriminierung sind keine, die in irgendeiner Form fortgeführt werden sollten. Begriffe sind ersetzbar, die Menschenwürde ist es nicht.
Geht es bei alldem um "politische Korrektheit"?
Nein, es geht um Respekt und um menschliche Korrektheit. Die Abschaffung diskriminierender Bezeichnungen soll Ausdruck eines neuen Bewusstseins sein sowie Ausdruck dessen, dass alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Religion, etc., gleichermaßen respektiert werden. Von "politischer Korrektheit" oder "Unkorrektheit" sprechen meist nur die, die Plattheiten, Gehässigkeiten, Vorurteile oder Beleidigungen von sich gegen wollen.
Was sollen Leute tun, die „Mohr“ oder „Neger“ heißen?
Nichts. Niemand wird dazu aufgerufen, seinen oder ihren Nachnamen oder einen auf dem Nachnamen einer konkreten Person beruhenden Firmennamen zu ändern.
Warum sind beleidigende Bezeichnungen für Schwarze und Roma in Österreich ein heiß diskutiertes Thema, aber nicht beleidigende Bezeichnungen für Amerikanische UreinwohnerInnen oder Inuit?
Das hat damit zutun, dass es eine wesentlich engere Verbindung zwischen der Geschichte und Gegenwart Österreichs und Schwarzen Menschen bzw. Roma und Sinti gibt, als mit Amerikanischen UreinwohnerInnen und Inuit. Grundsätzlich ist aber selbstverständlich auch für diese Gruppen zu befürworten, dass jene Bezeichnungen verwendet werden, die von diesen als respektvoll anerkannt werden.
Wie spricht man richtig?
Indem man bereit ist, respektvoll zu sprechen und dazuzulernen. Praktisch jeder und jedem ist es schon einmal passiert, einen Begriff verwendet zu haben, der sich im Nachhinein als fragwürdig herausgestellt hat. Das ist keine Tragödie, solange man bereit ist, zuzuhören, dazuzulernen und sich in die Situation Betroffener hineinzuversetzen.
Zu guter Letzt: Ist SOS Mitmensch eine „Sprachpolizei“, die Leuten den Mund verbieten will?
Ganz klares Nein. SOS Mitmensch greift dort ein, wo es darum geht, die Strukturen und Mechanismen, die Rassismus befördern oder dessen Bekämpfung verhindern, offen zu legen, zu kritisieren und zu verändern. SOS Mitmensch tritt auch vehement gegen Hetze auf. Hetze ist weder eine Meinung noch ein Debattenbeitrag, sondern ein Instrument der Gewalt gegen Mitmenschen. Und gegen diese Gewalt ist es nicht nur legitim, sondern auch wichtig sowohl diskursiv als auch mit rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen. Genauso wenig, wie durch das Verbot der Körperverletzung jegliches menschliches Handeln verboten wird, wird durch das Verbot hetzerischer Gewalt Menschen der Mund verboten. Rassismus und Hetze sind nicht Teil von freier Meinungsäußerung, sondern zerstören Kommunikation und noch einiges mehr...
Hetze ist im Übrigen scharf abzugrenzen von politischer Kritik. Politische Kritik richtet sich gegen das, was jemand sagt oder tut, Hetze richtet sich hingegen gegen das, was jemand (in der Regel) von Geburt an ist.
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