Wollen wir es wirklich wissen?
Manche meinen, die Demokratie müsse eine FPÖ-Regierungsbeteiligung schon aushalten. Doch die Liste der Schäden, die sie – mit und ohne Regierungsverantwortung – bereits angerichtet hat, ist lang.
Text: Olivera Stajić.
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Es scheint derzeit (Stand 31. Oktober 2024), als würde die nächste österreichische Regierung ohne die Beteiligung der FPÖ zustande kommen. Im Vorfeld gab es hitzige Diskussionen, wie und ob eine FPÖ-Regierungsbeteiligung unserer Demokratie schaden würde. Das müsse eine Demokratie schon aushalten, lautete ein gängiges Argument. Diese Forderung kann man nur dann für valide halten, wenn man die letzten Jahrzehnte verschlafen hat. Immerhin mischt die Partei seit Anfang der 1990er ganz vorne in der österreichischen Politik mit und war bisher an zwei Regierungen beteiligt. Die Liste der Schäden, die sie der Demokratie bereits zugefügt hat, ist lang.
Auch durch Beschimpfungen und Herabwürdigungen wird die inhaltliche Diskussion als elementarer Bestandteil der Demokratie untergraben.
Überall Feinde
Die FPÖ ist eine rechtspopulistische Partei, deren rechter Rand personell und ideologisch als rechtsradikal bezeichnet werden kann. Als solche gehört es zu ihrer DNA, antidemokratische Ideen zu verfolgen und ihre Rhetorik darauf zu bauen. Eines der besonders gefährlichen Merkmale einer rechtspopulistischen Partei beherrscht der derzeitige FPÖ-Chef Herbert Kickl ausgezeichnet: Andere Parteien und ihr Personal werden nicht bloß als politische Konkurrenz, sondern dezidiert als Feinde angesehen und systematisch diffamiert. Das erfolgt zunächst durch verbale Angriffe.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird als „Mumie in der Hofburg“ oder als „senil“ bezeichnet. Die Umweltministerin Leonore Gewessler nannte er „Hexe“, den ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker einen „geistigen Einzeller“. Mit diesen verbalen Ausfällen bewirkt Kickl zweierlei: Erstens festigt er das Prinzip „Wir gegen alle“ und macht sich so bei seinem Publikum glaubwürdiger. Wenn man schimpft und Personen beleidigt, spart man sich außerdem das inhaltliche Argumentieren. Damit wird die inhaltliche Diskussion als elementarer Bestandteil einer funktionierenden Demokratie untergraben.
Diskursverschiebung
Neben der Verrohrung der Sprache gehört auch die gezielte Diskursverschiebung zum festen Merkmal der Rechtspopulisten. Selbst wenn die FPÖ nicht in der nächsten Regierung sitzt, hat sie thematisch bereits viel gewonnen. Einer dieser Siege ist die erfolgreiche Verschiebung der Diskussionslinie zugunsten eigener, radikaler Ideen. Die Art und Weise, wie in Österreich in politischen und medialen Sphären etwa über Minderheiten, Migration oder das Gendern gesprochen wird, hat sich in den letzten Jahren merklich geändert. Der Ton ist rauer geworden, die Feindbilder sind drastischer gezeichnet, der Kulturkampf und die ideologischen Vorbehalte verdrängen sachliche Debatten.
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Der Ton ist rauer geworden, die Feindbilder drastischer.
All das verdrängt sachliche Debatten.
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Kulturkampf
Längst setzt die FPÖ also auch in Opposition eigene Themen, andere politische Parteien vor sich hertreibend. Migration hat den vergangenen, an Inhalten armen Wahlkampf beherrscht, und nicht etwa die Inflation oder die Klimakatastrophe. Dabei wären diese Themen, beziehungsweise die Folgen dieser aktuellen Entwicklungen für „den kleinen Mann“, den die FPÖ zu vertreten behauptet, durchaus von Interesse. Schließlich sind es die wirtschaftlich Schwächeren, die unter der Teuerung am meisten leiden, beziehungsweise die Folgen der klimatischen Veränderungen am stärksten spüren werden. Doch stattdessen setzt die FPÖ stets auf Kulturkampf. „Nationalistische Rhetorik, Homophobie, ideologische Besessenheit mit Flüchtlingen und der Gender-Perspektive sowie andere Parolen, die Minderheiten ausschließen“ – so fassen die polnischen Politolog:innen Piotr Żuk und Anna Pacześniak die „kulturellen Instrumente“ zusammen, derer sich Rechtspopulist:innen weltweit bedienen. Fast alle diese Themen gehören auch zum festen Repertoire der FPÖ.
