Stimmungsmache
FPÖ-Politiker diffamieren die katholische Hilfsorganisation Caritas als „Asylindustrie“. Die ÖVP schaut weitgehend zu. Was aber wäre Österreich ohne Non-Profit-Organisationen, die von Pflege über Hospiz bis Kinderbetreuung soziale Dienste leisten? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Eva Maria Bachinger
Kurz vor Weihnachten mahnte Caritas- Präsident Michael Landau: „Ich habe den Eindruck, die Bundesregierung ist hier (Mindestsicherung, Anm.) erstaunlich weit weg von der Lebensrealität armutsbetroffener Menschen. Da gibt es schwere Empathie-Defizite in diesem Bereich“. Über Menschen in Not werde abschätzig gesprochen, „hier ist der gesellschaftliche Wertekompass ein Stück weit abhandengekommen oder verrutscht“. Mehr hat es nicht gebraucht. Obwohl die FPÖ sonst das „christliche Abendland“ retten will, reagierte sie ganz und gar nicht weihnachtlich auf die Worte des Priesters. Klubobmann Johann Gudenus: „Der Herr Landau kann es nicht einmal zu Weihnachten lassen, sein Geschäftsmodell auf Kosten der Steuerzahler voranzutreiben. Menschlichkeit oder doch reine Profitgier?“ Generalsekretär Christian Hafenecker bemühte wieder einmal den Begriff „Asylindustrie“. Staatssekretärin Karoline Edtstadler bat daraufhin „um eine Abrüstung der Worte und die Rückkehr zur Sachlichkeit“, aber nicht nur in Richtung von Gudenus, sondern auch von Landau. Die empörte Kritik von Opposition und Zivilgesellschaft ließ nicht lange auf sich warten. Kardinal Christoph Schönborn stellte sich hinter Landau und wunderte sich über Gudenus, der sich als Vertreter einer Partei, die sich selbst als Vertreter der ärmeren Bevölkerung sehe, „hier offensichtlich in der Wortwahl sehr vergriffen hat.“ Christian Konrad richtete aus: „Die FPÖ verhält sich wie Rotzbuben. Rotzbuben wissen nämlich meist nicht, wovon sie reden, und haben keine Ahnung vom Leben.“ Regierungskoordinator Norbert Hofer besann sich spät, aber doch auf die vielfältigen Dienste der Caritas, die letztlich auch FPÖ-Wählern zugutekommen: Die Caritas leiste „Großartiges“, meinte er.
Mehrheit auf Seiten der Caritas
Dieses Lob wird auch mit Umfragedaten zusammenhängen: Laut des Meinungsforschungsinstituts Unique research standen in dem Schlagabtausch 43 Prozent auf der Seite der Caritas, 29 Prozent waren einig mit der FPÖ, 28 Prozent blieben unentschieden. Kein Wunder: Die Zahl der KatholikInnen und KirchgängerInnen ist zwar seit Jahren rückläufig, aber die Caritas habe in der Bevölkerung nach wie vor hohes Ansehen, betont Politologe Peter Filzmaier. Er erachtet die Reaktion der FPÖ als „nicht verwunderlich“, da die FPÖ auch antiklerikale Wurzeln hat. „Das eigentlich verwunderliche Phänomen ist die ÖVP als christdemokratische Partei“, so Filzmaier. Bundeskanzler Sebastian Kurz betonte zu Jahresbeginn in der ORF-Pressestunde zwar, dass er von Gudenus’ Aussagen nichts halte und die aggressive Wortwahl ablehne. Allerdings findet er auch die Aussagen Landaus zur Mindestsicherung nicht sinnvoll. ÖVP-Politiker Andreas Khol kritisierte Vielfältige Dienstleistungen, vom Arbeitsprojekt Tagwerk über Geriatrie bis zum Hospiz. 50.000 ehrenamtliche MitarbeiterInnen helfen. Landau ebenfalls und bezeichnete seine Aussage, wonach nun nach den Plänen der Regierung eine Mutter etwa ab dem dritten Kind nur mehr 1,43 Euro pro Tag zur Verfügung hätte um dieses Kind ernähren, kleiden und ihm Wohnraum bieten zu können, als unrichtig und als „Diskussionsbeitrag enttäuschend“. Er verweist darauf, dass christliche Soziallehre Solidarität bedeute, aber auch Gerechtigkeit im Verhältnis zu Arbeitenden und Subsidiarität: Es müsse Hilfe zur Selbsthilfe geleistet werden, nicht mehr. Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer forderte ebenfalls im Standard, dass sich jene, die unter dem Schlagwort „christlich-sozial“ von der ÖVP die Umsetzung der „reinen religiösen Lehre“ erwarten würden, „um ein besseres Verständnis der historisch erkämpften Trennung von Politik und Religion bemühen“ sollten. Das sei „eine Errungenschaft unserer liberalen Demokratie“. Da irrt Mahrer, denn eine Errungenschaft ist genauer gesagt die Trennung von Kirche und Staat. Eine Trennung von Politik und Religion ist „schlichtweg irreal“, erklärt Filzmaier. „Wir haben eine institutionelle Trennung von Staat und Kirche, die aber auch nicht durchgängig ist, wenn man etwa an den Religionsunterricht in staatlichen Schulen denkt. Aber eine Trennung von Religion und Politik anzustreben, ist ähnlich unlogisch wie eine Trennung von Politik und Ideologie. Jede Partei und jeder Politiker hat einen Grundkatalog von Werten, der das politische Handeln bestimmt und entscheidend prägt. Die ÖVP ist auch eine christlich-orientierte Partei, die Kirche hat zwar einen zunehmend geringeren Stellen-wert, aber diese Entwicklung hat schon vor Jahrzehnten begonnen. Nun zu sagen, man sei nicht mehr nur christlich-sozial verwundert mich sehr, denn gleichzeitig spielen diese Werte etwa bei Familienthemen sehr wohl eine Rolle.“
Beitrag nicht zu unterschätzen
Dass die Kritik an der Caritas von ÖVPVertreterInnen nicht abgefedert wurde, hat auch mit der politischen Lage zu tun: Die Regierung plant die Flüchtlingsbetreuung in eine staatliche Bundesagentur zu übertragen, diese Aufgabe den NGOs also zu entziehen. Um dieses Ansinnen politisch durchzusetzen ist es strategisch hilfreich das Image der NGOs anzupatzen. Zudem schwächelt die Opposition: Die Grünen sind weg vom Fenster, die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner glänzt durch Unsichtbarkeit, einzig die Neos sind wahrnehmbar. So sind im Grunde NGOs wie die Caritas derzeit die schärfsten Kritiker der Regierungspolitik, und als kritische Stimme unangenehm. Filzmaier: „Doch solche NGOs haben eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Sie vertreten Positionen und erbringen Dienstleistungen, die nicht den eigenen Leuten helfen, sondern armen Menschen oder Flüchtlingen. Während die Vereinigung der Autohändler die Interessen der Händler und auch Gewerkschaften oder Kammern Interessen ihrer Mitglieder vertreten, ist das bei der Caritas anders. Deren Einsatz für jene, die sich nicht selbst helfen können, ist notwendig, sonst funktioniert das demokratische System nicht.“ Auch Ursula Frohner, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, betont: „Unsere Zivilgesellschaft kann nicht ohne NGOs funktionieren, insbesondere dann, wenn auch ein konkreter staatlicher Auftrag erteilt wird bestimmte Aufgaben zu übernehmen. Der Staat stellt dafür gewisse finanzielle Grundlagen zur Verfügung. Wir sind dazu aufgerufen, die Mittelverwendung sorgfältig darzustellen. Es gibt natürlich immer wieder Vorkommnisse, wo die Transparenz nicht eingehalten wird, aber wenn die Transparenz der Mittel gegeben ist, dann halte ich gar nichts davon NGOs auf Verdacht hin zu desavouieren. Die Bedeutung dieser Organisationen ist gerade im Pflegebereich nicht zu unterschätzen. Zudem gibt es eine gesamtgesellschaftliche Erwartungshaltung an NGOs viele soziale Aufgaben zu übernehmen.“
Ehrenamtlich engagiert
Diskreditiert wird die Caritas als „Asylindustrie“, doch nicht nur die FPÖ zeichnet so ein Bild, sondern auch Medien: Die Tageszeitung Kurier schrieb 2015 über den „Konzern Caritas“, das „Großunternehmen der Nächstenliebe“ und von einem „Geschäftsmodell“. Eine Non-Profit-Organisation ist per Definition nicht gewinnorientiert. Das „Geschäftsmodell“ fußt auf Spenden und auch entscheidend auf staatlicher Unterstützung, weil die Caritas staatliche Aufgaben übernimmt. Dafür erhielt die Organisation laut dem Jahresbericht 2017 neben 68 Millionen Euro an privaten Spenden rund 570 Millionen Euro als Entgelt für Dienstleistung aus öffentlichen Mitteln und rund 100 Millionen