
Das letzte soziale Auffangnetz gehört neu gestrickt
ANDERE ÜBER. Der Zugang zur Sozialhilfe ist besonders für Frauen und Menschen mit Behinderung schwer. Zeit, den Missstand aufzuheben.
Kommentar: Ronya Alev.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Beginnen wir mit der Guten: Österreich hat einen gut ausgebauten Sozialstaat. Doch damit gleich zur Schlechten: Genau das allerletzte Auffangnetz, das für all jene Menschen da sein sollte, die nicht aus eigenen Mitteln ihre Grundbedürfnisse decken können, funktioniert nicht. Es ist löchrig – und gehört neu gestrickt.
Dieses Netz heißt in Österreich Sozialhilfe, sie gibt es in der aktuellen Form seit rund fünf Jahren. Doch diverse Hürden – entweder im Gesetz schon verankert oder in der praktischen Umsetzung – erschweren vielen, insbesondere Frauen und Menschen mit Behinderungen, den Zugang dazu. Dazu kommt, dass manche Menschen in Österreich bewusst durch das Gesetz von der Sozialhilfe ausgeschlossen sind und es einer Lotterie gleicht, da je nach Bundesland, in welchem man um diese ansucht, unterschiedlich hohe Sozialhilfe ausgezahlt wird. Je nach Bundesland variieren zudem die Kinderrichtsätze sowie die Definitionen für Alleinerzieher:innen. Gerade der Aspekt der Zugänglichkeit ist für das Recht auf soziale Sicherheit – zu dem sich Österreich verpflichtet hat – wesentlich. Doch viel zu stark herrscht bei Politiker:innen, aber auch in der Gesellschaft, die Haltung, es handle sich um Almosen. Anstatt Menschen ihre Rechte zu gewähren, werden sie zu Bittsteller:innen gemacht. In Folge verzichten viele darauf, Sozialhilfe zu beantragen – auch wenn sie ihnen zustehen würde. Dazu kommen in der Antragstellung Anforderungen, die besonders für Frauen teilweise kaum bewältigbar sind. Frauen, das wissen wir aus zahlreichen Studien und Statistiken, sind einem höheren Armutsrisiko ausgesetzt. Beziehen sie Sozialhilfe, müssen sie Kinderbetreuungspflichten für Kinder über drei Jahre mit der Arbeitswilligkeit vereinen. Schaffen sie das nicht, weil sie etwa die Hauptlast der Sorgearbeit tragen, drohen Kürzungen in der Sozialhilfe. Auch Frauen, die Gewaltbeziehungen überlebt haben, sehen sich großen Hürden in der Antragstellung gegenüber: So müssen sie unter Umständen für die Beschaffung von Dokumenten oder zur Klärung der Einkommensverhältnisse in Kontakt mit den gewalttägigen Ex-Partnern treten. Für viele nicht machbar.
Um Sozialhilfe zu beziehen, müssen außerdem zuerst Leistungen gegenüber Dritten verfolgt werden. Das kann etwa im Fall von erwachsenen Menschen mit Behinderungen bedeuten, dass sie Unterhaltsansprüche gegenüber Familienangehörigen, unter Umständen sogar ihren erwachsenen Kindern, verfolgen – in einigen Fällen gar einklagen – müssen. So wird erwachsenen Menschen finanzielle Unabhängigkeit erschwert und man lässt sie erneut zu Bittsteller:innen werden.
Soweit also die schlechte Nachricht. Um aber mit etwas Positivem zu enden: Dieses System kann geändert werden. Das ist der klare Auftrag an die nächste Regierung. Denn Menschenrechte gehören geachtet – und das von allen Politiker:innen.
Ronya Alev ist Advocacy & Research Officer bei Amnesty International Österreich und untersuchte die Hürden im Zugang zur Sozialhilfe in Österreich. Der aktuelle Amnesty-Bericht „Als würdest du zum Feind gehen“ dazu ist auf www.amnesty.at nachzulesen.
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