
Heikle Zonen
Sommerzeit ist auch Festivalzeit: Doch diese sind nicht immer für alle Orte, an denen sie sicher und ausgelassen feiern können. Es kommt zu Belästigungen, Diskriminierung, Übergriffen. Wie gut sind Festivals darauf vorbereitet?
Text: Milena Österreicher.
Ein Beitrag im neuen MO - Magazin für Menschenrechte.
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Die Temperaturen klettern nach oben, Sommerlaune stellt sich ein, Festivals in ganz Österreich locken zum Besuch. Musik, Alkohol, ausgelassene Stimmung: Für manche Besucher:innen bedeuten Festivals aber nicht nur Partylaune. Griffe an intime Stellen, sexistische Witze, Bedrängen in der Menge – hört man sich im eigenen Freundes- und Bekanntenkreis um, stößt man schnell auf jene und ähnliche Erfahrungen. So ging es auch Sarah Zwanzger, die sich in ihrer Studienabschlussarbeit des Themas annahm und mittlerweile an der Medizinischen Universität Graz im Veranstaltungsmanagement arbeitet. Sie sei selbst seit vielen Jahren begeisterte Festivalbesucherin, erlebte aber auch einiges, was die Stimmung trübte. „Einmal zog mir ein Mann mitten am Gelände einfach die Hose runter“, berichtet Zwanzger, „ich wurde auch schon einige Male begrapscht.“ Vor allem Griffe auf den Hintern habe sie öfter erlebt. Zwanzger sah auch schon, wie Männer aufgereiht am Wegesrand saßen und Schilder mit Noten hochhielten, wenn eine Frau vorbeiging. Alleine würde sie auf Festivals nachts nicht zu den Dixi-Klos gehen. „Was Schlimmeres ist mir aber zum Glück bis jetzt nicht passiert“, ergänzt sie.
Das „Sisters Festival“ stellen Frauen auf die Beine, auch die Music Acts sind rein weiblich. „Wir bekommen viel Gegenwind“, sagt Organisatorin Karin Tonsern, die sich für mehr Awareness einsetzt.
Schlechte Datenlage
Doch was sagen die Zahlen? Wie oft passiert was? Die Sache ist – wie sehr oft bei diesem Thema – schwierig zu beantworten. Viel zitiert diesbezüglich werden Studien aus dem englischsprachigen Raum. Eine Untersuchung der britischen Durham Universität 2018 ergab etwa, dass fast 70 Prozent aller Festival-Besucherinnen in England Angst vor sexueller Belästigung haben. Ein Drittel der Frauen hatte es schon erlebt.
Für Österreich gibt es dafür keine Zahlen. „Ein Problem ist, dass Veranstalter:innen oft gar nicht wissen, was auf ihren Festivals alles passiert“, sagt Sarah Zwanzger. Dabei wäre es eine Möglichkeit, sich nach der Veranstaltung etwa mittels Fragebogen Rückmeldungen einzuholen. Einen Eindruck bekomme man vor allem durch Medienberichte und angezeigte Fälle. So gab es in den letzten zehn Jahren mehrere Anzeigen zu Vergewaltigungen bei großen Festivals, etwa 2013 beim Frequency Festival, 2016 beim Electric-Love-Festival sowie im Vorjahr beim Donauinselfest.
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ERKUNDIGT SICH JEMAND NACH „LUISA“, WEISS MAN,
DASS DIE PERSON UNTERSTÜTZUNG BRAUCHT.
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Zusätzliche Maßnahmen
Wie bereiten sich die Festivals nun diesen Sommer vor? Am Donauinselfest Ende Juni, das sich als größtes Freiluftfestival Europas bewirbt, setzt man wie schon in den Jahren zuvor unter anderem auf die „Rettungsanker“: rund 600 speziell geschulte Mitarbeiter:innen, die mit hellblauem Anker-Button gekennzeichnet und Ansprechpersonen in Notfällen sind. Auch die Beleuchtung werde ausgebaut, sagt Matthias Friedrich, Projektleiter des Donauinselfestes. „Wir möchten allen ein sicheres und freudvolles Festival bieten“, so Friedrich.