Subventionen aus der öffentlichen Hand und Kirchenbeträgen. Die Caritas selbst verweist auf die Tatsache, eine gemeinnützige Hilfsorganisation und Teil der Kirche zu sein. Gemeinnützigkeit ist in Österreich gesetzlich geregelt und bedeutet, dass keine eigennützigen Ziele und keine Profite, sondern Ziele im Interesse der Allgemeinheit verfolgt werden. Sollten in bestimmten Fällen doch Mittel überbleiben, werden diese zum überwiegenden Teil für zukünftige Hilfsprojekte verwendet, heißt es von Seiten der Caritas. Einem Konzern würde man auch nichts spenden. Und auch wenn die Zahl der angestellten Mitarbeiter von 16.109 an eine Konzerngröße denken lassen, passen die rund 50.000 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen nicht recht in diese Schublade. Darauf verweist auch Frohner: „Natürlich arbeiten Caritas und Rotes Kreuz wie Unternehmen mit vielen Mitarbeitern und haben auch eine dementsprechende Struktur, aber es werden auch viele private Ressourcen durch ehrenamtliche Mitarbeiter investiert, was es bei normalen Unternehmen in dem Ausmaß nicht gibt.“ Einer NGO „Profitgier“ vorzuwerfen, von „Geschäftsmodell“ oder „Asylindustrie“ zu sprechen ist perfi-de, denn bei solchen Vorwürfen bleibt auch dann, wenn man sich dagegen wehrt, etwas im Raum stehen und gleichzeitig ist es absurd, denn schließlich gibt es keine Gewinnausschüttung oder persönliche Bereicherung. Landau etwa ist bei der Erzdiözese als Priester angestellt und arbeitet als Caritas-Präsident ehrenamtlich. Doch diese Tonart verunmöglicht eine sachliche Diskussion mit rationalen Argumenten. Der Diskurs bleibt auf einer emotionalen Ebene. Das sei auch so erwünscht. „Solche Vorwürfe zu erheben, ist in niederen Absichten begründet. Das betreibt die FPÖ schon lange, strategisch mit einer gewissen Wirkung“, erklärt Politologe Filzmaier. Die Caritas übt immer wieder Kritik, unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation. „Die Regierung hat den Blickkontakt zur Not verloren“, erklärte Landau bereits 2013. „Wer eine Neiddebatte auf dem Rücken der Schwächsten führe, der hat von der Wirklichkeit der Betroffenen keine Ahnung.“ Vor sechs Jahren war bekanntlich eine rot-schwarze Regierung mit Kanzler Werner Faymann im Amt. Zur jüngsten Debatte will kein Caritas-Vertreter mehr was sagen. Vielmehr will man zeigen was man tagtäglich tut, vor allem im Pflegebereich, wo der größte Ressourceneinsatz stattfindet. In sieben Bundesländern werden in 47 Senioren- und Pflegeeinrichtungen 4.680 Personen betreut. 2,1 Millionen Einsatzstunden wurden 2017 im mobilen Dienst geleistet. Derzeit gibt es rund 450.000 Pflegebedürftige, Schätzungen zufolge wird die Zahl bis 2050 auf 750.000 steigen. Der Staat wird die Caritas wohl noch mehr benötigen als bisher. Zu glauben Angehörige - zumeist Frauen - könnten alles abfedern, ist falsch, so Frohner. Denn: „Nicht alle haben familiäre Strukturen, auf die sie zurückgreifen können. Zudem nimmt die Zahl pflegender Angehöriger generell ab, die geburtenstarken Jahrgänge stehen uns nicht mehr zur Verfügung.“ Genau hier würden NGOs eine sehr wichtige Funktion erfüllen. Der zweitgrößte Bereich ist die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, wo jährlich rund 7.000 Menschen betreut werden. 2017 war der drittgrößte Bereich Flucht, allerdings sind die Aufwendungen in diesem Bereich rückläufig, weil weniger Flüchtlinge nach Österreich kommen, zudem wurde die Finanzierung für Integrationsprojekte gekürzt. Die Einrichtungen der Caritas reichen von Hospiz, Mutter-Kind- Häusern, Kinderbetreuung, Schulen, Lerncafes und Beratungsstellen, sie kümmert sich um Langzeitarbeitslose, Obdachlose, Drogensüchtige. Betont wird: Alle werden von der Caritas betreut, egal welcher Herkunft, Religion und Weltanschauung. Alle, auch FPÖ-Funktionäre und FPÖ-Wähler.
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