„Wenn Theater nicht politisch wäre, würde ich es nicht machen“
Wie sieht die eigene Stadt durch die Augen jener aus, die hier mit dem Gefühl der Fremde und des Verlusts von Identität leben? Die Performance-Künstlerin Stefanie Sourial erzählt davon in „City of Diaspora“. Zu sehen Anfang 2022 im „brut“. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Beverly Mtui, Fotos: Abiona Esther Ojo
Schon als Kind bin ich in die Performance- und Theaterszene hineingewachsen“, erzählt Stefanie Sourial im Gespräch. Aufgewachsen in Mautern an der Donau hatte sie schon früh das Gefühl, aufgrund ihrer Queerness, Non-Binärität und ihres diasporischen Hintergrunds nirgendswo reinzupassen. Ihre Kreativität hat ihr aber einen Weg geebnet, der sie nicht nur aufgefangen, sondern gestärkt hat. Ein Ansatz, den sie seither in ihrer Kunst verfolgt.
Welchen Einfluss hat Ihr persönlicher Lebensweg auf Geschichten wie beispielsweise die von „City of Diaspora“?
„City of Diaspora“ ist ein Stück, das sehr viel mit Science-Fiction zu tun hat. Ich liebe Science-Fiction und das Fantastische, da das für mich etwas Befreiendes, aber auch Zukunftsorientiertes bedeutet. Solche Geschichten sind oft so gewaltvoll und mit sehr viel Schmerz verbunden, und was mich an diesen Phantasmen interessiert, ist die Frage: Was kannst du daraus nehmen und wie kannst du damit vielleicht auch etwas Ermächtigendes schaffen? Diese Geschichten, die wir alle kennen, die sehr eurozentristisch sind, waren in meinen Anfängen auch sehr schmerzhaft für mich. Ich habe immer schon gespürt, auch als Kind, dass da irgendetwas nicht stimmt. Das sind Dinge, die habe ich erst lange lernen müssen zu verstehen. Wie ich dann älter war, habe ich daher auch nicht gewusst, wo mein Platz im Theater ist. Ich habe erst im Nachhinein verstanden, wo ich eigentlich hin will und was ich nicht will. Daher schreibe ich auch lieber die Geschichten selbst.
Pyramiden und Riesenrad: „City of Diaspora“ setzt gemachte Erfahrungen auch mit der eigenen Geschichte in Verbindung.
Was bedeutet Geschichte(n) für Sie?
Ich bin der festen Überzeugung, dass ich und wir alle Geschichte neu schreiben können, indem wir sie einfach anders erzählen. Ich glaube, dass man so auch Geschichte verändern kann. Das versuche ich im Theater auch. Mir ist wichtig, mit dem Reproduzieren von Geschichte(n) und auch damit, sie in Szene und in Verbindung mit der eigenen Geschichte zu setzen, dass das ein Plateau bildet, auf dem sich auch andere Menschen finden und Erfahrungen mitnehmen können. Das ist der rote Faden meiner Arbeit, sei es im Theater oder beim Unterrichten.
Die künstlerische und performative Ebene ist mir natürlich trotzdem sehr wichtig. Dass alles gut geprobt wird, dass alles Theater schreit, mit Licht und Nebel, und dass man sich trotzdem in einem fantastischen Space verlieren und der Fantasie freien Lauf lassen kann. Diese Distanz zur Realität schafft auch immer so eine gesunde Distanz zum eigenen Schmerz. In „City of Diaspora“ ist es aber so, dass wir keine menschlichen Charaktere auf der Bühne darstellen. Das war mir sehr wichtig, damit wir auch diese Distanz zu den Personen haben, die wir tatsächlich sind. So ist es auch leichter, über die eigene Erfahrung zu sprechen. Ich finde, je stärker dieses Spektrum erweitert werden kann, desto mehr Menschen können sich darin finden.
