
Wo der junge Kurz recht hatte
Seit Beginn der Fluchtbewegung aus der Ukraine erleben wir in Österreich eine Welle der Hilfsbereitschaft, Willkommenskultur in Reinform. Es war seinerzeit Sebastian Kurz, der sie einforderte – mit Recht. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Clara Akinyosoye sagt es nicht durch die Blume. Eine Kolumne über Diversität und Migration
Der damalige Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz (ÖVP) brach im Herbst 2012 zu einer Kanada- Reise auf. Das Einwanderungsland galt für viele als Best-Practice- Beispiel für Integrationspolitik. Der Staat sieht Integration nicht als individuelle Bringschuld von Flüchtenden und Migrantinnen und Migranten, sondern erachtet das Ermöglichen von Integration als staatliche Aufgabe. Kurz trommelte nach seiner Reise den Begriff Willkommenskultur. Er stellte klar: Österreich habe von eben dieser zu wenig, Österreich müsse an einer Willkommenskultur arbeiten.
2015 erlebten wir sie dann, als zigtausende Geflüchtete auf dem Wiener Hauptbahnhof ankamen, nachdem sie in Ungarn, gestrandet auf dem Bahnhof Keleti, eine beschämend unmenschliche Behandlung erfahren hatten. Um ihnen zu zeigen, dass sie in Österreich willkommen sind, klatschten Wienerinnen und Wiener bei der Ankunft der Flüchtlinge. Selten sah man so herzlich ausgedrückte Willkommenskultur. Dass sich in Österreich viele Bundesländer und Gemeinden allerdings gegen die Aufnahme von Geflüchteten wehrten, zeugte wiederum nicht von strukturell stark ausgeprägter Willkommenskultur. Und als die Stimmung Flüchtlingen gegenüber 2016 umschlug, wurden die Helferinnen und Helfer von Rechtsaußen nur mehr despektierlich als „Willkommensklatscher“ abqualifiziert. Sebastian Kurz predigte nun eine unbedingte Abkehr von der, wie er sie nunmehr nannte: „Einladungspolitik“, die Mehrheit stimmte ihm zu. Mit dem Krieg in der Ukraine erlebt die Willkommenskultur in der gesamten EU und in Österreich eine neue Hochphase. Menschen nehmen ukrainische Flüchtlinge zu Hause auf, sammeln Spenden, helfen beim Erlernen der Sprache. Und wir sehen eine in Gesetze und Verordnungen gegossene Willkommenskultur: Sonderstatus für ukrainische Geflüchtete, Erleichterungen für die Anerkennung ihrer Bildungsabschlüsse. Gut, dass sie wieder da ist, die Willkommenskultur. Wir brauchen sie, damit hatte der junge Kurz recht. Ich denke aber, dass eine Kultur, die Aufnahme und Anerkennung von Menschen von ihrer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder dem Geschlecht abhängig macht, eine zweifelhafte Kultur ist. Das muss auch gesagt sein. Vielleicht können wir daran noch arbeiten.
Clara Akinyosoye ist Journalistin bei orf.at und Ex-Chefredakteurin von M-Media.
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