
Das große Spiel
Wird Schwarzblau fortgesetzt oder finden sich bislang oppositionelle Kräfte zu einer neuen Koalition? Der Politologe Anton Pelinka über die Strategien des Gamblers Kurz, eine FPÖ, die keineswegs tot ist, und eine SPÖ, die in der Migrationsfrage nicht weit von ÖVP und FPÖ steht. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunnar Landsgesell
Ist es bezeichnend, dass die Regierung nicht an internen Widersprüchen über den Umbau der Republik, sondern an einem Video gescheitert ist?
Ja, denn die internen Widersprüche waren ja gut planiert, Stichwort „Message Control“. Strache hat ab und zu einen Neonazi aus der Partei ausgeschlossen, während die Opposition etwa in der Frage der Steuerreform nicht wirklich widersprechen konnte. Aber der Sturz kam mit etwas, das mit Rechtsextremismus gar nichts zu tun hat, und zwar mit der Geldgier und Korruptionsanfälligkeit, die in diesem Video so deutlich wird.
Waren die zwei Regierungsparteien ideologisch doch weiter auseinander als sie signalisiert haben?
Das sehe ich nicht so. Die ÖVP ist keine Einheit, sie ist in ihrer Widersprüchlichkeit nur zugedeckt durch die Popularität des Kanzlers. Und die FPÖ ist erst recht keine Einheit. Im Kern gibt es rechtsextreme Gruppierungen und es gibt die Modernisierungsverlierer, die die Partei unabhängig davon wählen. Es gibt viele Überlappungen, aber keine ideologischen Unterschiede, die den Bruch erklären könnten.
Sebastian Kurz hat nun den Ruf, zweimal eine Regierung gesprengt zu haben. Aber stimmt das Bild vom Sprengmeister überhaupt? Er hat ja zuerst nicht gesagt: Genug ist genug, sondern offenbar weiterverhandelt und wollte mit der FPÖ weiterarbeiten.
Kurz betrieb vermutlich sofort Wahlkampf. Seine Strategie ist, sich als der Staatsmann zu präsentieren, der bereit war, im Interesse des Gemeinwohls weiter zu regieren, während die FPÖ das verhinderte. Das ist Teil des Images, das er sich für den Wahlkampf aufbaut. Offenkundig fallen andere Parteien darauf rein. Würde er durch einen Misstrauensantrag gestürzt, wird es heißen, die SPÖ macht mit den Freiheitlichen gemeinsame Sache. Kurz’ Message: Alle denken parteipolitisch, ich hingegen bin der Einzige, der staatspolitisch agiert.
Wird die Öffentlichkeit das durchschauen?
Unterschiedlich, aber für Kurz dürfte es wohl reichen, um seine Mehrheit auszubauen, denn die Freiheitlichen werden zwar nicht abstürzen, aber verlieren. Kurz könnte im September als großer Wahlgewinner dastehen und sich aussuchen, von wem er sich
zum Kanzler machen lässt.
Die FPÖ wird auch bei den nächsten Regierungsverhandlungen nicht auf Kickl verzichten. Hat sich Kurz für die Neuwahlen da nicht etwas verbaut?
Das ist sicher ein Problem. Das hängt davon ab, wie die FPÖ abschneiden wird. Stürzt sie von 25 auf 18 Prozent ab, wird sie sich nicht besonders anbiedern. Bei 15 oder 12 Prozent wäre sie wohl bereit, Kickl zu opfern. Kurz gilt als der große Gambler, und auch wenn die ganze Politik wie ein Spiel ist: derzeit spielen alle nach seinen Vorgaben.
Welche Rolle spielte der Bundespräsident in dieser Situation? War er so bedeutend wie in jüngster Geschichte nicht? Und wie wichtig war es nun, dass er nicht von einer der beiden Regierungsparteien nominiert wurde?
Zumindest seit dem Versuch von Thomas Klestil, die Regierung Schüssel zu verhindern, war der Bundespräsident sicherlich nicht mehr so gefragt. Was seine Unabhängigkeit betrifft: Es fiel auf, dass Kurz und Gernot Blümel den Bundespräsidenten sehr rasch und mehrmals lobten. Das war fast peinlich, wie sie die gute Zusammenarbeit lobten. Ob das stimmt oder nicht ist eine andere Frage. Dahinter steckt jedenfalls Strategie.
Zur FPÖ: Ist die FPÖ tatsächlich tot wie die Krone geschrieben hat? Immerhin hat man es mit Kickl, Hofer, Haimbuchner und Vilimsky mit ganz anderen Charakteren zu tun. Waren Partylöwe Strache und sein Leibfuchs Gudenus nicht einfach Problemfälle?
