Zwischen Blendern und Panzern auf zwei Beinen
Angst ist für autoritäre Politiken ein fatal fruchtbarer Boden. Wie wir deren Grundformen begegnen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. EINE KOLUMNE VON MARTIN SCHENK, Illustration: Petja Dimitrova
Mit Sicherheit war die Welt vorher auch nicht sicher, aber jetzt sucht eine gehörige Portion Weltverunsicherung unsere Breiten heim. Angst ist aber nicht gleich Angst. Wir können Virus, Krieg, Teuerung, Klima im psychoanalytischen Sinne der Unterscheidung von Real-, Gewissens- und neurotischer Angst behandeln, wie es der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer vorschlägt. Probleme entstehen, wenn die Realangst verleugnet, die Gewissensangst lächerlich gemacht und die neurotische Angst gezielt verbreitet wird. Die Realangst wird vom Ich geprüft, das an drei Fronten kämpft: der Außenwelt, dem Über-Ich und dem Es. Die neurotische Angst sorgt sich nicht vor äußeren Gefahren, sondern vor unseren inneren und teils verbotenen Regungen. Da spielen die verdrängten Impulse eine zentrale Rolle. Die Gewissensangst, das Über-Ich, agiert mit zwei Aspekten, dem strafenden Teil, der uns Angst macht, und dem Ich-Ideal, „an dem das Ich sich misst, dem es nachstrebt“ (Sigmund Freud). Nun können wir als Panzer auf zwei Beinen durch die Welt gehen und behaupten, keine Angst zu haben. Diese „kontraphobische“ Variante verleugnet die Realangst und muss die eigene Furchtlosigkeit mächtig inszenieren. Das macht auch ein bestimmter Politikertypus. Oder wir verschauen uns in die jungen Blender, verlieben uns in einen Erlöser, der idealisiert und zu einer inneren Instanz wird, die sogar das Gewissen ersetzen kann.
Das alles ist für autoritäre Politiken ein fatal fruchtbarer Boden. Eine Gesellschaft tut uns nicht gut, „die den Menschen eine Verleugnung der Realität und permanente Verstöße gegen die Stimme ihres Gewissens aufnötigt“, argumentiert Ottomeyer. So gesehen kann Angst ein guter Ratgeber sein, aber nur, „wenn es uns gelingt, unsere neurotisch paranoiden Ängste zu reflektieren und daran zu hindern, in unserem Handeln die Oberhand zu gewinnen“.
In dieser aktuellen Tragödie sind wir im besten Fall Akteure, zumindest tragische Helden, aber sicher nicht gerne auf Dauer ohnmächtige Opfer. Wer in dieser Situation eine Perspektive zu vermitteln vermag, der beginnt, den Strudel aus Ohnmacht und Entfremdung zu durchkreuzen. Ein Anfang wäre das.
Martin Schenk ist Sozialexperte der Diakonie Österreich.
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