Das Gefühl, sich in einer Zwischenwelt zu befinden, wird auf der Bühne sichtbar gemacht.
Welche Geschichten werden in City of Diaspora erzählt?
Die Idee entstand natürlich auch aus meiner eigenen Erfahrung. Durch die fehlende Zugehörigkeit, die ich verspürt habe, und natürlich auch durch die Erfahrungswerte von anderen Menschen mit diasporischem Hintergrund. Dieses Gefühl, sich in einer Zwischenwelt zu befinden; weder da noch dort zugehörig zu sein. Ich habe mir dann aber gedacht, dass eine Zwischenwelt doch auch eine Welt ist, die für sich steht, und auf einer Bühne sichtbar gemacht werden sollte. Um zu zeigen, wie cool sie sein kann, wie grell, farbenfroh und wie stark. Damit andere Leute, die das nicht kennen, empfinden können, wie es ist, in einer Zwischenwelt zu sein. In erster Linie möchte ich bei Projekten mit Menschen zusammenarbeiten, die nicht direkt aus der Performance kommen, die aber Geschichten gerne erzählen und zwar so erzählen, dass sie andere Menschen berühren. „City of Diaspora“ ist somit auch mit den Mitwirkenden gewachsen.
Natürlich ist das ein Risiko, weil es immer leichter ist, mit einer Idee zu kommen und das dann quasi wie auf einer Liste Punkt für Punkt abzuarbeiten. Da es aber in „City of Diaspora“ sehr wohl um viel Persönliches geht, will ich dem dann keine vorgegebene Schablone vorhalten, durch die die Mitwirkenden ihre eigene Geschichte vielleicht nach hinten stellen müssen. In welche Richtung das alles geht, das weiß ich am Anfang nicht. Wichtig ist mir, diese Zwischenwelt, diese Spannung zwischen Herkunfts- und Aufenthaltsort, zu finden und nach außen zu tragen.
Stefanie Sourial (im Bild) bringt die Erfahrungen anderer Künstler*innen auf die Bühne.
Welche Rolle spielt Wien als City of Diaspora?
Die Mitwirkenden sind alle Menschen, die einen diasporischen Hintergrund haben, aber in Wien leben. Natürlich haben wir in unseren Gesprächen sehr viel darüber geredet, wie es ist, mit dieser Erfahrung in Wien zu leben. Wir haben das ganz oft am Anfang benannt, aber das hat sich nicht richtig angefühlt, daher haben wir es anders veranschaulicht: in der Musik, in den Visuals und in vielen anderen Elementen. Alle Menschen, die mitgewirkt haben, leben mit unterschiedlicher Herkunft in Wien, am Aufenthaltsort Wien, und daher ist Wien unsere Diaspora.
Ist Theater weiterhin ein Instrument, um gesellschaftliche Veränderung anzustreben?
Auf jeden Fall. Wenn Theater nicht politisch wäre, würde ich es nicht machen.
Stefanie Sourial, der Name klingt nach einer Verfremdung von surreal, doch ihre Geschichten geben Realitäten in den unterschiedlichsten Formen wieder. Welche Geschichte steckt hinter diesem Namen?
Keine, das ist wirklich mein Nachname.
Stefanie lacht und so verbleiben wir. Mit einem Lächeln auf den Lippen, mit einer Neugierde für Geschichten, die um uns herum passieren, und die wir selbst schaffen, und mit der Bereitschaft diese Geschichten zu hören, verstehen zu lernen und für sich selbst sprechen zu lassen.
Stefanie Sourial arbeitet als Performancekünstlerin und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien. 2001/02 leitete sie Theaterworkshops mit obdachlosen Jugendlichen in Kairo, Ägypten.
Sie war Teil des ersten Wiener queer-feministischen Burlesk-Kollektivs Club Burlesque Brutal und tritt seit 2017 regelmäßig beim PCCC* – Political Correct Comedy Club mit antirassistischen und queeren Stand-up-Skits auf.
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