Ja, die FPÖ ist überhaupt nicht tot. Die Kronen Zeitung ist vorerst unverblümt von einem pro-türkisblauen Kurs zu einem wilden Anti-FPÖ-Kurs umgeschwenkt. Verständlich, könnte man nach dem Strache- Video sagen. Aber die FPÖ muss nun auf die Wähler schauen. Sie hat erfolgreich die Modernisierungsverlierer angesprochen, sie ist heute die größte Arbeiterpartei Österreichs. Das geht ja dadurch nicht verloren, dass Strache sich im Video als unglaublich korrupt dargestellt hat. In der Partei kommen andere nach. Aber sie ist keinesfalls tot.
Ist eine Neupositionierung der FPÖ mit Hofer denkbar? Was wird sie tun, um über ihr Kernklientel hinaus sich wieder als glaubhafter Koalitionspartner anzubieten?
Norbert Hofer ist natürlich der Good Cop der Freiheitlichen Partei, das freundliche Gesicht. Die erste Pressekonferenz nach dem Bruch mit Hofer und Kickl, dem Bad Cop, hat schon gezeigt, dass die Partei bei ihrer Wählerschaft beide bedienen muss: Jene, die das freundliche, und jene, die das unfreundliche Gesicht wollen. Dass die Minister inklusive Karin Kneissl geschlossen hinter Hofer und Kickl gestanden sind, war das Signal: Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren. Anders als 2002 fehlt diesmal der Faktor Haider: Strache wird ziemlich sicher nicht von außen die Nach-Strache-Partei zerstören wollen.
Wen wählt man, wenn man Kurz wählt? Ist er in erster Linie ein Techniker der Macht, ein Rechtspopulist mit seriösem Gesicht?
Das „Rechts“ würde ich streichen, er ist ein Populist. Wenn Herr Kurz Fragen der sozialen Umverteilung als entscheidend für den Wahlerfolg ansieht, dann verwandelt er sich in dieser Hinsicht zum Linken. Eines seiner wichtigsten Schlagworte war, „Erneuerung“, aber er hat nie gesagt, was das heißt. Damit ist er gut gefahren. Mit dieser perfekt gestylten Unverbindlichkeit hat er tolle Erfolge errungen. Er war nie erkennbar verbindlich. Der Begriff Rechtspopulist ist deshalb zu eng für ihn.
Kurz ist nach rechts gerückt in Fragen der EU oder der Migration. Könnte man in einer anderen Regierungskoalition nach den Wahlen ein anderes Gesicht erwarten?
In Fragen der Zuwanderung ist die SPÖ nicht sehr eindeutig. Die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter hat schon vor der Wahl 2017 deutlich signalisiert, dass das, was die Regierung Kurz später gemacht hat, nämlich die Quotierung, kein Tabu ist. Für die Gewerkschaft sind Ängste vor Arbeitsplatzverlust natürlich ein Thema. Insofern braucht sich Kurz nicht sehr zu bewegen. Aber die SPÖ ist auch nicht besonders entschieden für eine Vertiefung der EU eingetreten. Dafür stehen einzig die Neos. Wenn Kurz diese Partei brauchen sollte, wird er ebenfalls für die Vertiefung der EU eintreten.
Als Opposition sind in den vergangenen eineinhalb Jahren vor allem die Neos und Jetzt aufgefallen. Die SPÖ hat in diese Rolle nicht gefunden bzw. konnte den medialen Spin nicht loswerden, dass sie vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Aber was kann man von der SPÖ bei der Neuverteilung der Karten erwarten?
Sie haben es gerade gesagt, die Blase des österreichischen Journalismus hat definiert, dass Pamela Rendi-Wagner die Parteichefin nicht „kann“. Damit wurde sie punziert. Ich habe das bisher inhaltlich nicht bestätigt gesehen. Sie ist eine durchaus weltoffene Frau, die nach allen progressiven Kriterien Zukunft signalisiert. Sie ist eine vollberufstätige Mutter, hat internationale Erfahrungen, die Medien haben aber festgelegt, sie meldet sich zu wenig zu Wort. Ihr Problem ist, dass sie diese negative Zuschreibung nicht los wird. Daran ist auch Burgenlands Landeshauptmann beteiligt. Er steht schon bereit. Und natürlich spielt auch Macho-Gehabe eine Rolle, dass eine Frau in einer Partei wie der SPÖ akzeptiert wird.