Mediale Echokammer
Zum demokratieschädigenden Kulturkampf der Rechtspopulisten gehört außerdem eine spezifische Medienstrategie. Wie diese aussieht, fasst der Politikberater Johannes Hillje für die Bundeszentrale für politische Bildung zusammen: „Die Propaganda 4.0 besteht aus vier Elementen. Der Delegitimierung der klassischen Medien, der Schaffung digitaler Alternativmedien, der Bildung einer kollektiven Identität mit Hilfe dieser eigenen Digitalkanäle sowie ein zunächst schizophren anmutendes, aber in Wahrheit strategisch-instrumentelles Verhältnis zu journalistischen Massenmedien.“ Ähnlich wie es die PiS in Polen getan hat, es Viktor Orbán in Ungarn und Aleksandar Vučić in Serbien sehr erfolgreich an die Spitze getrieben haben, arbeitet auch die FPÖ seit Jahren stetig an der exakt gleichen Medienstrategie. Die Rechtspopulist:innen entziehen sich systematisch der Medienkritik, füttern ihre Anhänger:innen mit parteiischen Inhalten und diffamieren demokratische und freie Medien. Das ist „im Kern demokratiefeindlich“, sagt Hillje, denn Medien als „vierte Gewalt“ sind eine wichtige Kontrollinstanz der Demokratie. Die Parteisympathisant:innen der Rechtspopulist:innen begeben sich aber in eine antidemokratische mediale Echokammer, in der es keine Kritik und Gegenstimme gibt, sondern lediglich parteiische und ideologisch gefärbte Inhalte. Demokratische und freie Medien verlieren unter den Anhänger:innen parallel an Glaubwürdigkeit. Auch in Österreich. Das zeigen Daten einer unmittelbar vor der letzten Nationalratswahl vom Gallup-Institut und dem Medienhaus Wien durchgeführten Onlinebefragung. Während zwei Drittel der Befragten meinten, die Medien berichten grundsätzlich fair und objektiv, sind es unter FPÖ-Sympathisant:innen lediglich 44 Prozent.
Regierung Kurz I
Die Liste der strategischen Schläge mit Langzeitwirkung, die die FPÖ gegen die Demokratie in Österreich bereits erfolgreich ausgeführt hat, ohne dabei in Regierungsverantwortung zu sein, ist lang. Was passiert, wenn rechtsextreme Populist:innen mitregieren, konnte Österreich in der Regierung Kurz I beobachten. Darunter waren regelmäßig demokratiefeindliche Aussagen, Abgeordnete in NS-verherrlichenden Facebook-Gruppen oder enge personelle Verflechtungen der FPÖ mit den rechtsextremen Identitären. Was den Institutionen droht, wenn ein rechter Populist wie Kickl Innenminister wird, hat man dann in der BVT-Affäre gesehen. Wollen wir wirklich wissen, wie ein Herbert Kickl als Kanzler agiert und ob das unsere Demokratie aushält?
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Parteisympathisant:innen sind in einer antidemokratischen
medialen Echokammer ohne Kritik und Gegenstimme.
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Wohlgemerkt, jener Kickl, der kürzlich mit Orbán eine sogenannte „Wiener Erklärung“ unterzeichnet hat. Darin bekräftigen Ungarn und Österreich „ihre nachbarschaftliche Freundschaft sowie ihre geschichtlich und kulturell bedingte unerschütterliche Verbundenheit“. In dem Dokument steht auch, dass Brüssel an „politischer Bedeutung verlieren“ solle und „dafür direkte Demokratie und Parlamentarismus in den Heimatstaaten gestärkt werden“. In diesem Dokument, das Kickl im Namen Österreichs unterzeichnet hat, steht also schwarz auf weiß, wie sich eine FPÖ unter Kickl die Zukunft des Landes und der Demokratie vorstellt. Bisher agiert die FPÖ nach dem Playbook aller rechtsextremen Populist:innen. Die nächsten und letzten Schritte in diesem bereits oft durchgespielten Szenario sind die systematische Aushöhlung demokratischer Institutionen und das Schaffen einer parteinahen wirtschaftlichen Elite, die jeden Bereich des öffentlichen Lebens kontrolliert und Ressourcen des Landes zugunsten des engsten Machtkreises ausbeutet. Parallel werden Wahlen manipuliert und politische Gegner eliminiert.
Wie Staaten aussehen, die dieses Endstadium erreicht haben, kann man in unterschiedlichen Ausprägungen in Russland, Ungarn oder Serbien sehen. Und man kann am Beispiel Polen aktuell beobachten, wie schwer sich der Rückbau der Rechtsstaatlichkeit gestaltet.
Wie viel Lob für die autoritäre und EU-feindliche Politik eines Orbán und seiner „illiberalen Demokratie“ müssen wir aus dem Mund der FPÖ-Politiker hören, um ihnen zu glauben, dass sie Österreich nach diesem Vorbild umbauen wollen?
Und umbauen werden, wenn wir sie lassen.
Olivera Stajić ist Redakteurin bei DER STANDARD und schreibt über Diskriminierung, Rassismus, Medienpolitik, Migration, Partizipation und Integration.
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