Auch das sechswöchige Poolbar-Festival, das im Sommer in Vorarlberg über die Bühne geht und an die 30.000 Besucher:innen zählt, setzt dieses Jahr auf weitere Maßnahmen: Mit einem eigenen Awareness-Journaldienst, der auch telefonisch erreichbar ist, möchte man hier für alle Besucher:innen ein gutes Erlebnis sicherstellen. „Es gibt bei uns keine Toleranz bei grenzüberschreitenden Handlungen“, sagt Dezsö Antal vom Organisationsteam. Melde sich jemand beim Journaldienst, werde die betroffene Person in einen geschützten Raum gebracht. „Wir gehen dann in Ruhe auf die Bedürfnisse der Person in diesem Moment ein“, erklärt er. Das Festival arbeitet auch mit der Codefrage „Ist Luisa da?“: Erkundigt sich jemand beim Personal nach Luisa, weiß der:die Mitarbeiter:in, dass die Person Unterstützung braucht bzw. gerade belästigt wurde. Das Konzept wurde 2016 vom Frauen-Notruf Münster entwickelt und wird mittlerweile bei verschiedenen Veranstaltungen angewandt.
Damit alle ausgelassen feiern können, wird dieses Jahr beim Poolbar-Festival ein eigener Awareness-Journaldienst eingesetzt. Es gelte: Keine Toleranz bei grenzüberschreitenden Handlungen.
Selbst in die Hand nehmen
Festivals als Arbeitsplatz sind ebenso ein Thema. „Festivals sollten zu Orten werden, wo alle sicher sind und sich wohlfühlen können“, sagt Karin Tonsern. Sie ist Meisterin der Veranstaltungstechnik und erlebte schon öfter, wie es ist, als einzige oder eine der wenigen Frauen in der Crew zu sein: „Es gab manchmal keine einzige Frauentoilette auf Konzerttour und keinen getrennten Duschbereich.“
Tonsern gründete 2019 das Netzwerk „Sisters of Music“, um Frauen aus der Veranstaltungsbranche zu unterstützen. An die 300 Mitglieder sind dabei. Seit letztem Jahr veranstalten sie ein eigenes Festival: Beim „Sisters Festival“ arbeiten nur Frauen mit, die Music Acts sind weiblich. „Wir bekommen viel Gegenwind, vor allem von männlichen Kollegen“, erzählt Karin Tonsern. Das Klischee, dass Frauen und Technik nicht zusammengehen würden, halte sich fest. Zudem bekomme sie öfter die Frage zu hören, ob ein rein weibliches Line-up wirklich Publikum anlocke. Letztes Jahr tat es das, rund 1.500 Besucher:innen kamen. Auch dieses Jahr findet das Festival wieder am 12. Juli in der Wiener Arena statt. Wichtig ist Tonsern darauf hinzuweisen, dass es wieder solidarische Tickets gibt, mit denen einkommensschwachen Frauen der Besuch des Festivals ermöglicht wird.
Gute Zeit für alle
Awareness bedeute, Diversität von Besucher:innen über Mitarbeiter:innen bis hin zum Line-up immer mitzudenken. „Es bringt nichts, wenn ich eine Awareness-Ansprechperson habe und dann steht ein Deutschrapper auf der Bühne, der sexistische Texte von sich gibt“, sagt Karin Tonsern, „es geht darum, dass niemand diskriminiert wird, dass auch queere Menschen und Menschen mit Behinderung das Festival besuchen und genießen können.“
Mit „Sisters on Site“ bietet das Netzwerk anderen Festivals an, als anonyme Besucherinnen auf die Veranstaltungen zu gehen und Eindrücke sowie Erlebnisse zu dokumentieren und an die Veranstalter:innen weiterzuleiten. Die Nachfrage sei bisher noch überschaubar. Dennoch freut sich Tonsern, dass das Thema zumindest schrittweise bei mehr Veranstaltungen Eingang findet.
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