
Von Gutmenschen und Putin-Verstehern
Die Art und Weise, wie wir Menschen verunglimpfen und beleidigen wollen, die Worte, die wir wählen, sagen viel über den Zustand unserer Gesellschaft aus.
Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Vor ein paar Jahren stand ich im Bus neben einer Gruppe junger Burschen, wahrscheinlich Klassenkameraden, höchstens vierzehn Jahre alt. Sie zogen einander auf. Mir schien aber, dass die Burschen freundschaftlich miteinander verbunden waren. Irgendwann entspann sich ein Dialog zwischen zwei der Jugendlichen. Jedes Mal, wenn der eine dem anderen etwas vorhielt, antwortete dieser mit: „Deine Mutter.“ Nachdem das mehrmals so hin und her ging, fragte ich freundlich, warum es denn immer ausgerechnet „Die Mutter“ sein müsse. Die Burschen lachten verlegen. Meine Intervention hatte Erfolg: Der Bursche, der seinen Freund mit den Worten „Deine Mutter“ zur Weißglut treiben wollte, erwiderte fortan nur mehr mit „dein Vater“. Natürlich sagen uns die Worte, die wir verwenden, um Menschen zu beleidigen, viel über den Zustand unserer Gesellschaft. Nehmen wir das Wort „Gutmensch“, das vor allem für Menschen links der Mitte angewandt wird. Damit sind Menschen gemeint, denen man einen übertriebenen Wunsch „gut zu sein“ nachsagt, die moralisieren, Dogmen aufstellen und keinen Widerspruch zulassen. Angeprangert wird mit dem Wort aber nicht ein fundamentalistischer Blick auf die Welt, sondern das Streben nach dem richtigen, guten, fairen Handeln wird lächerlich gemacht. Und was ist mit dem Putin-Versteher, mit dem viele Menschen rechts der Mitte bedacht werden? Gemeint sind damit Menschen, die das kriegerische Handeln des russischen Machthabers Wladimir Putin verteidigen, seinen Krieg relativieren, Position für ihn beziehen. Der Begriff des „Putin-Verstehers“ problematisiert aber nicht das Parteiergreifen für den Despoten, sondern die Fähigkeit, die Beweggründe dieses Politikers zu begreifen, ja zu „verstehen“. Das sind keine Spitzfindigkeiten, die deutsche Sprache ist wunderschön und präzise und wir sollten sagen, was wir meinen. Frauen, die als Waffe benutzt werden, um Männer zu entehren? Die Pervertierung des Strebens danach, ein guter Mensch zu sein? Die Geringschätzung der Bedeutung, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können? Es sind die Zeichen unserer Zeit.
Clara Akinyosoye ist ORF-Journalistin und im Vorstand des Frauennetzwerks Medien.
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