Was darf sich die SPÖ von einer Zusammenarbeit mit der ÖVP versprechen? Ist es überhaupt denkbar, dass man zum Modell der Großen Koalition zurückkehrt, als wäre nichts gewesen?
Möglich ist das schon. Aber angesichts der unwahrscheinlichen Allianz zwischen den Freiheitlichen und den Sozialdemokraten, hat Kurz zunächst alles in der Hand. Wobei eine Große Koalition ohnehin obsolet erscheint, wir haben es mit drei etwa gleichgroßen Parteien zu tun. Die große Koalition ist doch ein Gespenst von Gestern. Es stimmt auch nicht, dass Österreich immer von einer Großen Koalition regiert wurde. Zwischen 1966 und 1986 hat es 20 Jahre keine gegeben. Die Große Koalition als Klotz am Bein ist doch eine sich selbst zitierende Phrase, die keiner empirischen Überprüfung standhält. Sicher ist, dass wenn Kurz mit der SPÖ koaliert, ein neuer Spin gebraucht wird: dass das keine alte Große Koalition ist, sondern etwas Neues.
Die schwarz-blaue Regierung hat vielfach und lange von Rot-Schwarz als „Stillstandsregierung“ gesprochen. Lässt sich das bestätigen?
Überhaupt nicht. Die Politik von Kurz war, alles in den eineinhalb Jahren zu blockieren, als Christian Kern Kanzler war. Deshalb müsste eine neue Große Koalition den Eindruck des Stillstandes von Anfang an vermeiden. Dafür gibt es Techniken, wie die der Junktimierung. In der Europapolitik lässt zum Beispiel die eine Partei der anderen freie Hand, und in der Sozialpolitik ist es umgekehrt. Dann geht auch etwas weiter. Aber das ist keine Frage der Realität, sondern der Wahrnehmung. Ich bin nicht sicher, ob die Regierung Kurz in 20 Jahren als so innovativ gesehen wird.
Wie würden Sie sagen hat die schwarzblaue Koalition das Land strukturell verändert? Der Umbau der Institutionen, die Schwächung der Sozialpartnerschaft, das alles wurde ja unterbrochen.
Strukturell wenig, atmosphärisch vielleicht mehr. Aber ich würde nicht von einer dauerhaften Veränderung sprechen. Es gibt immer noch drei sozialdemokratische Landeshauptleute. Die Arbeitnehmervertretung ist zwar zurückgedrängt, das kann aber eine annehmbare Forderung der SPÖ sein, das rückgängig zu machen. Das sind keine dauerhaften Einschnitte. Atmosphärisch hat es aber eine tiefe Polarisierung gegeben, die an die Zeit zwischen 2000 und 2002 erinnert. Die Leute, die an den Donnerstagsdemos gegen die Regierung teilnehmen, vertreten nicht den Mainstream der SPÖ, die etwa in Zuwanderungsfragen nicht weit entfernt von der ÖVP und auch nicht von der FPÖ ist. Das hat mit ihrer Wählerschaft zu tun. Überhaupt ist die Mehrheit der Gesellschaft für Anti-Zuwanderungsparolen ansprechbar. Kickl hat nur ausgenützt, was an Stimmung vorhanden ist. Solange das so ist, ist man von einer neuen Migrationspolitik weit entfernt. Die kann übrigens nur eine gesamteuropäische sein, alles andere macht keinen Sinn.
Das vorläufige Ende dieser Koalition wird in Europa teils auch als Beleg dafür interpretiert, dass eine Koalition mit Rechtspopulisten nicht möglich ist. Ist das Wunschdenken?
Ich möchte keine generellen Schlussfolgerungen ziehen. Rechtspopulisten regieren und Italien und Polen und Ungarn, Rechtspoulisten kooperieren indirekt mit Regierungen in Dänemark und Schweden. Allgemein gesprochen ist der Graben zwischen dem Rechtspopulismus und dem „Mainstream“ nicht sehr tief.
Zur Person: Anton Pelinka, geboren 1941 in Wien, ist Jurist und einer der bekanntesten Politologen des Landes. Er hielt Professuren an mehreren internationalen Universitäten, darunter an der Stanford University, an der University of Michigan, Ann Arbor, in Neu Delhi, New Orleans und Innsbruck. Er hat eine Reihe von Publikationen veröffentlicht, u.a. „Kreisky – Haider. Bruchlinien österreichischer Identitäten (Co-Autor, Braumüller Verlag 2008). Seit 2018 ist er Mitglied des Universitätsrates der Uni Innsbruck.
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